Schwierigkeiten beim Lesen von Hartmut Rosas „Resonanz“

Foto: © Welf Schröter

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Kein Zweifel: Hartmut Rosa hat mit seinen Werken „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung“ (2012) und „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) beachtliche fachliche und intellektuelle Herausforderungen geschaffen. Seine These von der „Resonanz“ als „Modus des In-der-Welt-Seins, das heißt eine spezifische Art und Weise des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt“ (Resonanz 285) formuliert auf den ersten Blick einen neuen soziologischen Erklärungsversuch der Folgen der Moderne.

Er sieht „Resonanz“ und „Entfremdung“ als „kategoriale Grundbegriffe einer systematischen Soziologie der Weltbeziehung“ (Resonanz 281). „Resonanz“ ist dabei weder ein materieller noch ein substanzieller sondern ein „relationaler Begriff“ (285). Kein „Gefühlszustand“ sondern ein „Beziehungsmodus“ (288). Ohne „Resonanz“ sei weder „Identität noch Sozialität“ möglich.

Hartmut Rosa ist zu verdanken, dass er die vorhandene Methoden- und Theorievielfalt der soziologischen Annäherungen an die Welt um zwei neudefinierte Kategorien erweitert und akzentuiert hat. Seine Kritik der „Resonanzverhältnisse“ sucht nach dem Gelingen oder der Blockierung von Resonanzen, die bei ihm weit über den Begriff der Kommunikation hinausverweisen.

Der Autor artikuliert, dass er nicht den Anspruch hat, mit diesen Kategorien, die sich seiner Ansicht nach zueinander auch dialektisch verhalten können, alle Weltbeziehungen als resonant oder nicht-resonant sezieren zu wollen. Und doch ist sein jüngstes Buch ein Beleg für den genau diesen in Abrede gestellten dominanten Anspruch. Mit einem zuweilen unterhaltsamen Parforce-Ritt durch Soziologie, Philosophie, Psychologie und durch verschiedene Felder interdisziplinärer Frauenforschung häuft er beerbend nicht enden wollende, komplexe und banale Beispiele, Zitate, Anekdoten und Erzählungen an, die seine Thesen bestätigen können oder sollen. Da müssen dann auch schon einmal Grateful Dead, Bob Dylan, die „Scorpions“ oder Heavy Metal-Rockgruppen als Indizien herhalten.

Bewusst nimmt er Theorieerbschaften auf, legt sie ab oder verformt sie. Dies propagiert er insbesondere in seiner Entleerung des Marx’schen Entfremdungsbegriffs, den er jenseits materieller Rahmsetzungen neu auflädt. Seine Rezeption von ökonomiekritischen Ansätzen endet in der weitgehenden Loslösung von ökonomischen Analysen. Er vollzieht den Abschied von einer sozioökonomischen und formationellen Herangehensweise hin zu einer eher ideen- und empfindungsschwangeren Betrachtung. Zwar räumt er ein, dass „Arbeit und Familie, aber auch die Kunst, die Religion und die Natur“ (294) als moderne „Resonanzräume“ fungieren können, schränkt sich aber im Folgenden weitreichend selbst ein, in dem er ordnend festhält, dass „Natur, Kunst und Religion konstitutive Resonanzräume für die moderne Gesellschaft“ (296) darstellen.

Trotz kritischer Auseinandersetzung mit der Marx’schen Entfremdungsanalyse, dem Marx’schen Arbeitsbegriff und der Position von Lukács rückt der Faktor Arbeit und die Frage der materiellen Vergegenständlichung des Menschen aus dem Fokus an den Rand der Aufmerksamkeit. Rosas bunte und kluge Textkonfiguration bleibt letztlich eklektizistisch. Er nimmt die „Kritische Theorie“ im Sinne Adornos auf, verabschiedet sich davon und wendet sich Luhmann zu. Er untergräbt selber das Potenzial seiner Thesen, in dem er Widergängiges und Widersprüchliches ausgrenzt und sich nur auf Affirmatives stützt.

