„Verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft?“ (Bloch)

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Die wachsenden Abstraktionen, Virtualisierungen, Komplexitäten, Beschleunigungen und neue Verzeitlichungen fordern Antworten für die Neuverortung des Menschen in einer sowohl evolutionär als auch revolutionär anmutenden globalisierten Vernetzung von Menschen, Dingen, Maschinen und Produkten heraus. Virtuelle und nicht-virtuelle Wirklichkeiten in den Geschäfts- und Arbeitsumgebungen greifen ineinander und erzeugen eine ganzheitlich wahrnehmbare Mischform der Arbeitswelt.Eines der zentralen wachsenden Zukunftsthemen für die Erwerbswelt ist das Entstehen, Sichern und Pflegen von Identität, von Identitätsstiftung aus virtuell-flüchtigen Arbeitsumgebungen. Darin liegt eine wesentliche gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe. Für eine ökologische, soziale und gesellschaftliche Gestaltung dieses Veränderungsbündels bedarf es einer Erweiterung der bisher zur Verfügung stehenden Handlungskategorien. Eine neue Kategorie ist in der besonderen Hervorhebung einer ganzheitlich verstandenen Sicht der Identität des Individuums in die Perspektive und Praxis von „Industrie 4.0“ zu erkennen. Eine solche positive Aufhebung von Identität ist unabdingbar, um die Entfremdungsdynamiken in der Arbeit und von der Arbeit zu begrenzen und zu bändigen.

Was passiert mit dem menschlichen Subjekt im Spannungsgefüge von Realität und Virtualität, zwischen fiktiver Realität und realer Virtualität? Erleichtert dieses Spannungsgefüge die gesellschaftliche und individuelle Emanzipation oder stellt es ein wachsendes Hemmnis dar? Der Wandel der materiell schöpferischen Arbeit hin zu einer vermehrt immateriell schöpferischen Tätigkeit führt zur Erhöhung der Abstraktion und der Komplexität des Arbeitens. Virtuelle Arbeit erfährt ihren Wert und bringt als Ergebnis der Quantität von Kommunikationsarbeit und Vernetztheit „virtuelle Identität“ hervor. Das „biografische Ich“ verhält sich dabei zu seinem „virtuellen Ich“ ungleichzeitig.

Der Biokybernetiker Valentin Braitenberg (1926-2011) sah in der Erfindung des Computers die sachlich-analytische Antwort und Kritik an der nationalsozialistischen Vergewaltigung der Sprache und der Germanistik. Die Computerei war für Braitenberg, dem Maturana-Schüler, ein aufklärerisch-antitotalitärer und basisdemokratischer Handlungsansatz. Im Gespräch betonte er, dass die Menschen sich mit Hilfe der Rechner von ideologischen Verbrämungen selbst befreien könnten.

„Wenn Du die Welt verändern willst, gib den Menschen die passenden Werkzeuge in die Hand!“ (Sinngemäß zitiert aus den studentischen Forderungen des gesellschaftskritischen „Free Speech Movement“ in Berkeley, California im Jahr 1968). So lautete der Reflex der Protestbewegung der sechziger Jahre. Teile dieser Bewegung entwickelten deshalb die ersten Personal Computer und die passende Netz-Software.

Spiegelt sich mehr als vierzig Jahre danach Unangegoltenes und Uneingelöstes? Ist dies – heute betrachtet – in den Worten Blochs eine „verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft“?

„Das letzte Wort im Hauptwerk ,Das Prinzip Hoffnung‘ heißt ,Heimat‘. Der Philosoph hofft, daß einmal der Tag kommt, an dem der Mensch seine Identität, seine Heimat finden wird.“ (Karola Bloch)

Entbirgt die Spannung zwischen „biografischem Ich“ und „virtuellem Ich“ ein neues Humanum? Eine endlich humane „Ich“-Identität in Richtung auf die – im Sinne Blochs – vor uns liegende Genesis?

