Der Münchner Sozialwissenschaftler Andreas Boes hat sich auf einer gemeinsamen Stuttgarter Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll und des Forum Soziale Technikgestaltung in gebotener Schärfe mit dem Wandel der Arbeit in der globalen IT-Wirtschaft auseinandergesetzt.
Mit spitzer „Feder“ seziert er dabei die sich ausbreitende Strategie großer Konzerne, ihre Stammbelegschaften zu verkleinern und diese gleichzeitig in einen alltäglichen Wettbewerbsstress mit den global nomadierenden Freelancern zu treiben.
Neue Leistungssysteme sollen Feste (Jobbing) mit Freien (Tasking) dynamisch gegeneinander verschränken. Boes spricht vom sich radikalisierenden „System permanenter Bewährung“. Die ausgeweitete Transparenz offenbart stetig das Leistungsvermögen des Einzelnen und ordnet ihn in Rankings ein. Der sich verkehrende Community-Traum der „Liquids“ spült mit der Gestik des Innovativen soziale Sicherheiten beiseite.
Der ideologisierende Imperativ der Community „Privatheit ist Diebstahl“ reduziert das Individuum zur „funktionalen Identität“ (Boes), die ständig hohe Leistung und Kreativität entäußern muss. „Funktionale Identitäten“ sind technikgestützte Wettbewerbsrollen im „globalen Informationsraum“ (Boes) im Prozess digitaler oder digital assistierter Wertschöpfung mit Hilfe des Auswahlmodells Crowdsourcing. Auch die dabei noch verbliebenen Kapazitäten an Individualität und „Creativity“-Alleinstellungsmerkmalen werden nun der „Inwertsetzung“ (Boes) unterworfen.
Die Analyse von Andreas Boes und die Darlegung der „funktionalen Identität“ offenbaren die Kräfte der Entfremdung, die in den globalen Informationsgesellschaften auf Erwerbstätige und Erwerbssuchende einwirken. Doch hinter bzw. unter der Bewußtseinsschicht der Rolle „funktionale Identität“ liegen die noch unabgegoltenen Bewußtseinsschichten des nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit strebenden kreativen Subjekts, das als Mensch nach Ausdrucksformen emanzipatorischer Identitätsstiftung sucht.
Das Eine ist mit dem Anderen nicht gleichzeitig. Das Alte wirkt weiter und wirkt in das Neue hinein. Rudolf Bahro sprach einst ganz dialektisch von der gesellschaftlichen Kraft „überschüssigen Bewusstseins“. So betrachtet ist das System Crowdsourcing immanent burnoutgefährdet. Schwarm-Intelligenz lässt sich nicht dauerhaft in ein System sperren. „Funktionale Identitäten“ sind nicht nachhaltig, auch ökonomisch nicht.