Mehr noch: Er liest die ihm vorlegenden Werke der Soziologie, Philosophie, Politischen Ökonomie etc. nicht originär in der Intention und der systemischen Konzeption der Verfasser, sondern sucht sich aus den Textstellen anderer Autoren jene Passagen oder Argumentationslinien heraus, die ihm gelegen erscheinen. So gelingt es ihm in seiner „Ich“-Erzähler-Form, sich und seine Resonanztheorie als „verbindendes Glied in der Kette der kritischen Denker“ selbst einzureihen, die von Marx, Lukács, Adorno, Fromm, Marcuse „bis zu Jürgen Habermas und Axel Honneth reicht“ (565). Diese etwas nicht uneitle Selbstreferenz unterstreicht er mit der nicht überraschenden Antwort auf eine von ihm selbst rhetorisch gestellte Frage, ob denn Habermas „zum Begründer und Verteidiger einer resonanten Moderne“ werde, mit dem qualifizierenden Hinweis auf diesbezügliche Habermas’sche Begrifflichkeiten: Diese seien „reduziert“ und „defizitär“ (591). Dagegen sieht Rosa in Marx jenen, der schon zu seinen Zeiten beschrieb, wie „lebendige, resonante Beziehungen zwischen Menschen“ durch „stumme Beziehungen von Dingen“ ersetzt werden (540). Hier deutet Rosa nun Marx um.

An dieser Stelle erscheint es angebracht, Rosa gegen Rosa zu zitieren: „Die 68er-Generation verfügt über eine tendenziell andere, biografisch entwickelte Resonanzlandkarte als die Flakhelfergeneration oder die Mauerfallgeneration“ (657). Der 1965 geborene Resonanzforscher kennt auch die Gründe: „Die Revolte um 1968 war vor allem anderen eine ästhetische und musikalische Revolution, …“ (373).

Der neue Weg von dem sehr guten Band „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung“ (2012) zu „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) ist keine qualitative Verbesserung.

 

Auftritt eines neuen „Triadischen Balletts“ aus cyber-physischen Systemen?

Erinnerungen an Oskar Schlemmers "Triadisches Ballett". (Foto: © Welf Schröter)

Erinnerungen an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“. (Foto: © Welf Schröter)

Wenn im 21. Jahrhundert Kommunikation auf Kreativität und Kunst trifft, wenn Virtualisierung die Arbeit und das Leben im Alltag erreicht, beginnen sich Mensch und Maschine auf ein neues verändertes und veränderndes Miteinander einzulassen. Technisch entmaterialisierte Kommunikation greift nach dem Modus der Wahrnehmung und verschiebt die Grenzen zwischen haptisch-sinnlichem und optisch-sinnlichem Empfinden, um im Virtuellen ein neues Fundament zu errichten. Letzteres entfaltet sich alsbald zum Tanzboden von künstlichen Artefakten, die – den Menschen simulierend – an seiner Stelle tätig werden.Das unsterbliche Ballett der cyber-physischen Systeme gibt den Schwan und meint doch eher die Seeräuber-Jenny, ohne zu verkünden, dass dieses Ballett die Grenzen der Zeit in Richtung sich wiederholender Echtzeit zu überschreiten sucht. Die Kunstschaffenden für den symbolischen Tanz des Digitalen streben nach dem Ausbruch aus dem Konventionellen, eine neue Konvention schaffend. Das Publikum träumt von der befreienden Entgrenzung, um dann doch eher nur vordere Parkettreihen zu besetzen. „Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.“ (Karl Valentin)

Damals im frühen 20. Jahrhundert fand am 22. September 1922 in Stuttgart die Uraufführung des „Triadischen Balletts“ in den Räumen des Württembergischen Landestheaters Stuttgart statt. Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer hatte das Ballett als Illustration des Umbruchs aus der wilhelminischen Starrheit hinein in die fluide Moderne geschaffen und inszeniert. Oskar Schlemmers damalige Freunde Felix und Helene Löwenstein wie auch Lily Hildebrandt waren begeistert. Im Programmheft zum 22. September 1922 hieß es technik- und zukunftsverliebt:

„Das Triadische Ballett, Tanz der Dreiheit, das mit dem Heiteren kokettiert, ohne der Groteske zu verfallen, das Konventionelle streift, ohne mit seinen Niederungen zu buhlen; zuletzt Entmaterialisierung der Körper erstrebt, ohne sich okkultisch zu sanieren, soll die Anfänge zeigen …“

