Janina Kowalewska

Denkmal in Warschau für den jüdischen Ghetto-Aufstand 1943 (Foto: © Welf Schröter)

Am 15. Mai 2014  ist in Warschau im Alter von 90 Jahren Janina Kowalewska gestorben. Sie war die einzige Verwandte Karola Blochs, die den Ghettoterror in Warschau űberlebte.

Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen begann das Regime mit dem Aufbau des „Ghetto Litzmannstadt“ in Lodz. Die Eltern Karola Blochs, Helena Piotrkowska und Maurycy Piotrkowski, sowie ihr Bruder Izio Piotrkowski und dessen Frau Andziula Piotrkowska geb. Tagelicht wie auch deren Sohn Jercy wurden dorthin verschleppt. Das NS-Regime transportierte die beiden Familien danach unter Zwang ins Ghetto Warschau. Von dort wurden sie 1942 und 1943 in das Konzentrationslager Treblinka verbracht und ermordet.

Zu den Inhaftierten im Warschauer Ghetto gehörte auch Janina Kowalewska geb. Lucyna Engelmann. Sie war die Tochter des jüngeren Bruders von Karola Blochs Mutter Helena. „Janka“ überlebte das Ghetto, weil ihr Dienstmädchen sie mutig als ihre eigene „arische“ Tochter ausgab. Janina Kowalewska heiratete den polnischen Architekten Andrzej Kowalewski, der große Verdienste beim Wiederaufbau von Warschau hatte.

Die gewaltsame Internierung ihrer Familie im Ghetto „Litzmannstadt“ und im Ghetto Warschau sowie die Ermordung ihrer Angehörigen im KZ Treblinka war für Karola Bloch bis zu ihrem Lebensende eine traumatische Erfahrung. In eindrücklicher Weise hat Karola Bloch dies in ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ geschildert. 1978 besuchte Karola Bloch ihre Kusine in Warschau: „Als ich Janina fragte, wie es im Ghetto war, wollte sie mir nichts erzählen. Es sei zu schrecklich gewesen.“ Für Karola Bloch war der aussichtslose, aber notwendige jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 ein Symbol für den Kampf um „die Würde des Menschen“. Als Karola Bloch vor zwanzig Jahren am 31. Juli 1994 in Tübingen starb, nahm Janina Kowalewska mit ihrem Sohn an der Beisetzung teil.

Im Nachlass Karola Blochs befanden sich Briefe ihres Bruders Izio und ihrer Schwägerin Andziula. Sie wurden 2010 im Band „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“ unter dem Titel „Karola Bloch und das Trauma der Ermordung ihrer Familie – Briefe aus dem Warschauer Ghetto“ auszugsweise veröffentlicht. Ernst und Karola Bloch hatten Andziula, die Tänzerin und Schülerin Mary Wigmans, sehr geschätzt.

Janina Kowalewska hatte erzählt, dass Andziula Piotrkowska im Ghetto Warschau zur Ermutigung der Kinder und Erwachsenen Ravels Bolero tanzte.

Der Tod Janina Kowalewskas erinnert daran, im Widerstand gegen Antisemitismus und Rassismus nicht nachzulassen. Wir erleben heute die wachsende Ausbreitung antisemitischer Äußerungen, Haltungen und Handlungen. Wir müssen mit Bedauern erkennen, dass auch akademisch gut ausgebildete Menschen davor zurückweichen. Janina Kowalewska war mutig und wurde aktiv. Die Erinnerung an sie sollte uns Ermutigung sein und Zivilcourage stärken.

Mut zum Mut

Foto: © Welf Schröter

Inmitten des spannungsgeladenen Ringens um Erinnerung und die Würdigung des Widerstandes einfacher Menschen gegen Hitler, tritt eine Frau ans Mikrophon. Sie ist unüberhörbar Schwäbin, noch zögerlich, zum ersten Mal am Podium eines wissenschaftlichen Fachsymposiums. Sie spricht, immer sicherer werdend, dreißig Minuten über das Leben ihres Vaters und ihrer Mutter. Martin Maier war einer der maßgeblich Aktiven im „Mössinger Generalstreik“ gegen Hitler.

Beinahe dreißig Jahre lang erhob keine Person aus dem Kreis der Nachkommen der einst von der Gestapo verfolgten Teilnehmer des Generalstreiks öffentlich mehr die eigene Stimme. In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren die greisen Streikenden ein letztes Mal zu vernehmen. Nun tritt die über fünfzigjährige Rosemarie Vogt in die Öffentlichkeit. Bevor steht der achtzigste Jahrestag des Aufstandes in dem damaligen Textildorf am Rande der Schwäbischen Alb.

Sie spricht geradlinig, deutlich und nicht schüchtern. Sie verteidigt das Handeln ihrer Eltern. Ihr Vater hatte gesagt: „Ich hätte mir beim Rasieren nicht mehr in die Augen schauen können. Es war doch unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit den Leuten zu sagen, wer Hitler wählt, wählt Krieg. Wir konnten sie doch nicht mit offenen Augen ins Unglück rennen lassen.“

Die Tochter des bis zu seiner Amtsniederlegung 1933 aktiven Gemeinderats Martin Maier, der für seine Tat von der NS-Justiz zu 358 Tagen Gefängnis wegen Landeshochverrat und Hausfriedensbruch verurteilt, nach 1945 gerichtlich rehabilitiert und wieder zum Gemeinderat und Kreisrat gewählt wurde, lobte seinen „idealen Kommunismus“, der ihn trieb, sich für seine Mitmenschen einzusetzen. Später sprach sich Maier gegen die Ulbricht-Mauer und gegen die Sowjetpanzer in Prag aus. Sein Kommunismus war nicht der Kommunismus der Stalins, Breschnews etc.

Doch während in anderen Städten sich ein gewisses stolzes Selbstbewusstsein breit machen würde, spaltet die Erinnerung an den legitimen Widerstand der Mössinger gegen Hitler das heutige Stadtgeschehen. Rosemarie Vogt spricht von der Gegenwart, wenn sie die heutige „Verleumdung oder wenigstens üble Nachrede“ anprangert.

Während der NS-Zeit waren es vielfältige Denunziationen, die 98 Streikteilnehmer vor Gericht brachten. Nach 1945 war es das Schweigen und die subkutane Herabwürdigung der 800 Mutigen. Sie wurden als Wegbereiter von Stacheldraht und Lagern, als „Zuchthäusler“ und Gewalttätige bezeichnet. Heute im Januar 2013 braucht es in Mössingen erneut Zivilcourage, um gegen jene zu sprechen, die den Eindruck erwecken wollen, dass Hitler weniger schlimm gewesen sei als Stalin. – Als ob man zwischen zwei Mördern wählen könnte.

Am Ende ihrer Rede mit der Überschrift „Mut zum Mut“ lächelt Rosemarie Vogt und sagt selbstbewusst und augenzwinkernd: „Ich hoffe und wünsche mir, dass ich das Bild, das sich der eine oder andere von den ,schrecklichen‘ Kommunisten machte, etwas milder zeichnen konnte. Denn was zählt ist wie ein Mensch gelebt hat und wie er handelte.“

Ein kaum enden wollender Beifall gibt der Rednerin Ermutigung zurück. Sie hatte auch aus dem Herzen zahlloser Nachkommen der Generalstreikerfamilien gesprochen, die den Tränen nahe in den mittleren Reihen des Auditoriums sitzen. Es war ein Stück Zivilcourage in der Zivilgesellschaft gewachsen.