Altes Bewusstsein in der neuen Welt

Foto: © Welf Schröter

Die Online-Zeitung „Telepolis“ hat jüngst eine Debatte losgetreten, in der Anhänger und Kritiker des medialen sogenannten „Dschungelcamps“ eines privaten Fernsehsenders heftig aneinander geraten sind. Unter der Überschrift „Bloch versus Dschungelcamp“ wurde nach einer aktuellen Erbschaft dieser Zeit gesucht.

In Anlehnung an das Blochsche Werk („Erbschaft dieser Zeit“) der dreißiger Jahre nahm ein „Telepolis“-Autor das methodische Rüstzeug des Denkens von Ernst Bloch auf und spiegelte den Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ auf die aktuelle kommerzielle Fernsehkultur. Warum zieht es so viele Zuschauerinnen und Zuschauer vor die Mattscheibe, um den Ereignissen dieser Kunstwelt zu folgen?

„Das Dschungelcamp ist deshalb so erfolgreich, weil es bestimmte Bedürfnisse bei einem immer breiter werdenden Publikum befriedigt, die zuvor in solch einer Intensität nicht präsent waren. Es ist gewissermaßen ein Produkt der ,Mitte’, in der sich immer stärker die Wünsche regen, andere Menschen erniedrigt, gequält, unterworfen und ausgebeutet zu sehen.“ Der Autor Tomasz Konicz sieht die Gründe in einem neuen Bedürfnis nach Demütigung anderer: „Der Erfolg des Dschungelcamps verweist somit auf ein sich immer stärker aufstauendes autoritäres Potenzial in der Bevölkerung.“  (http://www.heise.de/tp/artikel/38/38405/1.html)

Analog zu Blochs Analyse der Vorhitlerzeit, in der die Angst der Mittelschicht, der Angestellten und vergleichbarer Gruppen vor dem sozialen Abstieg untersucht wurde, sieht Konicz die aktuelle Krise und Krisenangst als wichtigen Begründungszusammenhang der medialen Formierung: „Dem autoritären Charakter ist eine Untertanenmentalität eigen, die in Krisenzeiten ihre Servilität gegenüber dem herrschenden System psychisch nur aufrechterhalten kann, wenn sie sich Möglichkeiten der Triebabfuhr verschafft.“

Mit Bloch formuliert er: „Da dem autoritären Charakter ein Aufbegehren gegen die Verhältnisse, die ihn in den Irrsinn treiben, unmöglich scheint, bricht sich die so angestaute Wut gegen Schwächere Bahn.“ Der „Telepolis“-Autor erkennt nicht überwundene „Reste älteren ökonomischen Seins und Bewusstseins“ (Bloch).

Zweifellos hat Tomasz Konicz mit der Übertragung des Blochschen Gedankens der „Ungleichzeitigkeit“ auf die mediale Gegenwart einen richtigen Weg bestritten. Dennoch greift er zu kurz, wenn er allein die ästhetische Dimension in den Vordergrund rückt. Der Ansatz bedarf der Ergänzung durch eine Analyse des grundlegenden Wandels der Arbeit.

Die tiefen Brüche der modernen Arbeitswelt mit ihren Entfremdungen schaffen jene Identitätsverluste, Sehnsüchte und Heimatblockaden, die eine psychologische Ablenkung ins Mediale erst herausfordern. Der Übergang von der industriell-produktiven materiellen Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts hin zur industriell-produktiven mehr und mehr immateriellen Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts reißt in Identität und Selbstbewusstsein jene zusätzlichen Lücken auf, in die ein „Dschungelcamp“ Einfluss zu nehmen sucht.

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