 

Virtualität als neues Fundament unserer Realität

Dirk Balfanz (Foto: © Welf Schröter)

Dirk Balfanz (Foto: © Welf Schröter)

In den vom Forum Soziale Technikgestaltung angestoßenen Diskurs „Identität in der Virtualität“ im Rahmen der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ hat Dirk Balfanz neue Impulse eingebracht: „Wie der heutige Mensch digital kommuniziert & wahrgenommen wird, muss Einfluss auf seine Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung haben.“ Unter Bezug auf Luhmann und Castells greift er den Terminus „Person“ auf: „Personen entstehen also durch Teilnahme von Menschen an Kommunikation.“ (Niklas Luhmann)“[…] a new culture is forming, the culture of real virtuality, in which the digitized networks of multimodal communication have become so inclusive of all cultural expressions and personal experiences that they have made virtuality a fundamental dimension of our reality.” (Manuel Castells)

Balfanz stellt zwei Begriffe von Roger Clarke zur Diskussion, um sich dem Wort „Identität“ auf andere Weise zu nähern: „projected persona“ und „imposed persona“:

„Die projected persona umfasst die aktiv von einem Individuum ausgehende Anstrengung, sich im Digitalen als Person zu repräsentieren. In der sozialen Realität des Individuums kann die projected persona als ein gewachsener Bestandteil seiner Persönlichkeit angesehen werden.“ (Balfanz)

„Das durch das Individuum nicht zu kontrollierende Sammeln und Auswerten seiner personenbezogenen digitalen Informationen durch Institutionen aller Art. Maschinelle Bildung und Ausbeutung der imposed persona – eines unkontrollierten Fremdbildes des Individuums – schädigt die Privatsphäre, die Bildung und Pflege der Person sowie die Handlungsfreiheit des Individuums.“ (Balfanz)

In Anlehnung an den kürzlich gestorbenen Informatiker Ulf Stegemann zitiert er dessen harte Analyse: „Der Krieg um die informationelle Selbstbestimmung ist vorerst verloren.“

Dirk Balfanz warnt davor, dass das Individuum weitreichend die Möglichkeit verliert, sich in digitalen Netzwerken überhaupt differenziert als Person in unterschiedlichen Rollen zu präsentieren, wenn die Option der Selbstbestimmung verloren geht.

 

Siehe: Dirk Balfanz: Die digital persona. In: Welf Schröter (Hg.): Identität in der Virtualität. Einblicke in neue Arbeitswelten und „Industrie 4.0“. (2014)

Entfremdung und Aufhebung

Hegelinschrift an der Außenfassade des Hauptbahnhof Stuttgart (Foto: © Welf Schröter)

Hegelinschrift an der Außenfassade des Hauptbahnhof Stuttgart (Foto: © Welf Schröter)

Philosophische Annäherungen an den Arbeitsbegriff – Ein Beitrag von Matthias Mayer

In Ansehung philosophie-geschichtlicher Kontextualisierung ist Hegels Versuch einer Definition der Arbeit (die vorher kaum Gegenstand philosophischer Reflexion war) als eine Rechtfertigung zu verstehen. Rechtfertigung wofür? – der produzierenden und kommerzialisierenden Bourgeoisie seiner Zeit, die noch Schuldgefühle in sich trug, weil sie die bis dato herrschende Klasse der Aristokratie durch die Guillotine hat beseitigen lassen, um selbst sich „auf deren Stühle zu setzen“ (Bloch). Seither und aus diesem „schlechten Gewissen“ heraus regiert uns das von Max Weber erkannte protestantische Arbeitsethos (= Ichideal), welches Jean-Paul Sartre in seinem Flaubert als „Ethik der Anti-Physis“ beschreibt und dessen tiefenpsychologische Antriebe Sigmund Freud und – in unseren Tagen – Arno Gruen analysiert haben.

Für Hegel ist der Satz „Ich bin Ich“ (A = A ) die kleinstmögliche aller existierenden „Arbeitseinheiten“. Anders: Selbstbewusstsein (als Identitätsformel) wird von ihm als Bewegung verstanden, als Akt und damit bereits als Arbeit.

„Das arbeitende Bewusstsein ist der Anfang der Bildung, der Anfang der Erfahrung seiner selbst als eines selbstständigen Wesens, als eines Selbstbewusstseins, das sich selbst als ein Selbst erfasst. In der Arbeit als Bildung ist der Anfang der Selbsterfahrung des Selbstbewusstseins als Ich bin Ich zu suchen.“ (Eberhard Braun)

Diese zunächst rein mentale Bewegung (Denken = Überschreiten) erweitert sich durch „Entäußerung“, d. h. im „Kampf um Anerkennung auf Leben und Tod“ zwischen „Herr und Knecht“ sowie um die Arbeit als Stoffwechsel und Ringen mit der Natur sowie um die Arbeit am realen Gegenstand. So bildet sich die Prämisse jenes Arbeitsbegriffs, auf dem der Marxismus seine Theorie vom dialektischen und historischen Materialismus hat errichten können.

