Das Digitale als Allianz zwischen Mensch und Technik?

Klaus Kornwachs am 29. November 2014 auf Einladung des Forum Soziale Technikgestaltung im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein (Foto: © Welf Schröter)

Klaus Kornwachs am 29. November 2014 auf Einladung des Forum Soziale Technikgestaltung im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein (Foto: © Welf Schröter)

Vor einem übergroßen Porträt des Philosophen Ernst Bloch eröffnete der blochkritische Technikphilosoph Klaus Kornwachs seine nachdenkliche Rede über „Industrie 4.0 – Ungleichzeitigkeit und Allianztechnik“ mit einem Bloch-Zitat aus dem „Prinzip Hoffnung“: „Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland und vom Landesinneren weiß sie nichts, die Materie der Sache ist ihr transzendent.” 

Nach ausgiebiger Analyse ökonomischer und produktionstechnischer Tendenzen der letzten Jahre wandte sich der technikaffine Redner den prognostizierbaren Auswirkungen von „Industrie 4.0“ zu. Bezugnehmend auf den Titel der Tagung „Identität in der Virtualität“ in der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ wagte er eine anspruchsvolle These zur Notwendigkeit neuer Wege der Technikgestaltung im Hinblick auf die heraufziehende Logik von „Industrie 4.0“: „Das Entstehen von Fachkräftemangel und Sockelarbeitslosigkeit durch Anpassungsprobleme an gestiegene Qualifikationsanforderungen ist nicht nur eine Herausforderung an die Ökonomie und Wirtschaftspolitik (Politische Ökonomie), sondern auch an die Technikgestaltung und die Innovationsfähigkeit.“ (Kornwachs)

Kern der Überlegungen Kornwachs‘ ist die Annahme, dass die neue Generation digitaler Software und leistungsfähiger Netze die Widersprüche zwischen Mensch und Technik weniger vertiefen sondern eher aufheben helfe. Er setze auf eine Vermittlungsfunktion des Digitalen, die eine neuartige, durchaus kreative Allianz zwischen Mensch und Technik möglich mache.

Die Transformation der Arbeit geschehe dabei unter den Bedingungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Ungleichzeitigkeit. Kornwachs: „Außerdem lösen die technischen Möglichkeiten nicht nur die klassischen Vorstellungen von Arbeitsort und Arbeitszeit und Identität auf, sondern es gibt jetzt schon eine breite Koexistenz völlig unterschiedlicher Formen von Arbeitsorganisationen und Formen von Arbeitsteilung nebeneinander, die miteinander zu vermitteln durch die IKTs immer besser ermöglicht wird, für den Einzelnen aber undurchschaubar ist.“ 

Blochs Allianzverständnis müsse daher aktualisiert und in Kritik am Hegelschen Arbeitsbegriff weiterentwickelt werden.

 

 

Identität der Entfremdung

Andreas Boes (Foto: © Welf Schröter)

Der Münchner Sozialwissenschaftler Andreas Boes hat sich auf einer gemeinsamen Stuttgarter Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll und des Forum Soziale Technikgestaltung in gebotener Schärfe mit dem Wandel der Arbeit in der globalen IT-Wirtschaft auseinandergesetzt.

Mit spitzer „Feder“ seziert er dabei die sich ausbreitende Strategie großer Konzerne, ihre Stammbelegschaften zu verkleinern und diese gleichzeitig in einen alltäglichen Wettbewerbsstress mit den global nomadierenden Freelancern zu treiben.

Neue Leistungssysteme sollen Feste (Jobbing) mit Freien (Tasking) dynamisch gegeneinander verschränken. Boes spricht vom sich radikalisierenden „System permanenter Bewährung“. Die ausgeweitete Transparenz offenbart stetig das Leistungsvermögen des Einzelnen und ordnet ihn in Rankings ein. Der sich verkehrende Community-Traum der „Liquids“ spült mit der Gestik des Innovativen soziale Sicherheiten beiseite. 