In der großen Schlemmer-Ausstellung 2015 in Stuttgart las sich ein Textschild anknüpfend wie folgt:

„Im Programmheft zur Uraufführung wird das ,Künstliche‘ als Quelle von Wahrheit und Schönheit betont und als Gegensatz zum Streben nach ,Wirklichkeit‘ – sprich Individualismus – in der Kunst gesehen.“

Oskar Schlemmers Traum eines Gesamtkunstwerkes, das den Linien der Abstraktion, der Zeitlosigkeit und der Modernität folgt, entsprang dem Willen, „das Metaphysische zu binden“ (Schlemmer). Vor dem Hintergrund der heutigen industrieverbundenen Kreativwirtschaft mit ihren CPS-Personae erscheint Schlemmers Verhältnis zur Technik wie ein Kapitel Unabgegoltenheit in der Erbschaft der Humanisierung des Menschen. Wie schrieb er doch 1922 zukunftstrunken und faktisch schon Gedanken der heutigen humanoiden Robotik vorwegnehmend:

„Die Mittel jeder Kunst sind künstliche und jede Kunst gewinnt, wenn sie ihre Mittel erkennt und bejaht. … Chaplin wirkt Wunder indem er ganz künstlich ist. Ob die Mechanisierung des Lebens von heute durch Maschine und Technik, gegen die sich die Sinne nicht verschließen können. Auch die Maschine Mensch und den Mechanismus Körper nachdrücklich fühlbar und bewusst werden lässt.“

Ein neuer grundlegender Wandel von Arbeit und sozialem Zusammenhalt, von „E-Society“ und Robotik wandert in die alltäglichen Vorstellungswelten der Citoyennes und Citoyens der Gegenwart. Nicht der Tanz auf dem Vulkan sondern ein neues „Triadisches Ballett“ fordert heraus, will Neues, bringt Altes mit, aktualisiert Ungleichzeitiges und enthebt auf der Bühne den Menschen seiner „Invariante der Richtung“ (Bloch). Das CPS-Ballett folgt dem Crescendo-Ruf: Vom „Pas de deux“ zum choreografierten „Ballet d’action“, ohne „Cabriole“ und ohne „Contretemps“.

Als Künstler der rebellischen „Üecht-Gruppe“ schrieb Oskar Schlemmer am 15. November 1919 in einem Flugblatt: „In der Kunst ist lernen gleichbedeutend mit leben wollen.“ Fast einhundert Jahre später wäre anzufügen, dass die cyber-physischen Ballett-Schuhe vor dem Betreten der Bühne anzuziehen sind.

Ist heute im Angesicht der CPS die „Entmaterialisierung“ der Körper eine „konkrete Utopie“, die der Humanisierung des Menschen näher kommt, oder liegt in der Entkörperlichung ein Stück nachholende Vergangenheit, die mehr rückwärts verweist als nach vorne öffnet? – Oskar Schlemmer wird es wohl gewusst haben.

Ungleichzeitigkeiten im „System der Systeme“

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Nein, es ist nicht  die „Polyrhythmik der Materie“ von Ernst Bloch, die einem in den Sinn kommt, wenn Informatiker vom „System der Systeme“ (system of systems)(SoS) sprechen, um die Wirkungsweise eines scheinbar neuartigen technischen Zaubers mit der Rund-um-Sorglos-Lösung „Cyber-Physical Systems“ – kurz „CPS“ – zu erläutern. Es ist schon eher Blochs Kategorie der „Ungleichzeitigkeit“, die neue Fragen aufwirft und überprüft werden will. Der Diskurs „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ erhält so ein weiteres Themenfeld.

Zunächst handelt es sich nur um die Montage von Sensoren und Chips auf Bauteile, Werkzeuge und Gegenstände. Die „Dinge“ sollen „Intelligenz“ bekommen. Darunter ist keineswegs ein sozialwissenschaftlich-philosophischer Begriff von „Intelligenz“ gemeint. Die IT-Welt erkennt in der Zuordnung von Daten zu Dingen, deren GPS-Ortung und Online-Abrufbarkeit, deren Remote-Steuerbarkeit und deren automatisiert-„selbstständige“ „Kommunikation“ mit anderen Sensoren und Chips einen neuen Weg zur Echtzeit-„Schwarmintelligenz“.