„Arbeit, so muss man schließen, ist nicht allein Formieren äußerer Gegenstände, sie ist auch ein Formieren des Bewusstseins. In der Arbeit formiert das Bewusstsein sich selbst; es reflektiert sich selbst und erhebt hierin sich zum wahrhaften Selbstbewusstsein, welches die Form der Allgemeinheit, der bleibenden Gegenständlichkeit erhält.“ (Eberhard Braun)

Der Arbeitsbegriff Hegels entspringt einer Komponente seiner Ontologie (= Logik), welche (bereits) existentialistische Züge aufweist und auf der Sartre später aufbauen wird: der Gegenstand als „Nicht-Ich“ zeigt mir mein „Nichts-Ich“, d. h. mein Ich, das „Nichts“ ist, an, „füllt es aus“. Hegel: „Das Ding ist Ich“ (vielleicht der bedeutendste Satz der „Phänomenologie des Geistes“).

Von Schelling herkommend, hat Hegels Konstruktion des Selbstbewusstseins noch etwas Erzeugendes an sich – daher wird sie von ihm auch als Arbeit (ursprünglich der Natur) gefasst und bezeichnet. Dieser Aspekt entfällt bei Sartre. Ihm genügt schon der reine „Blick des Anderen“, um Ich-Gefühl und Selbstbewusstsein herbei zu führen.

Was bleibt uns also als Erbe des Hegelschen Arbeitsbegriffs? Arbeit verweist uns je auf uns selbst, erfüllt somit eine grundlegende ontologische Funktion. Entfällt diese, beherrschen Entfremdung und Verdinglichung unsere Lebens- wie Arbeitswelt.

 

Arbeit und Identität

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Im Rahmen des Diskurses „Identität in der Virtualität“ ergriff der Tübinger Dozent und Philosoph Matthias Mayer in der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ das Wort. Er suchte die Verbindung zwischen Arbeit und Identität. Dabei wandte er sich dem Werk des Bloch-Schülers Eberhard Braun zu, der in seiner kritischen Adaption Hegels schrieb:

„Arbeitend erhebt das Selbstbewusstsein sich von seinem Versenktsein in das natürliche Sein zu einem übernatürlichen, geistigen Sein. Arbeit ist, so müssen wir sagen, im Kern absolute Abstraktion, der Beginn der Negation der Negation und deshalb der Anfang des Geistes.“ (Eberhard Braun)

„Hegel begreift das Wesen des Menschen als Prozess der Selbsterzeugung durch Arbeit. Dies ist das Moment, das es zu bewahren und fortzubilden gilt.“ (Eberhard Braun)

Bezugnehmend auf das von ihm mitherausgegebene Buch „Eberhard Braun: Die Rose am Kreuz der Gegenwart. Ein Gang durch Hegels ,Phänomenologie des Geistes‘“ führte Mayer aus:

„Es gibt, verkürzt, zwei Arten der Aufhebung, d.h. der Überwindung der Welt der Erscheinung, der Überwindung der Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt. Die eine, von Schelling bevorzugte wie beschriebene, soll durch einen ,mystischen Moment‘ der Unmittelbarkeit sich vollziehen; er nennt sie ,intellektuelle Anschauung‘ . Die andere, von Hegel präferierte und erörterte, soll reflexiv, durch die ,Anstrengung des Begriffs‘  – auch sie spielt hinein in die Symbolik der Rose – gelingen, d.h. durch die mühsam in Begriffen vermittelte Erkenntnis, die zur absoluten Erkenntnis und absoluten Identität führt. ,Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffes zu gewinnen.‘ Beiden Systemen geht es um Identität. Bei Schelling ist sie in der Natur schon a priori grundgelegt.“

Der Charakter der Arbeitswelt ändert sich durch den voranschreitenden Prozess der Digitalisierung und Virtualisierung. Um den Wandel des Kerns der Arbeit zu erkennen und um die Bildung des Ich und der Identität zu erfassen, sei auf eine wesentliche Aussage Brauns verwiesen:

„Aus der Arbeit geht nicht nur die praktische Bildung hervor, die Verbesserung in der Beherrschung natürlicher Dinge. Auch alles theoretische Wissen geht aus der Arbeit hervor. Daraus lässt sich schließen: für Hegel hat Erkenntnis primär die Verfassung von Arbeit. Wie die Arbeit ist auch Erkennen ein Formieren des Gegebenen, und dieses Formieren ist ein Humanisieren, ein Vermenschlichen des ursprünglich den Menschen Fremden. Wenn dies aber richtig ist, dann ist Arbeit der Schlüsselbegriff zu Hegels Philosophie im Allgemeinen und im Ganzen.“ (Eberhard Braun)

Die Befreiung der Arbeit bedarf der Erkenntnis ihrer Entfremdung. Identität entsteht aus Arbeit: „Arbeitend erhebt der Mensch sich zum Denken, zur Vorstellung des Allgemeinen.“ (Braun)

Siehe: Eberhard Braun: Die Rose am Kreuz der Gegenwart. Ein Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Mit einer Einleitung von Matthias Mayer.