Der ideologisierende Imperativ der Community „Privatheit ist Diebstahl“ reduziert das Individuum zur „funktionalen Identität“ (Boes), die ständig hohe Leistung und Kreativität entäußern muss. „Funktionale Identitäten“ sind technikgestützte Wettbewerbsrollen im „globalen Informationsraum“ (Boes) im Prozess digitaler oder digital assistierter Wertschöpfung mit Hilfe des Auswahlmodells Crowdsourcing. Auch die dabei noch verbliebenen Kapazitäten an Individualität und „Creativity“-Alleinstellungsmerkmalen werden nun der „Inwertsetzung“ (Boes) unterworfen.

Die Analyse von Andreas Boes und die Darlegung der „funktionalen Identität“ offenbaren die Kräfte der Entfremdung, die in den globalen Informationsgesellschaften auf Erwerbstätige und Erwerbssuchende einwirken. Doch hinter bzw. unter der Bewußtseinsschicht der Rolle „funktionale Identität“ liegen die noch unabgegoltenen Bewußtseinsschichten des nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit strebenden kreativen Subjekts, das als Mensch nach Ausdrucksformen emanzipatorischer Identitätsstiftung sucht.

Das Eine ist mit dem Anderen nicht gleichzeitig. Das Alte wirkt weiter und wirkt in das Neue hinein. Rudolf Bahro sprach einst ganz dialektisch von der gesellschaftlichen Kraft „überschüssigen Bewusstseins“. So betrachtet ist das System Crowdsourcing immanent burnoutgefährdet. Schwarm-Intelligenz lässt sich nicht dauerhaft in ein System sperren. „Funktionale Identitäten“ sind nicht nachhaltig, auch ökonomisch nicht.

Vierte industrielle Revolution?

Henning Kagermann (Foto: © Welf Schröter)

Er ist von Hause aus habilitierter Physiker, war Vorstandssprecher der SAP AG und übt heute das Amt des Präsidenten der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) aus. Prof. Dr. Henning Kagermann folgt einem besonderen Traum, der den Charakter der Vision schon hinter sich gelassen hat. Er plädiert für die „vierte industrielle Revolution“ – auch „Industrie 4.0“ genannt – bei der eine neue Qualität der Automation in einer „intelligenten Fabrik“ neuen Typs realisiert werden soll.

Grundlage sei die Option der „Vernetzung von allen“ (Menschen) und der „Vernetzung von allem“ (Sachen bzw. Geräte) mit Hilfe sogenannter physisch-virtueller Umgebungen (Cyber-Physical Systems). Kagermann sieht hierin die „Veredelung des Bestehenden“. Er weist das Technikbild der „menschenleeren Fabrik“ vehement als falsch zurück, kritisiert den alten zentralistischen Denkansatz und setzt auf die kommende Bedeutung des Individuums in dezentralen Fertigungsprozessen.

Die neuen soziotechnischen Systeme bedürfen seiner Meinung nach einer allseitigen Partizipation der Arbeitenden, da sonst die neue dezentral ausgerichtete Welt der Produktion nicht handhabbar wird. Es bedarf der Personalisierung und Individualisierung. Daher sucht er den Dialog mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Betriebsräten und Gewerkschaften. Vor mehr als 200 eher honoratiorengleichen Repräsentanten der Technikforschung in Stuttgart – darunter nur zwei Gewerkschafter – würdigte er anlässlich der Verleihung des „Forschungspreises Technische Kommunikation 2013“ der Alcatel-Lucent Stiftung die Rolle und Haltung der IG Metall. Die Gewerkschaft wolle die positive Gestaltung von „Industrie 4.0“, um eine neue Autonomie der Beschäftigten durchzusetzen. Umbau als Chance für Interventionen.

Kagermann geht auf die Gewerkschaft zu und unterstreicht, dass Komplexität und Komplexitätsreduzierung operative Akteurscluster benötigen, dass prozessbezogen – von Anfang an – eine Strategie der „Akzeptanz by design“ erforderlich ist. Kagermann will heraus aus der „Komplexitätsfalle“, will bestehende Technik verfahrenstechnisch optimieren, will „Industriekonvergenz“ vorantreiben und setzt auf die „wandlungsfähigen Produktionsstätten“. Mutig spricht er von „disruptiver Innovation“ und der Notwendigkeit „kreativer Zerstörung“.

