Verleihung der Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdansk an Manfred Mack am 31. August 2022

Vor 42 Jahren am 31. August 1980 wurde in Gdansk auf der Werft der streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter die unabhängige Gewerkschaft Solidarność gegründet. Heute am 31. August 2022 erhielt ein Vertreter der damaligen bundesdeutschen Bewegung „Solidarität für Solidarność“ eine besondere Würdigung und Ehrung. Manfred Mack, langjährigem Freund der polnischen Kultur und der unabhängigen polnischen Gesellschaft, wurde in Gdansk die „Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarnosc-Zentrums“ verliehen.

Der Osteuropa-Wissenschaftler Manfred Mack gehörte während seines Studiums an der Universität Tübingen zum Komitee „Solidarität mit Solidarność“. Die Arbeit dieses Komitees wurde auch von der in Polen geborenen Karola Bloch sehr aktiv unterstützt. Karola Bloch trat bei Solidaritätskundgebungen auf und drückte ihre Verbundenheit der polnischen Gewerkschaft aus. Sie lud aus Polen geflohene Gewerkschaftsvertreter zu sich ein. Untergrundschriften des polnischen KOR gelangten über Paris nach Tübingen, wurden ins Deutsche übersetzt und mit einem Vorwort von Karola Bloch verbreitet. In dem Tübinger Komitee, das viele Jahre tätig war, wirkten rund eineinhalb Dutzend junger Frauen und Männer, die aktiv mit den Demokratiebewegungen in Polen, in der CSSR, in Ungarn, in der DDR und in der Sowjetunion sympathisierten. Auch der Herausgeber des „bloch-akademie-newsletters“ gehörte dazu.

Eine Jury unter dem Vorsitz von Lech Walesa verleiht Manfred Mack die Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums (ECS) im Rahmen der Feierlichkeiten des „Festes der Freiheit“. Diese Auszeichnung wurde bisher an über 700 Personen weltweit verliehen. Die Medaille der Dankbarkeit ist eine ehrenvolle Auszeichnung für Freunde Polens, die sich im Geiste der Solidarność-Ideale für die universellen Menschenrechte eingesetzt haben und einsetzen, sich für die Idee der Solidarität als Grundlage der europäischen Ordnung engagieren, sich für die Verständigung zwischen den Völkern einsetzen und die soziale und moralische Ordnung auf dem Dialog aufbauen. Manfred Mack hat sich seit den 1970er Jahre in vielfältiger Weise für die Opposition in Polen eingesetzt, durch Übersetzungen, Veranstaltungen, aber auch im Rahmen Tübinger Komitees „Solidarität mit Solidarność“ durch konkrete Hilfsmaßnahmen während des Kriegsrechts in Polen.

 

Befreiung und Hoffnung

Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Verband deutscher Schriftsteller VS) am 8. Juli 2015 in Mössingen. - Foto: © Welf Schröter

Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Verband deutscher Schriftsteller VS) am 8. Juli 2015 in Mössingen. – Foto: © Welf Schröter

Die Zahl derer, die in Europa Grundprinzipien der Demokratie und deren Praxis in Frage stellen, nimmt in vielen Ländern zu. Europa als demokratisches Friedensversprechen gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus gewinnt unter jungen Menschen jedoch an Anziehung. Im Gegensatz dazu wachsen eher innerhalb der mittleren und älteren Generation Zweifel und Distanz. Diese Menschen suchen auf ihre Enttäuschungen zumeist Antworten in der Vergangenheit, – nicht als aufzuhebende Erbschaft ungleichzeitiger Erfahrungen sondern als eindimensionaler Fluchtpunkt rückwärts.

Am 8. Juli 2015 kamen in Mössingen zahlreiche Nachdenkliche zusammen, um sowohl an den 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten wie auch an den 130. Geburtstag Ernst Blochs zu erinnern. Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch des verstorbenen Harold Livingston (Helmut Löwenstein) gedacht. Er war der Sohn des jüdischen Mitbegründers des Textilunternehmens Pausa, Artur Löwenstein. Die Pausa arbeitete vor 1933 eng mit dem Bauhaus in Dessau zusammen. Die Belegschaft der Pausa löste den „Mössinger Generalstreik“ gegen Hitler am 31. Januar 1933 aus. Das Unternehmen wurde 1936 zwangs„arisiert“. Helmut Löwenstein wurde mit seiner Familie und seinen Verwandten 1936 von Nationalsozialisten aus Mössingen und Stuttgart vertrieben. Er kehrte 1945 als 22-jähriger Soldat der britischen Armee nach Deutschland zurück und gehörte zu den Befreiern des KZ Bergen Belsen. Unter dem Namen Harold Livingston lebte und starb Helmut Löwenstein in London.