Wenn solche Einzel-CPS sich zu CPS-Flotten „selbsttätig“ zusammenschließen, lässt sich vom flexiblen „System der Systeme“ sprechen. Die „SoS“ ordnen sich auftragsbezogen prozessorientiert stetig neu. Sie bilden ständig neue „Schwärme“. In Echtzeit. Eine unscharfe Betrachtung fasst diese Vorgänge als „intelligent“. Besser noch: Dem CPS-Verbund als „SoS“ wird die „Eigenschaft“ zugeschrieben, er könne „denken“. Eine Formulierung, denen die Sozialwissenschaften sofort mit Verve widersprechen.

Doch die wirkliche Herausforderung liegt weniger in der angeblichen Potenzialität eines Denkvermögens sondern in der Prognose: „CPS denkt voraus.“ In diesem „voraus“ steckt die wirkliche „Challenge“.

Mit diesem „Voraus“ erhebt das „selbstlernende System der Systeme“ den Anspruch, Arbeitsprozesse vorzustrukturieren, den Menschen in der Arbeit zu „führen“, ihm Vorgaben zu machen, örtlich, zeitlich, taktvorgebend. Die Verknüpfung von mehreren CPS-Lösungen zu einem „System of Systems“ ermöglicht die horizontale Vernetzung unterschiedlichster Prozessdaten für die echtzeit-automatisierte Steuerung von Produktion, Service und Mensch. An die Stelle der emanzipatorisch erhofften Autonomie und Selbstbestimmung des arbeitenden Menschen tritt ein neuer Gedanke: Das Produkt steuert mit Hilfe der „SoS“ die Fertigungsprozesse und die menschlichen Bewegungen samt Taktrhythmen. Die Fragen nach der Entfremdung und deren Aufhebbarkeit sind neu zu stellen.

Das „Voraus“ beinhaltet nicht nur eine lineare zeitliche Vertaktung nacheinander ablaufender Handlungsschritte. Darin findet sich ebenso die zeitliche Überholung – im Sinne von Geschwindigkeit – der menschlichen Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit durch „Echtzeit-Kommunikation“ der „SoS“. In diesem „Voraus“ wird der Prozessablauf nach vorne strukturiert. Im „Idealfall“ ist „S-o-S“ der Handlung des arbeitenden Menschen mindestens zwei Schritte voraus.

Soziale Technikgestaltung müsste demnach entweder durch geeignete Assistenzsysteme die CPS/„S-o-S“ interventionistisch adäquat in Echtzeit personalisieren – d.h. auf die Geschwindigkeit des handelnden Menschen verlangsamen – oder die Vorbedingungen und Vorstufen der Prozessstrukturverankerung im CPS/„S-o-S“ beeinflussen im Sinne der Humanisierung des Arbeitsablaufes und seiner Rahmenbedingungen.

Soziale Technikgestaltung muss sich also die Welt der CPS/„S-o-S“ als ein zentrales Thema vornehmen im Sinne von: „Humanität denkt voraus.“ Dem technikzentrierten Leitbild einer Strategie „Industrie 4.0“ muss ein menschenzentriertes, menschengerechtes Leitbild gegenüber- bzw. entgegengestellt werden. Die Latenz des Tagtraumes eines humanen Arbeitslebens benötigt eine ungleichzeitige Aktualisierung in die Gegenwart. Die konkrete Utopie der Arbeit kommt nicht aus dem „SoS“, sondern wesentlich aus den kategorischen Imperativen vorgelagerter Erfahrungsdispositionen und „belehrten Hoffnungen“.