Kagermanns Angebot zum Gestaltungsdialog reflektiert den aufgeschlossenen und modernen Flügel gegenwärtiger Industriepolitik. Dennoch stecken in seinem Denken noch massive Reste eines traditionellen Fortschrittsbegriffs, der auf Technologie und Infrastruktur setzt, der technikzentriert konzipiert und prozess- statt menschenzentriert argumentiert. Deutlich wird dies, wenn er die Potenziale der Kommunikation zwischen Maschinen hervorhebt und noch erkennbarer, wenn er postuliert: „Roboter und Menschen arbeiten in einem sozialen Netzwerk.“

Hier liegt die Herausforderung für den Diskurs „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ im Jahr 2014, der vom Forum Soziale Technikgestaltung organisiert und vom „bloch-blog“ begleitet wird. Wie sähe ein menschenzentriertes Umbauszenario der vierten industriellen Revolution aus? Welcher Fortschrittsbegriff ist vonnöten? Der Gestaltungsansatz der IG Metall verdient Unterstützung.

Zweifellos bietet hierfür die Blochsche Philosophie wesentliche Kriterien. Nicht nur die Mehrschichtigkeit der individuellen und gesellschaftlichen Zeiterfahrung, die Bloch mit dem Begriff „Ungleichzeitigkeit“ besetzt, sondern neben der „Allianztechnik“ kann auch sein Motiv des „Multiversums“ als methodische Lesart zum Handwerkszeug des „social design“ in „Industrie 4.0“ werden. Für Bloch bietet technischer Fortschritt unter anderem dann einen sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt, wenn damit individuelle Freiheit erweitert und Entfremdung verringert werden.

Diskurs „SozialCharta Virtuelle Arbeit“

Foto: Schröter

Mit dem pluralistischen Diskurs um eine „SozialCharta Virtuelle Arbeit“ soll ein Blick in die nahe Zukunft der Arbeit geworfen werden. Dabei geht es gestalterisch um die Frage, „was wir heute anstoßen sollten, damit morgen verbesserte humane und soziale Arbeitswelten in der Informations- und Wissensgesellschaft möglich werden“. Deshalb befasst sich der Diskurs sowohl mit einer Vorausschau wie auch mit der Beschreibung dessen, was zukünftig sozial genannt wird.

Am Ende des offenen Diskurses, an dem sich Menschen unterschiedlicher weltanschaulicher Richtungen und unterschiedlicher Positionen aus Wirtschaft- und Arbeitszusammenhängen beteiligen, steht keine Musterlösung und keine Musterbetriebsvereinbarung. Es geht vielmehr um die Sammlung konsensfähiger Eckpunkte, die in betriebliche, tarifliche und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse eingebracht werden können. Der Diskurs will widersprüchliche Interessen der um Einkommen bemühten Berufstätigen aufgreifen, kontrovers beraten und Gemeinsamkeiten herausarbeiten.

Der Diskurs bezieht sich auf Erfahrungen und Kenntnisse, die aus der ehrenamtlichen Arbeit des seit zwanzig Jahren aktiven Personennetzwerkes Forum Soziale Technikgestaltung gesammelt wurden. Zugleich ist der Diskurs eine Art Werkstatt-Blitzlichtaufnahme, der auch seine Grundannahmen hinterfragt und immer wieder an neue Erfahrungen anpasst.

Die einfließenden Meinungen kommen von Betriebsräten, Personalräten, Beschäftigten, Angestellten, Wissenschaftler/innen, Erwerbssuchenden, Selbstständigen, Werkverträgler/innen, Gewerkschafter/innen, unternehmerisch Handelnden, Forschenden, Verbandsvertreter/innen, politisch Aktiven, CLOUDwerkern, Netznomaden, Cybernauten und Neulingen. Alle demokratisch denkenden Menschen, die hart in der Sache und freundlich im Umgang debattieren wollen, sind willkommen. Kontakt: schroeter@talheimer.de

„Industrie 4.0“ als Janusgesicht der Arbeitswelt

Foto: Schröter

Seit den neunziger Jahren wird die Arbeits- und Erwerbswelt durch den voranschreitenden Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnik geprägt. Durch die technisch bedingte Möglichkeit, den Orts- und Zeitbezug von Arbeit schrittweise zu lockern, nimmt die Verlagerung von Arbeits- und Geschäftsprozessen in den virtuellen Raum stetig zu. Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten vollzieht sich der Prozess der „Virtualisierung der Arbeit“. Nach den einfachen Anfängen in Gestalt von alternierender Telearbeit stehen heute die Virtualisierungen und Automatisierungen komplexer Abläufe im Netz an. Seit langem spricht das Forum Soziale Technikgestaltung von „Neuen Infrastrukturen der Arbeit“, die es partizipativ energisch sozial zu gestalten gelte.