In seiner Rede zum Thema „Befreiung und Hoffnung – 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus“ ermutigte Heinrich Bleicher-Nagelsmann vom Vorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) seine Zuhörerinnen und Zuhörer, sich für ein demokratisches und soziales Europa in der Tradition von Ernst und Karola Bloch einzusetzen. Achtzig Jahre nach der Vertreibung der in Mössingen arbeitenden jüdischen Bürgerinnen und Bürger lohnt es sich, diese Rede noch einmal zu lesen (Rede_Heinrich_Bleicher-Nagelsmann_2015).

Für die Humanisierung der Welt

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

„Er hat ein Leben voller Forscherdrang, Kreativität, Liebe und Hingabe geführt. Sein Werk und sein Einfluss wirken weiter.“ Mit diesen klaren wie eindringlichen Worten übermitteln die Familie und die Angehörigen von Thilo Albrecht Götze Regenbogen die traurige Nachricht seines allzu frühen Todes.Im Alter von 66 Jahren starb ein Freund, Autor, Künstler, Rechercheur und interessierter Kenner des jeweiligen Lebenswerkes von Karola Bloch und Ernst Bloch. Während Thilo noch bis zuletzt gedanklich an neuen Schaffensprozessen und Editionsarbeiten hing, gab sein Körper den Kampf auf. Thilo Götze Regenbogens Leben endete am 30. April 2015.

Neben verschiedenen künstlerischen Schwerpunkten beschäftigte sich „TGR“ mit den Lebenswegen der Hitlergegnerin Karola Bloch, mit dem Maler Ludwig Meidner und mit dem der Blochschen Philosophie nahestehenden Künstler und DDR-Kritiker Carlfriedrich Claus, mit der unermüdlichen Schaffenskraft von Joseph Beuys sowie mit dem literarisch-politischen Schaffen des DDR-Oppositionellen und Bloch-Schülers Jürgen Teller.

In seinem einschlägigen Beitrag über Karola Bloch und Ludwig Meidner schrieb er – sich selbst verortend: „Die von Jugend an künstlerisch und politisch engagierte polnische Jüdin und Widerstandskämpferin Karola Piotrkowska-Bloch (1905-1994) ist seit der Remigration in die Bundesrepublik im Jahre 1961 zusammen mit ihrem Mann, dem Philosophen und Autor einer historischen Enzyklopädie der Hoffnung Ernst Bloch (1885-1977), nicht nur zu einer Symbolfigur der Friedens- und Emanzipationsbewegung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts geworden. Beide Blochs standen für eine unabhängige undogmatische Linke und arbeiteten für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, Karola als ,die große alte Dame der Linken‘ – um mit Jürgen Teller zu sprechen.“

Thilos Herangehen an neue Fragen war offen und unkonventionell. Er liebte es, neugierig zu sein. Nach innen wie nach außen. Er wollte das Unmögliche denken, es sehnsuchtsvoll vorahnen, es erkennen. Die Blochsche Genesis am Ende des Werdens des Menschen verband er mit seiner ganz eigenen Sicht. Unvergessen bleibt seine künstlerische Präsentation im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen.

Thilo war ein Freund der humanen Emanzipation. Sein Wirken galt und gilt der Humanisierung der Welt. Jene, denen er Freund war, sind ihm dabei Freunde geblieben.

 

Am 7. März wäre Rudi Dutschke 75 Jahre alt geworden

Im Alter von nur 39 Jahren war Rudi Dutschke, Christ und Kriegsdienstverweigerer aus der DDR, an den Folgen des Attentats von 1968 am Weihnachtsabend 1979 gestorben. Als Kritiker des Vietnamkrieges und Unterstützer des “Prager Frühlings”, als Unterstützer Sacharows und Gegner des Militärputsches in Chile war der am 7. März 1940 in Luckenwalde geborene Sozialist in den Jahren 1967/68 von einschlägigen Medien angegriffen und für beinahe vogelfrei erklärt worden. Ein junger Mann aus der rechten Szene nahm die Denunziation ernst und schoss auf ihn. Drei Kugeln verletzten Rudi Dutschke schwer.