Foucaults Sicherheitsdispositiv

Mathias Richter (Foto: © Welf Schröter)

Mathias Richter (Foto: © Welf Schröter)

Wird das Thema „Identität in der Virtualität“ in naher Zukunft an Bedeutung gewinnen? Schafft die wachsende Digitalisierung und Virtualisierung von Leben, Arbeit, Wirtschaft, Freizeit eine neue Ordnung des gesellschaftlichen Miteinanders? Mathias Richter, Journalist und Philosoph näherte sich diesen Fragen bei der Tagung „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ auf seine Weise. Er nahm Bezug auf Michel Foucault und dessen analytischen Instrumentenkasten.Mathias Richter hob hervor, dass „sich nun moderne westliche Gesellschaften als eine Machtarchitektur beschreiben [lassen], in der Recht, Disziplin und Sicherheit die soziale Realität weitgehend strukturieren, wobei das Sicherheitsdispositiv als explizit moderne und damit jüngste Erscheinung auf den Plan tritt.“ Alle drei Dispositive beschreiben eine gesellschaftliche Regulierungsmechanik. Richter führte aus:

„In der Logik des Sicherheitsdispositivs beruht die Identität des Einzelnen schlicht auf der Tatsache von dessen Identifizierbarkeit. Eine Identität setzt sich aus der Summe der Informationen zusammen, die der Einzelne durch hinterlassene Datenspuren mehr oder weniger freiwillig bereitstellt. Aus der Kombination dieser Daten lässt sich entsprechend der jeweiligen Interessenlage ein mehr oder weniger detailliertes Profil einer Person erstellen. Darin besteht die neue Qualität eines IT-gestützten Sicherheitsdispositivs. Anders als beim Disziplinardispositiv, dem die Techniken der Überwachung dazu dienten, den Einzelnen einer gesellschaftlichen Norm zu unterwerfen und gegebenenfalls abweichendes Verhalten zu protokollieren, um ein zu sanktionierendes Subjekt zu identifizieren, ist es unter dem Primat des Sicherheitsdispositivs interessant, den Einzelnen gerade in seiner Einzigartigkeit, seiner Individualität zu erfassen. Ziel ist nicht mehr die Normierung seiner Handlungen, sondern deren Vorhersehbarkeit.“

Der Titel der Tagung „Identität in der Virtualität“ ergab einen weitreichenden Konsens, dass Digitalisierung und Virtualisierung zu einer Neuverortung des Subjekts, der Subjektivität und Identität führen. Das Individuum muss sich einen neuen Raum in der Gesellschaft erringen.

„Allen Machttechniken gemeinsam ist der Anspruch, eine komplexe gesellschaftliche Dynamik mit Hilfe der Verarbeitung und Strukturierung riesiger Datenmengen zu kontrollieren und möglichst zu beeinflussen. Das Sicherheitsdispositiv erhält unter den neuen technologischen Voraussetzungen der Überwachung eine neue Qualität: Denn es ist nicht mehr notwendig, den einzelnen qua panoptischer Kontrolle zu disziplinieren, es genügt, seine Handlungsoptionen zu kennen, um die eigenen Interessen damit zu koordinieren.“ (Richter)

 

Siehe auch: Mathias Richter: Identifizierbarkeit. Individualität und die Spielräume der Konstruktion von Identitäten im Zeitalter der Sicherheit. In: Welf Schröter (Hg.): Identität in der Virtualität. Einblicke in neue Arbeitswelten und „Industrie 4.0“.

Naturrecht und menschliche Würde

Arno Münster am 3. Dezember 2014 in Tübingen. (Foto: © Welf Schröter)

Arno Münster am 3. Dezember 2014 in Tübingen. (Foto: © Welf Schröter)

Es war ein unzweideutiges Plädoyer für die Freiheit des Menschen, die unter keinem politischen Vorwand und schon gar nicht durch den Avantgardeanspruch irgendeiner Partei eingeschränkt werden dürfe. Mit dieser Haltung eröffnete Arno Münster, der sich in seiner philosophischen Arbeit Ernst Bloch verpflichtet sah und sieht, im denkwürdigen Hörsaal Eins in der Neuen Aula der Tübinger Universität sein Werben um die Verteidigung der Würde des Menschen. Die Freiheit der Citoyenne und des Citoyen ist die Grundlage und Bedingung humaner gesellschaftlicher Emanzipation hin zur – wie Bloch es nannte – Genesis der Menschheit, die diese noch vor sich habe. Es gelte die kantianische Erbschaft in Blochs Denken hervorzuheben, der immer die Trikolore als Ausgangspunkt und Leitmotiv gesellschaftlicher Veränderung annahm. 