Unter dem Konzept „Industrie 4.0“, das in der Automobil- und in der Chemiebranche samt Zuliefererketten pilotiert wird, versteht man die weitreichende Digitalisierung, Virtualisierung und Neuorganisation von Produktionsabläufen. Dabei wird die „digitale Fabrik“ selbst zum Produkt. Das Konzept „Industrie 4.0“ hat drei Gesichter: Es entfesselt einen erheblichen Rationalisierungsgrad, es bildet die strategische Grundlage für den Industriestandort im globalen Wettbewerb und es eröffnet gute Chancen für die Neugestaltung der Arbeit im Sinne der Humanisierung.

Der IT-Verbund von IT-Entwicklungs- und IT-Anwendungsunternehmen hat sich eine Utopie von „Industrie 4.0“ erarbeitet. Darin heißt es:

„Es sind also nicht allein neue technische, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Zukunft bestimmen, sondern auch neue soziale Infrastrukturen der Arbeit in Industrie 4.0, die eine sehr viel stärkere strukturelle Einbindung der Beschäftigten in Innovationsprozesse sicherstellen können. Eine wesentliche Rolle wird dabei der durch Industrie 4.0 einsetzende Paradigmenwechsel in der Mensch-Technik- und Mensch-Umgebungs-Interaktion spielen, mit neuen Formen der kollaborativen Fabrikarbeit in virtuell mobilen Arbeitswelten, der nicht zwangsläufig in der Fabrik stattfinden muss. Intelligente Assistenzsysteme mit multimodalen und bedienungsfreundlichen Benutzerschnittstellen werden die Beschäftigten in ihrer Arbeit unterstützen. Entscheidend für eine erfolgreiche Veränderung, die durch die Beschäftigten positiv bewertet wird, sind neben umfassenden Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen die Organisations- und Gestaltungsmodelle von Arbeit. Dies sollten Modelle sein, die ein hohes Maß an selbstverantwortlicher Autonomie mit dezentralen Führungs- und Steuerungsformen kombinieren. Den Beschäftigten sollten erweiterte Entscheidungs- und Beteiligungsspielräume sowie Möglichkeiten zur Belastungsregulation zugestanden werden.“ (BITKOM und acatech)

Philosophie trifft Arbeitswelt

Foto: Schröter

Was heißt Identität? Was bedeutet sie angesichts der Zunahme virtueller Arbeits- und Berufsumgebungen? Dieser Frage gingen Interessierte aus Philosophie, Pädagogik und Arbeitswelt nach. Unter dem Titel „Identität in der Virtualität“ kamen auf Einladung des Forum Soziale Technikgestaltung, der Ernst-Bloch-Gesellschaft und des Ernst-Bloch-Zentrums DiskurspartnerInnen in Ludwigshafen zusammen.

Was passiert mit dem menschlichen Subjekt im Spannungsgefüge von Realität und Virtualität, zwischen fiktiver Realität und realer Virtualität, von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit? Erleichtert dieses Spannungsgefüge die gesellschaftliche und individuelle Emanzipation oder stellt es ein wachsendes Hemmnis dar?

Eines der zentralen wachsenden Zukunftsthemen für die Erwerbswelt ist das Entstehen, Sichern und Pflegen von Identität, von Identitätsstiftung aus virtuell-flüchtigen Arbeitsumgebungen. Betriebe, Verwaltungen und Beschäftigte sehen sich einer Überlappung und eines Zusammenwachsens real-materieller und virtuell-immaterieller Entwicklungen gegenüber. Virtuelle und nicht-virtuelle Wirklichkeiten in den Geschäfts- und Arbeitsumgebungen greifen ineinander und erzeugen eine ganzheitlich wahrnehmbare Mischform der Arbeitswelt. Orts- und zeitbezogene Arbeitswelten werden vom Trend zur Entortung und Entzeitlichung der Geschäftsabläufe durchdrungen.