Seine langsame Gesundung und Rekonvaleszenz wurde von einem intensiven Briefwechsel mit dem Philosophen Ernst Bloch begleitet. Die Briefe spiegeln nicht nur die persönliche Lebensgeschichte wider, sie geben zugleich Einblick in die Zeitgeschichte der siebziger Jahre.

Vor 27 Jahren erschien dieser legendäre Briefwechsel zwischen Dutschkes und Blochs. „Lieber Genosse Bloch …“ So hieß das von Karola Bloch herausgegebene Buch, das Ende der achtziger Jahre einen ersten Einblick in das produktive Freundschaftsverhältnis zwischen Dutschkes und Blochs eröffnete.

Sowohl Rudi Dutschke wie auch Karola und Ernst Bloch kamen aus der DDR kurz vor dem Mauerbau in den Westen. Nach der Kritik an der DDR folgte die Kritik an der westdeutschen Gesellschaft. Rudi Dutschke missbilligte Bloch lange Zeit als zu starren Denker. Erst mit dem 1968 erschienenen Werk Blochs “Atheismus im Christentum” näherte sich der linke Christ Dutschke dem linken Atheisten Bloch an. Die Diskussion über den Utopie-Gehalt der Religion führte beide Männer zusammen.

 

 

Naturrecht und menschliche Würde

Arno Münster am 3. Dezember 2014 in Tübingen. (Foto: © Welf Schröter)

Arno Münster am 3. Dezember 2014 in Tübingen. (Foto: © Welf Schröter)

Es war ein unzweideutiges Plädoyer für die Freiheit des Menschen, die unter keinem politischen Vorwand und schon gar nicht durch den Avantgardeanspruch irgendeiner Partei eingeschränkt werden dürfe. Mit dieser Haltung eröffnete Arno Münster, der sich in seiner philosophischen Arbeit Ernst Bloch verpflichtet sah und sieht, im denkwürdigen Hörsaal Eins in der Neuen Aula der Tübinger Universität sein Werben um die Verteidigung der Würde des Menschen. Die Freiheit der Citoyenne und des Citoyen ist die Grundlage und Bedingung humaner gesellschaftlicher Emanzipation hin zur – wie Bloch es nannte – Genesis der Menschheit, die diese noch vor sich habe. Es gelte die kantianische Erbschaft in Blochs Denken hervorzuheben, der immer die Trikolore als Ausgangspunkt und Leitmotiv gesellschaftlicher Veränderung annahm. 

Ernst Bloch habe – so Arno Münster – in seinen Isolationsjahren in der DDR zwischen 1957 und 1960, in denen die SED den rebellischen Denker zum Schweigen bringen wollte, sein wichtiges Buch „Naturrecht und menschliche Würde“ verfasst und später in der Bundesrepublik veröffentlicht. Das Werk – so Münster – müsse heute neu gelesen werde. Es habe unabgegoltene Aktualität wie insgesamt der Blochsche Naturrechtsgedanke. 

Bloch, der in den dreißiger Jahren gegen den Protest der aktiven Hitlergegnerin Karola Bloch, seine Wertschätzung Stalins veröffentlichte, hat in diesem Werk faktisch den Stalinismus wie auch den Leninismus kategorial seziert und abgelehnt. Das Buch muss als radikale Kritik am diktatorischen Regime Ulbrichts gelesen werden. Rudolf Bahro konnte später mit seiner „Alternative“ darauf aufsetzen. 

Arno Münster stellte Ernst Bloch in die Tradition des Denkens des französischen Kriegsgegners Jean Jaurès, der vor 100 Jahren zu Beginn des Ersten Weltkrieges einem politischen Attentat zum Opfer fiel. Auch Jaurès sah im Dokument der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ das Schlüsseldokument europäischer Freiheitsbestrebungen.

„Es gibt kein richtiges 1917 ohne ein richtiges 1789“ (Arno Münster).

 

 

Vergessene Architekten

Bauhaus2

(Foto: © Welf Schröter)

Er gehörte für Karola Bloch zur politischen Familie, auch wenn – oder auch weil – er von Stalin verfolgt wurde. Sie, die Architektin und Bauhaus-Anhängerin, freute sich, ihn zu treffen, von ihm zu hören und zu lesen. Am 18. November 2014 jährte sich der Geburtstag des Architekten und Dessauer Bauhausdirektors Hannes Meyer zum 125. Mal.

