„Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ – so resümierte eine Mössingerin ihre Erzählung über die Ereignisse an jenem 31. Januar 1933, als die Arbeiterbewegung ihres Heimatorts den Generalstreik gegen die tags zuvor eingesetzte Hitlerregierung durchzuführen versuchte. Zwischen 600 und 800 Demonstranten sollen es gewesen sein, die im damals etwa 4.000 Einwohner zählenden Arbeiterbauerndorf Mössingen durch die Straßen und aus den Fabriken zogen. Es gelang ihnen, zwei der größten Betriebe am Ort stillzulegen, doch nach kurzer Zeit wird der „Mössinger Aufstand“ – wie ihn viele der damals Beteiligten nennen – durch massiven Polizeieinsatz abgebrochen. 80 Personen aus Mössingen und seinen Nachbargemeinden sind es dann, die für diesen vergeblichen Versuch, Terror und Krieg für Deutschland und Europa abzuwenden, ins Gefängnis oder ins KZ kommen – die meisten für einige Monate, manche für mehrere Jahre.
Vor knapp dreißig Jahren erschien endlich die erste Textsammlung und Dokumentation dieses außergewöhnlichen Ereignisses in Mössingen. Nun ist das Buch wieder zugänglich. Hermann Berner und Bernd Jürgen Warneken, die Herausgeber des Bandes „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier! – Der Mössinger Generalstreik gegen Hitler“, widmen diese ergänzte und erweiterte Neuausgabe dem letzten Überlebenden der ehemaligen Generalstreiker, der im Alter von fast 102 Jahren im Januar 2010 gestorben ist: „Jakob Textor zu Ehren“. Jakob Textor war beim Generalstreik dabei und hatte durch viele öffentliche sowie nächtliche Aktionen vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Sein spektakuläres Erklimmen des Kamins der Textilfirma Pausa, um dort die rote Fahne gegen Hitler zu hissen, bleibt im Gedächtnis.
Bei der Vorstellung des umfangreichen Werkes mit neuer Aufmachung verband Irene Scherer ihre Würdigung des Generalstreiks mit einem engagierten Plädoyer für Europa: „Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa hat eine ähnlich weit reichende Bedeutung wie der Fall der Berliner Mauer 1989. Es geht erneut um die Neuausrichtung Europas. Die Frage der Richtung steht wieder auf der Tagesordnung. Nicht die Rückwendung auf ein nationalstaatliches oder gar nationalistisches Denken ist gefordert, sondern die aktive Hinwendung zu einem Mehr an Europa ist unabdingbar. Es ist die Stunde von Vaclav Havel, Lew Kopelew und Adam Michnik: Die Demokratie verbündet sich mit Europa, nicht mit einem nationalen Rückschritt. Wir brauchen ein demokratisches und friedfertiges Gesamteuropa. Unsere Freunde in der Charta 77 in Prag sagten es in ihren Worten: Die Antwort auf Hitler heißt Europa.“ (Rede als pdf-Datei verfügbar). Ernst Blochs „Erbschaft dieser Zeit“ kann Pate stehen für ein Verständnis der Mössinger Ereignisse – damals und heute.
(Hermann Berner, Bernd Jürgen Warneken (Hg.): „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier!“ Der Mössinger Generalstreik gegen Hitler – Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes. ISBN 978-3-89376-140-1)