Erforderlich ist eine veränderte Definition von Freiheit im Netz. Der technikgetriebenen Aussage „Wer bin ich im Netz und wieviele?“ muss ein nutzergesteuertes Identitätsmanagement gegenübergestellt werden, das es Individuen erlaubt, in konzeptionell geplanter Weise die eigene Identität im Netz („Virtuelles Ich“) aufzubauen und zu pflegen. Nutzerinnen und Nutzer benötigen die Freiheit des Irrtums und der Korrektur. Dazu ist eine rechtlich abgesicherte Kultur der Anwendungen von Pseudonymen und Anonymisierungsinstrumenten unabdingbar.

Im „biografischen Ich“ wirken die Ichs der Vergangenheit ungleichzeitig nach. Das gegenwärtige „biografische Ich“ ist ein ungleichzeitiges „Wir“ (Mehrfach-Ich). Das „virtuelle Ich“ ist zumeist die formale Verknüpfung von gegenwärtigen und zurückliegenden Einzeldaten bezüglich des „biografischen Ichs“. Es bildet ein „virtuelles Ich“ als gleichzeitiges „Wir“ (Mehrfach-Ich). Das „virtuelle Ich“ ist zunächst nur ein Objekt verschiedener Such- und Verknüpfungsmaschinen, bevor es nach technischer Optimierung und Automatisierung (z.B. durch Softwareagenten) beginnt, eine relative Autonomie zu erlangen.

Das „biografische Ich“ verhält sich zu seinem „virtuellen Ich“ ungleichzeitig.

Virtualisierung der Arbeit

Inzwischen ist der „Wandel der Arbeit“ ein Thema für viele Akteure in der Gesellschaft geworden. Nicht nur Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte diskutieren die „Virtualisierung der Arbeit“ und „Neue Infrastrukturen der Arbeit“ (Schröter) sondern auch Selbstständige, Freelancer und Kleinbetriebe.

Die Informationstechnologie bietet die Grundlagen dafür, dass Teile von Arbeitsabläufen und wachsende Ausschnitte von Arbeitsvolumina per technischer Leitung verlagert werden können. Die Digitalisierung von Vorgängen zieht eine tendenzielle Flüchtigkeit nach sich. Die Potenziale der Arbeitswelten am Netz und über das Netz lockern die Bindung an Orte und vereinbarte Räume. Mehr noch: Die beschleunigt voranschreitende Virtualisierung verwandelte den Charakter der Arbeitsinhalte und des Verständnisses von Arbeit. Arbeit beginnt sich strukturell zu enträumlichen.

Die industrielle Arbeitswelt der materiellen Produktion und der materiellen Dienstleistungen wird immer mehr von virtuellen Arbeitsumgebungen durchdrungen. Reale und virtuelle Arbeitswelten verschmelzen zu einer neuen Wirklichkeit, zu einer verspannten Räumlichkeit. Diese neue Wirklichkeit entsteht unter anderem dadurch, dass das Reale das Virtuelle und das Virtuelle das Reale konstitutiv wechselseitig bedingt. Das eine ist ohne das andere auf Dauer nicht handlungsfähig. Die Erwerbsarbeit des industriellen Typs wird schrittweise abgelöst von einer Mischung des Realen und des Virtuellen. Die Durchlässigkeit der Räume prägt die Wahrnehmung des Raumes als nicht-beständig. Zur synchronen Dreigliedrigkeit des Industriearbeitsplatzes von Ort, Zeit und Organisation tritt in der wissensbasierten asyn­chronen Arbeitsrealität die Ungleichzeitigkeit des Ortes, der Zeit und der Verfasstheit von Arbeit als dauerhafte vierte Konstante. Die Arbeitswelten der Informations- und Wissensgesellschaften fußen unter anderem auf der Ungleichzeitigkeit des Realen mit dem Virtuellen. Eine derartige Ungleichzeitigkeit verlangt eine strukturell andere Emanzipationsstrategie. Sie schließt eine Emanzipation mit Hilfe der Virtualität und vor allem in der Virtualität ein.

Die Initiative „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ – getragen vom Forum Soziale Technikgestaltung und weiteren Partnern – führt dazu einen strukturierten Diskurs durch.