Ernst Bloch habe – so Arno Münster – in seinen Isolationsjahren in der DDR zwischen 1957 und 1960, in denen die SED den rebellischen Denker zum Schweigen bringen wollte, sein wichtiges Buch „Naturrecht und menschliche Würde“ verfasst und später in der Bundesrepublik veröffentlicht. Das Werk – so Münster – müsse heute neu gelesen werde. Es habe unabgegoltene Aktualität wie insgesamt der Blochsche Naturrechtsgedanke. 

Bloch, der in den dreißiger Jahren gegen den Protest der aktiven Hitlergegnerin Karola Bloch, seine Wertschätzung Stalins veröffentlichte, hat in diesem Werk faktisch den Stalinismus wie auch den Leninismus kategorial seziert und abgelehnt. Das Buch muss als radikale Kritik am diktatorischen Regime Ulbrichts gelesen werden. Rudolf Bahro konnte später mit seiner „Alternative“ darauf aufsetzen. 

Arno Münster stellte Ernst Bloch in die Tradition des Denkens des französischen Kriegsgegners Jean Jaurès, der vor 100 Jahren zu Beginn des Ersten Weltkrieges einem politischen Attentat zum Opfer fiel. Auch Jaurès sah im Dokument der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ das Schlüsseldokument europäischer Freiheitsbestrebungen.

„Es gibt kein richtiges 1917 ohne ein richtiges 1789“ (Arno Münster).

 

 

Das Digitale als Allianz zwischen Mensch und Technik?

Klaus Kornwachs am 29. November 2014 auf Einladung des Forum Soziale Technikgestaltung im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein (Foto: © Welf Schröter)

Klaus Kornwachs am 29. November 2014 auf Einladung des Forum Soziale Technikgestaltung im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein (Foto: © Welf Schröter)

Vor einem übergroßen Porträt des Philosophen Ernst Bloch eröffnete der blochkritische Technikphilosoph Klaus Kornwachs seine nachdenkliche Rede über „Industrie 4.0 – Ungleichzeitigkeit und Allianztechnik“ mit einem Bloch-Zitat aus dem „Prinzip Hoffnung“: „Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland und vom Landesinneren weiß sie nichts, die Materie der Sache ist ihr transzendent.” 

Nach ausgiebiger Analyse ökonomischer und produktionstechnischer Tendenzen der letzten Jahre wandte sich der technikaffine Redner den prognostizierbaren Auswirkungen von „Industrie 4.0“ zu. Bezugnehmend auf den Titel der Tagung „Identität in der Virtualität“ in der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ wagte er eine anspruchsvolle These zur Notwendigkeit neuer Wege der Technikgestaltung im Hinblick auf die heraufziehende Logik von „Industrie 4.0“: „Das Entstehen von Fachkräftemangel und Sockelarbeitslosigkeit durch Anpassungsprobleme an gestiegene Qualifikationsanforderungen ist nicht nur eine Herausforderung an die Ökonomie und Wirtschaftspolitik (Politische Ökonomie), sondern auch an die Technikgestaltung und die Innovationsfähigkeit.“ (Kornwachs)

Kern der Überlegungen Kornwachs‘ ist die Annahme, dass die neue Generation digitaler Software und leistungsfähiger Netze die Widersprüche zwischen Mensch und Technik weniger vertiefen sondern eher aufheben helfe. Er setze auf eine Vermittlungsfunktion des Digitalen, die eine neuartige, durchaus kreative Allianz zwischen Mensch und Technik möglich mache.

Die Transformation der Arbeit geschehe dabei unter den Bedingungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Ungleichzeitigkeit. Kornwachs: „Außerdem lösen die technischen Möglichkeiten nicht nur die klassischen Vorstellungen von Arbeitsort und Arbeitszeit und Identität auf, sondern es gibt jetzt schon eine breite Koexistenz völlig unterschiedlicher Formen von Arbeitsorganisationen und Formen von Arbeitsteilung nebeneinander, die miteinander zu vermitteln durch die IKTs immer besser ermöglicht wird, für den Einzelnen aber undurchschaubar ist.“ 

Blochs Allianzverständnis müsse daher aktualisiert und in Kritik am Hegelschen Arbeitsbegriff weiterentwickelt werden.