Heimat statt Heimat

Avishai Margalit (Foto: © Welf Schröter)

Eine Gesellschaft, in der keine Erniedrigung geduldet wird und die zwischen ihren Bürgerinnen und Bürgern einen anständigen Umgang sichert, nennt der israelische philosophierende Denker eine „decent society“. Die Eckpunkte derselben trug der 1939 geborene Avishai Margalit in Beispielen in seiner Dankesrede beim Empfang des „Ernst-Bloch-Preises 2012“ im Ernst-Bloch-Zentrum vor. Das Mitglied der israelischen Peace Now-Bewegung und der Israel Academy for Science and Humanities wurde von der Stadt Ludwigshafen am Rhein und dem Ernst-Bloch-Zentrum zum zehnten Preisträger erkoren. Margalit ist Verteidiger seines Landes und zugleich einer seiner großen Kritiker. Er wendet sich gegen den traditionellen Zionismus und sucht nach einem neuen Politikkonzept. Seine Kritik an der israelischen Gesellschaft ist ähnlich wie die an der palästinensischen Gesellschaft. Beide tragen Variationen der Nostalgie-Sehnsucht vor sich her, um reine Momente der Vergangenheit in die Zukunft zu transponieren. Dies könne keine tragfähige Lösungen hervorbringen. Beide Gesellschaften verharrten in ihrer jeweiligen Rückwendung und suchten unschuldige Heimaten „in the past“. Dieser Typ von Nostalgie führe zu Brutalität. Margalit spricht von Heimat im Sinne von Herkunft als Teil der Vergangenheit. Er wendet alte Zeiten gegen Gegenwart. Avishai Margalit erhielt den Ernst-Bloch-Preis. Was hat Margalits Denkansatz mit Bloch zu tun? Er sagt: „Man muss etwas über seine Bewunderung des Marxismus hinwegsehen, die mir problematisch erscheint.“ Der Vortrag des Preisträgers benannte Bloch als Utopisten, der Gefahr läuft zum Kitsch zu werden. Darüber ließe sich trefflich streiten. Schade nur, dass Margalit seinen Heimat-Begriff nicht mit dem nach vorne gewandten Heimat-Begriff Blochs konfrontierte. Auch seine Zeitanalyse der Nostalgie wäre mit Blochs Wort von der „Ungleichzeitigkeit“ reichhaltiger geworden. Der Bloch-Preisträger Margalit kennt das Blochsche Werk nur bruchstückhaft. Vielleicht lädt ihn der Preis zu tieferer Lektüre ein. Es brächte für alle attraktive Kontroversen. Susan Neiman, Schülerin von John Rawls und derzeit Direktorin des Einstein Forums Potsdam, hatte bei ihrer Laudatio schon begonnen, Margalit mit ihrer Rolle als „jewish socialist“ herauszufordern.