Meyer wurde von Gropius zum Bauhaus geholt und vom ihm vertrieben, weil er zu politisch, zu politisch links war. Dieses Politische in der Architektur aber, ihre ganzheitliche Gesellschaftlichkeit war es, die Karola Bloch an Meyer schätzte und der sie selbst nachfolgen wollte.

Meyer ging mit großen Erwartungen 1930 nach Moskau. Er wollte durch neues Bauen zu neuen Gesellschaften beitragen. Mit diesem Tagtraum kam Karola Bloch 1949 in die DDR nach Leipzig. Meyer floh alsbald in die Schweiz. Seine Partnerin wurde von Stalins Häschern ermordet. Karola Bloch erhielt in der zweiten Hälfte der Fünfziger-Jahre Berufsverbot in „Pachulkistan“ (so nannte der Bloch-Schüler Jürgen Teller die DDR). 1961 wechselt die Architektin von Leipzig nach Tübingen. Beide Architekten gehören heute noch immer zu den Vergessenenen in ihrem Berufszweig.

Schon 1951 schrieb Karola Bloch an Hannes Meyer in der Schweiz, er möge nicht in die DDR kommen. Die Bauhaus-Tradition sei durch den ideologischen „Formalismusstreit“ des „sozialistischen Realismus“ weitgehend getilgt worden: „Der sowjetische Prozess brauchte hier nicht zu sein“, schrieb die Polin und Jüdin kritisch über die planwirtschaftlichen Exerzitien Ulbrichts. Karola Bloch arbeitet bis zum Tätigkeitsverbot in der DDR zu Kindertagesstätten und Kinderkrippen, da es dabei „nicht so viele Schwierigkeiten zu überwinden“ gibt. Hannes Meyers Tod 1954 hat Karola Bloch schwer getroffen.

„Daß Sie zur Familie gehören, ist selbstverständlich, und ich habe stets, allen Merkers zum Trotz, zu Ihnen gehalten und Sie stolz meinen Freund genannt!“ (Karola Bloch am 21. 10. 1951 an Hannes Meyer).

 

Karola Bloch: Der unkünstlerischste Naturalismus. Brief an Hannes Meyer. In: Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.): Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin. Eine Neuentdeckung des Wirkens der Bauhaus-Schülerin. (2010) ISBN 978-3-89376-073-2

Eine nicht gehaltene Rede in der Nikolaikirche Leipzigs

Fünfundzwanzig Jahre nach dem von Montagsdemonstranten erfolgreich eingeleiteten Sturz des SED-Regimes in der DDR ist es Zeit an einen historischen Moment zu erinnern, der mit großen Emotionen vorbereitet wurde und doch nie stattfand. Es geht um eine nicht gehaltene Rede in der Leipziger Nikolaikirche.

Leipziger Nikolaikirche (Foto: © Welf Schröter)

Leipziger Nikolaikirche (Foto: © Welf Schröter)

In Tübingen fanden sich schon vor 1989 immer wieder prominente DDR-Kritiker ein, die von der StaSi bedrängt, verfolgt und letztlich aus ihren Wirkungsstätten zwangsweise ausgebürgert wurden. Karola Bloch empfing Rudolf Bahro (1935-1997), Jürgen Fuchs (1950-1999), Jürgen Teller (1926-1999) und viele mit weniger bekanntem Namen. Auch Lew Kopelew (1912-1997) und Vertreter der im polnischen Untergrund tätigen Gewerkschaft Solidarnosc traf die Architektin, Bauhausanhängerin und Antifaschistin in der Neckarstadt.

Mit großer Sympathie und Herzblut verfolgte Karola Bloch im Frühjahr, Sommer und Herbst des Jahres 1989 die Ereignisse in Leipzig. Sie stand unzweideutig auf der Seite des „Neuen Forum“ und der Montagsdemonstranten. So war es ihr eine Freude, nach dem damaligen November das Leipziger „Haus der Demokratie“ mit einer besonderen Buchspende zu unterstützen. Auf Wunsch der dortigen „Initiative für Demokratie und Menschenrechte“ sandte sie eine Gesamtausgabe der Werke Ernst Blochs für die öffentliche Bibliothek des Hauses. Die Leipziger bedankten sich: „Da es in der DDR sehr schwer ist, an die Bloch-Gesamtausgabe heranzukommen, sie ist nicht einmal in der Leipziger Universitätsbibliothek zu lesen, freut uns ihr Besitz umso mehr. Unsere Bibliothek wird von sehr vielen Leuten frequentiert, so dass sie dort allen Interessenten zur Verfügung steht.“

Wochen zuvor saßen in Leipzig Vertreter des „Neuen Forum“, von „Demokratie Jetzt“ und der örtlichen Friedensgruppe sowie einem Gast aus Tübingen im Büro von Pfarrer Christian Führer (1943-2014) zusammen. Es sollte eine Rede und Lesung Karola Blochs (1905-1994) in der Nikolaikirche im Frühjahr 1990 vorbereitet werden. Jürgen Teller, als früherer – von der StaSi verfolgter – Bloch-Assistent war als einleitender Referent vorgesehen. Die Leipziger Bürgerbewegungen wollten zu dieser Veranstaltung einladen.