Die Metamorphose der Kommunikation

© Foto: Welf Schröter

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Es war Alexander Kluge, der schon in seiner einschlägigen Edition „Chronik der Gefühle“ aus dem Jahr 2004 einen gut zu findenden Schlüsselsatz versteckte: „Die Kommunikation beruht auf Vertrauen, über das Ohr verknüpft.“ Er fügte hinzu: „Es funktioniert gegen alle Wahrscheinlichkeit.“

Wer vor mehr als einem Jahrzehnt – noch vor dem sich alsbald beschleunigenden Prozess der Informatisierung, Digitalisierung und Virtualisierung unserer Lebens- und Arbeitswelten – diese Aussage las oder hörte, fand schnell zu einem zustimmenden Kopfnicken. Heute aber sieht uns dieser Satz fremd, wenn nicht ver- und entfremdet an.Inzwischen hat der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechniken den Kern dieser ohrbezogenen Analyse beinahe hinweggespült. An die Stelle der gleichzeitig-synchronen Kommunikation von Menschen zu Mensch ist inzwischen eine technisch reduzierte, zumeist asynchrone „Kommunikation“ von „Mensch zu Maschine“ und „Maschine zu Mensch“ geworden. Fachleute aus der Informatik und aus den Ingenieurwissenschaften bezeichnen einen zielgerichteten und strukturierten Datenaustausch nun als „Kommunikation“.

© Foto: Welf Schröter

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Der ganzheitlich kulturell-soziale Begriff Kommunikation, bei dem Menschen von Angesicht zu Angesicht, mit Worten, Gesten, Mimik, Augenkontakt und Körpersprache Botschaften austauschen, wird aus dem Zukunftsszenario „Industrie 4.0“ schrittweise ausgegrenzt. Statt nach Vertrauen in den Menschen fragen wir nach „Vertrauen“ in das IT-System. Der echtzeit-automatisierte, re-sychronisierte virtuelle Transaktionsraum will Daten durch Daten, Softbots durch Softbots, Maschinen durch Maschinen abprüfen lassen, um verlässliche Ergebnisse bzw. Befehle als „vertrauensvoll“ einordnen zu können, um die Bestätigung der Geschwindigkeit als Vertrauenssignal zu deuten.

Das Ohr im Klugeschen Sinne ist nicht mehr im Zentrum unserer Wahrnehmung. Im Hinblick auf unsere Medien- und Netznutzung stehen wir an der Schwelle zu einem gravierenden Wechsel: Bald wird die „Kommunikation“ im Netz mehrheitlich eine „Kommunikation“ zwischen Dingen, zwischen Geräten, zwischen materiellen und immateriell vorgespiegelten Gegenständlichkeiten sein.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation vermittelt(e) die Sprache und die sie ergänzenden Ausdrucksformen den Vorschein, die Möglichkeit der Vertrauensbildung. Vertrauen wuchs durch sinnlich-körperliche Kommunikation. Die individuelle Identitätsarbeit für das Entstehen des eigenen Ichs realisierte sich vorwiegend entlang unseres kommunikationskulturellen Verhaltens. Der Sozialpsychologe Heiner Keupp spricht zu Recht von einer zu erreichenden Kohärenz: „Identitätsarbeit hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz.“

Die paradigmatische Verschiebung des Schwerpunktes im öffentlichen Kommunikationsverständnis stellt nicht nur eine technische Herausforderung dar. Es ist vor allem ein ganzheitlich-kultureller Prozess, der die Erbschaft der bisherigen Errungenschaften humaner Sozialität in Frage stellt und das Unabgegoltene und Ungleichzeitige in der Ich-Werdung aufdeckt. Identität will in der Virtualität und aus der Virtualität entstehen. Die biografisch erworbene „Identitätskonstruktion“ (Keupp) konfrontiert sich mit dem virtuell modellierten Identitätsmanagement: „Biografisches Ich“ und „Virtuelles Ich“ (Schröter) beginnen sich zu polarisieren und fragmentieren die ungleichzeitige Identitätsarbeit. Das gesellschaftliche Werden und der Erwerb von solidarischer Sozialkompetenz stehen am Scheideweg angesichts der sich atomisierenden Identitäten im Netz.

Die zunehmenden Digitalisierungen von Arbeitswelten und Gesellschaft verlangen heute vor allem einen nichttechnisch ausgelegten Rückgriff auf unsere öffentlichen Emanzipationsmuster einer demokratischen Zivilgesellschaft. Lange war Blochs Diktum nicht so aktuell wie heute: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ – Das „Wir“ gilt es zu betonen.

(Dies ist der 100. Beitrag im bloch-blog.)

