Es war ein Hörspiel besonderer Art, das Simone Schneider für den Deutschlandfunk hervorbrachte. Unter dem Titel „Roter Stern“ erklang am 8. September 2012 eine umfassende akustische Collage mit bitterbösem satirisch und dadaistisch aufgeladenen Sprachfetzen aus dem Äther: „Das Schiff der Utopie unter dem Sowjetemblem: Der Hochseedampfer Roter Stern schwimmt zwischen Russland und Amerika, gesteuert von einer fantastischen Besatzung. Eine Arche der Neuzeit, deren Reise in den 20er-Jahren beginnt und heute endet, mit ihrem Untergang.“ Es ist die Rückkehr der russischen Revolutionen von 1905 und 1917 sowie deren Nachgeschichte bis Gorbatschow. Schneider zerlegt und zerstört in sprachkritischer Schärfe den von Herrn Wladimir Iljitsch Uljanow ausgerufenen idealen Traum einer Tscheka-Sowjetgesellschaft. Die Fahrt des irrealen Schiffes in die Zukunft verläuft historisch rückwärts. Unter der die Dialektik parodierenden Parole „Vergesst die Apokalypse, beginnen wir mit der Genesis“ zerfällt die Staatsrhetorik: „Utopia ist fest in den Händen der Katastrophendienste.“ So lautet eine Eilmeldung. „Hungerstreikende zelten unter einem Zitat von Puschkin“. Bei diesen Nicht-Sätzen wirkt weniger ein hoffendes Noch-Nicht als vielmehr ein erleichtertes Nicht-Mehr. – Nur der Wille zur Genesis blieb als Wort haften. Simone Schneider hat die Utopie von ihrer totalisierenden Verstaatlichung befreit. Ein schmerzhafter, aber unabdingbarer Schritt.