Karola Bloch war von dieser Einladung sehr berührt. Sie wollte sie annehmen und sich auf die Seite der Demokratie „von unten“ stellen. Doch zu diesem Auftritt kam es nicht. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich. Die 85-Jährige konnte nicht reisen. Ein besonderer Moment in Leipzig fand nicht statt. Dieser konnte auch nicht mehr nachgeholt werden.

Schon im Herbst 1989 hatte Jürgen Teller, dem die DDR-Regierung seinen wissenschaftlichen Werdegang zerstörte, nach Tübingen geschrieben: „Karola, […], fehlt uns heute in Leipzig.“

Lesehinweis: Welf Schröter: Utopie und Moral. In: Francesca Vidal (Hg.): Wider die Regel. Mössingen 1991. S. 53-69. ISBN 978-3-89376-015-2

Ein Querdenker

(Foto: © Welf Schröter)

Am 29. April 2014 jährte sich zum einhundertsten Mal der Geburtstag eines revoltierenden Querdenkers und Verlegers, eines Spanienkämpfers, der 1947 aus dem mexikanischen Exil voller Hoffnung in die DDR kam. Vom NS-Regime wegen seines Widerstandes gegen das „Dritte Reich“ verfolgt und verhaftet, saß er in der Haftanstalt Bautzen ein. Jahre später wurde er vom SED-Regime verfolgt, angeklagt und verurteilt. Er musste wieder lange hinter Gitter – erneut in der Haftanstalt Bautzen.

In seinen frühen DDR-Zeiten leitete er den Aufbau-Verlag und brachte Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ heraus. Wegen seiner Sympathien für die polnische Opposition 1956 und für die ungarische Revolution desselben Jahres machte ihn Ulbricht zum Staatsfeind. Im gleichen Jahr wurde Karola Bloch aus der SED wegen angeblichem „polnischen Chauvinismus“ ausgeschlossen, sie erhielt Publikationsverbot. Ernst Bloch verlor seine Professur. In ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ würdigt Karola Bloch den Freund Walter Janka. Blochs und Jankas wollten demokratische Reformen in der DDR.

Heute – 25 Jahre nach dem Ende der DDR – erinnert sich Leipzig an Walter Janka, der am 17. März 1994 starb. Ulf Heise schrieb in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 29.4.2014: „Der ebenso charismatische wie tolerante Mann erregte Ärger bei den Sektierern und Fanatikern im SED-Politbüro.“ Walter Jankas Verständnis von Kommunismus war offen, liberal und ging dem voraus, was später in Prag „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ genannt wurde.

An seinem Grab würdigte ihn der Schriftsteller Günter Kunert mit den Worten: „Walter Janka kommt mir heute vor wie einer der letzten Gerechten, von denen das Judentum spricht; einer jener, die insgeheim die Last der Welt tragen.“

Jankas Lebensleistung, seine Veröffentlichungen und die Verletzungen in seiner Biografie wirken weiter. Gerade ein Vierteljahrhundert nach den Rufen „Wir sind das Volk“ ist Jankas Denken noch nicht abgegolten.

Erich Loest nahm sich das Leben

Um die Nikolaikirche in Leipzig drehten sich Erich Loests Gedanken. (Foto: © Welf Schröter)

Im Alter von 87 Jahren hat sich der Schriftsteller und langjährige Vorstand und Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Erich Loest das Leben genommen. Von schwerer Krankheit belastet stürzte er sich in Leipzig aus dem Fenster der Universitätsklinik. Einige Jahre zuvor verkündete er das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit, obwohl er täglich weiterhin seine Gedanken aufschrieb.