 

„Verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft?“ (Bloch)

(Foto: © Welf Schröter)

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Die wachsenden Abstraktionen, Virtualisierungen, Komplexitäten, Beschleunigungen und neue Verzeitlichungen fordern Antworten für die Neuverortung des Menschen in einer sowohl evolutionär als auch revolutionär anmutenden globalisierten Vernetzung von Menschen, Dingen, Maschinen und Produkten heraus. Virtuelle und nicht-virtuelle Wirklichkeiten in den Geschäfts- und Arbeitsumgebungen greifen ineinander und erzeugen eine ganzheitlich wahrnehmbare Mischform der Arbeitswelt.Eines der zentralen wachsenden Zukunftsthemen für die Erwerbswelt ist das Entstehen, Sichern und Pflegen von Identität, von Identitätsstiftung aus virtuell-flüchtigen Arbeitsumgebungen. Darin liegt eine wesentliche gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe. Für eine ökologische, soziale und gesellschaftliche Gestaltung dieses Veränderungsbündels bedarf es einer Erweiterung der bisher zur Verfügung stehenden Handlungskategorien. Eine neue Kategorie ist in der besonderen Hervorhebung einer ganzheitlich verstandenen Sicht der Identität des Individuums in die Perspektive und Praxis von „Industrie 4.0“ zu erkennen. Eine solche positive Aufhebung von Identität ist unabdingbar, um die Entfremdungsdynamiken in der Arbeit und von der Arbeit zu begrenzen und zu bändigen.

Was passiert mit dem menschlichen Subjekt im Spannungsgefüge von Realität und Virtualität, zwischen fiktiver Realität und realer Virtualität? Erleichtert dieses Spannungsgefüge die gesellschaftliche und individuelle Emanzipation oder stellt es ein wachsendes Hemmnis dar? Der Wandel der materiell schöpferischen Arbeit hin zu einer vermehrt immateriell schöpferischen Tätigkeit führt zur Erhöhung der Abstraktion und der Komplexität des Arbeitens. Virtuelle Arbeit erfährt ihren Wert und bringt als Ergebnis der Quantität von Kommunikationsarbeit und Vernetztheit „virtuelle Identität“ hervor. Das „biografische Ich“ verhält sich dabei zu seinem „virtuellen Ich“ ungleichzeitig.

Der Biokybernetiker Valentin Braitenberg (1926-2011) sah in der Erfindung des Computers die sachlich-analytische Antwort und Kritik an der nationalsozialistischen Vergewaltigung der Sprache und der Germanistik. Die Computerei war für Braitenberg, dem Maturana-Schüler, ein aufklärerisch-antitotalitärer und basisdemokratischer Handlungsansatz. Im Gespräch betonte er, dass die Menschen sich mit Hilfe der Rechner von ideologischen Verbrämungen selbst befreien könnten.

„Wenn Du die Welt verändern willst, gib den Menschen die passenden Werkzeuge in die Hand!“ (Sinngemäß zitiert aus den studentischen Forderungen des gesellschaftskritischen „Free Speech Movement“ in Berkeley, California im Jahr 1968). So lautete der Reflex der Protestbewegung der sechziger Jahre. Teile dieser Bewegung entwickelten deshalb die ersten Personal Computer und die passende Netz-Software.

Spiegelt sich mehr als vierzig Jahre danach Unangegoltenes und Uneingelöstes? Ist dies – heute betrachtet – in den Worten Blochs eine „verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft“?

„Das letzte Wort im Hauptwerk ,Das Prinzip Hoffnung‘ heißt ,Heimat‘. Der Philosoph hofft, daß einmal der Tag kommt, an dem der Mensch seine Identität, seine Heimat finden wird.“ (Karola Bloch)

Entbirgt die Spannung zwischen „biografischem Ich“ und „virtuellem Ich“ ein neues Humanum? Eine endlich humane „Ich“-Identität in Richtung auf die – im Sinne Blochs – vor uns liegende Genesis?

 

Virtualität als neues Fundament unserer Realität

Dirk Balfanz (Foto: © Welf Schröter)

Dirk Balfanz (Foto: © Welf Schröter)

In den vom Forum Soziale Technikgestaltung angestoßenen Diskurs „Identität in der Virtualität“ im Rahmen der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ hat Dirk Balfanz neue Impulse eingebracht: „Wie der heutige Mensch digital kommuniziert & wahrgenommen wird, muss Einfluss auf seine Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung haben.“ Unter Bezug auf Luhmann und Castells greift er den Terminus „Person“ auf: „Personen entstehen also durch Teilnahme von Menschen an Kommunikation.“ (Niklas Luhmann)“[…] a new culture is forming, the culture of real virtuality, in which the digitized networks of multimodal communication have become so inclusive of all cultural expressions and personal experiences that they have made virtuality a fundamental dimension of our reality.” (Manuel Castells)

Balfanz stellt zwei Begriffe von Roger Clarke zur Diskussion, um sich dem Wort „Identität“ auf andere Weise zu nähern: „projected persona“ und „imposed persona“:

„Die projected persona umfasst die aktiv von einem Individuum ausgehende Anstrengung, sich im Digitalen als Person zu repräsentieren. In der sozialen Realität des Individuums kann die projected persona als ein gewachsener Bestandteil seiner Persönlichkeit angesehen werden.“ (Balfanz)

„Das durch das Individuum nicht zu kontrollierende Sammeln und Auswerten seiner personenbezogenen digitalen Informationen durch Institutionen aller Art. Maschinelle Bildung und Ausbeutung der imposed persona – eines unkontrollierten Fremdbildes des Individuums – schädigt die Privatsphäre, die Bildung und Pflege der Person sowie die Handlungsfreiheit des Individuums.“ (Balfanz)

In Anlehnung an den kürzlich gestorbenen Informatiker Ulf Stegemann zitiert er dessen harte Analyse: „Der Krieg um die informationelle Selbstbestimmung ist vorerst verloren.“

Dirk Balfanz warnt davor, dass das Individuum weitreichend die Möglichkeit verliert, sich in digitalen Netzwerken überhaupt differenziert als Person in unterschiedlichen Rollen zu präsentieren, wenn die Option der Selbstbestimmung verloren geht.

 

Siehe: Dirk Balfanz: Die digital persona. In: Welf Schröter (Hg.): Identität in der Virtualität. Einblicke in neue Arbeitswelten und „Industrie 4.0“. (2014)

Farben der Veränderung

Margarete Hecklinger (Foto: © Welf Schröter)

Margarete Hecklinger (Foto: © Welf Schröter)

Es ist die expressive Kraft ihrer Farben und die Bewegung ihrer Pinselführung, die den Betrachter in den Bann zieht. Es mischt sich eine phasenweise Beerbung des aufrührerischen Expressionismus mit der späten Sehnsucht nach Heimat und der Einlösung von deren Unabgegoltenheit. Ihre Aufmerksamkeit gilt Mensch, Natur und Tier.

Die 1936 geborene Künstlerin Margarete Hecklinger zieht in ihren zum Teil explosiven Werken verschiedene Zeiten, alte Zeiten und gegenwärtige zusammen. Sie kontrastiert und verknüpft Europäisches und Indisches. Sie zeigt Verwandtes und holt Vergangenes zurück, bewahrt es in ihren Bildern.

Die Schülerin von Rudolf Yelin und Erich Mönch ringt mit der Natur und dem Umgang des Menschen mit der Natur. Es ist ein Tanz der Farben und zugleich der Blick in die Geschichtsbeladenheit von Gesichtern.

Im Jahr 1969 ging sie erstmals zu einem Aufenthalt nach Indien. Sie zeichnete, porträtierte, skizzierte, strich mit wenigen Linien die Hoffnungen der Einwohner zu Papier wie auch ihre Enttäuschungen. Nicht verklärend esoterisch sondern auffindend suchend neugierig.

Die in Stuttgart, Reutlingen und Indien lebende Margarete Hecklinger eröffnete am 1. November ihre Ausstellung in Stuttgart. Ein wiederkehrendes Motiv bildet die Bewegung des Menschen, die Figur des tanzenden Menschen, der damit mit anderen in Kommunikation tritt, sich ausdrückt und zugleich die Kraft des Beharrenden abstreift.

Der Gang durch die Ausstellung zeigt zahlreiche farbenstrahlende Werkschöpfungen einer 77-jährigen. Bei längerer Betrachtung aber dringt aus den Bildern der jung gebliebene und nicht altern wollende Traum des Humanum, europäisch wie indisch.