Loest war durch den Zweiten Weltkrieg Kommunist geworden und trat als junger Mensch in die SED ein. Er setzte Hoffnungen auf die DDR. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni und der Einmarsch der Panzer 1956 gegen die ungarische Revolution entzweiten ihn vom Staatsozialismus, der doch nur vorgab, einer zu sein. In einer Zeit, als die SED gegen Ernst Bloch, Karola Bloch und Wolfgang Harich wie auch gegen Gerhard Zwerenz massiv vorging, wurde auch Erich Loest zu den “Staatsfeinden” um dem vermeintlichen “Bloch-Kreis” gerechnet. Er bezahlte dies mit sieben Jahren Zuchthaus in Bautzen. Erich Loest verliess 1981 verbittert die DDR.

Aber er blieb ein aufrechter Rebell, Kritiker, Mahner und Ankläger unmenschlicher und undemokratischer Zustände. Seine Sympathien galten den Montagsdemonstrationen und dem “Neuen Forum”. Erich Loest sah eine seiner wichtigen Aufgaben in einem ehrlichen Dialog mit der polnischen Gesellschaft. Im Gespräch zwischen polnischen und deutschen Schriftstellern suchte er Annäherung ohne Vergessen.

Die Leipziger Schriftstellerin Regine Moebius fasste die Arbeit Loests in eigene Worte: »Wir alle verlieren mit Erich Loest einen Schriftsteller und Kulturpolitiker, der die persönlichen gesamtdeutschen Erfahrungen vor dem Mauerbau, während der Zeit der problematischen Kontakte durch eine ideologische und reale Mauer hindurch zum Anlass genommen hat, konstruktiv mit einer neuen Chance umzugehen und anstehenden Dialogen nicht auszuweichen«.

In den achtziger Jahren reiste er auch nach Tübingen. Er schätzte das Werk Ernst Blochs und die Lebensleistung Karola Blochs, mit der er freundschaftlich verbunden war und die er in Tübingen wiedertraf, wie er es in einem Interview mit Welf Schröter damals ausgiebig erläuterte. Mehrfach war er auf Buchmessen zu sehen, wo er alte und neue Freunde fand. Sein Leipzig, seine Achtung vor den Blochs und sein minutiöses Gedächtnis waren stets präsent. Erich Loest war ein Schriftsteller, der in seinen Werken dem Blochschen Denken verwandt blieb.

Vor 25 Jahren: „Major Tellheim“ besucht sein „Hauptquartier“

Das Grab Jürgen Tellers auf dem Leipziger Südfriedhof. Foto: © Welf Schröter

Nach Jahren der Erniedrigung, Unterdrückung und Verfolgung durch die StaSi konnte der Philosoph Jürgen Teller 1988 zum ersten Mal die DDR für einen Besuch verlassen. Er überschritt das Rentenalter und Freunde verhalfen ihm zur Mitgliedschaft im Schriftstellerverband. Die Tür durch die Mauer öffnete sich.

Unter dem Decknamen „Major Tellheim“ hatte er jahrelang seinem Doktorvater und späteren Freund Ernst Bloch – selbstgewählter Deckname „Marcion“ – in zahlreichen Briefen literarisch verschlüsselt geschrieben. Jürgen Teller war und blieb Bloch-Schüler. Für ihn war der Ort, wo sich Ernst und Karola Bloch aufhielten, das „Hauptquartier“ der gemeinsamen Sache, der Umwälzung und Demokratisierung der Gesellschaft.

In Tübingen traf er „Polonia“ – alias Karola Bloch –, die er von seiner „Minna von Barnhelm“ – alias Johanna Teller, der Galeristin und Bauhausanhängerin – grüßte. Doch wirklich angekommen war er erst, als er am Grab seines philosophischen Lehrmeisters stand. Da sprach er davon, dass noch so viel unabgegolten war, noch so viel zu leisten sei. Die „Heimat“ sei noch nicht erreicht.

In dem Band „Briefe durch die Mauer“ wird der innige und rebellische Dialog zwischen der Opposition Ost in Leipzig und der Opposition West in Tübingen lebendig. Jürgen Teller ging aus der deutsch-deutschen Wende nicht als „Gewinner“ hervor. Sein undogmatisch-philosophisches Denken um Marx, Giordano Bruno, Goethe und vor allem Bloch war an der Leipziger Universität vor dem Mauerfall so unbeliebt wie danach. Wenn auch nach 1989 aus anderen Gründen.

Es ist an der Zeit, an Jürgen Teller zu erinnern. Am 12. September 2013 wäre er 87 Jahre alt geworden. Er starb am 10. Juni 1999.