Stimme gegen den Ersten Weltkrieg

Aus seinem Schweizer Exil schrieb 1918/19 Ernst Bloch seine ungewöhnlich scharfe Abrechnung mit dem Ersten Weltkrieg. Für ihn war Preußen-Deutschland der hauptsächliche und zentrale Kriegsverursacher und Kriegstreiber. Am Abend des 1. August 2014, dem einhundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, wurden in den Räumen der früheren Thiepval-Kaserne Tübingen Auszüge aus Blochs journalistischer Arbeit „Vademecum für heutige Demokraten“ gelesen.

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Unerbittlich griff Bloch den preußischen Militarismus an und sah in dessen Handeln den Kern des Kriegsgrundes. Deshalb rief er Gleichgesinnte auf, sich gegen das deutsche Kriegsregiment zu erheben: „Wir also vor allem müssen hier kämpfen, wir neue Jugend, wollen wir nicht einsam und heimatlos zugrunde gehen.“

Schon 1918/19 erkannte Bloch, dass bei einem Scheitern des Zerschlagens des militaristischen deutschen Regimes, die Gefahr bestehe, dass der Ruf nach „Blut“ und „Rasse“ zurückkäme. Damit drohe noch schlimmeres Unheil.

Ausgiebig umriss der damals 33-Jährige die Notwendigkeit, dass es nach dem Krieg eine öffentliche gesellschaftliche Form des Bereuens und der Aussöhnung geben müsse. Nur so könne verhindert werden, dass sich neuer gefährlicher Nationalismus aufbaue. Statt obrigkeitsstaatlichem Denken bedürfe es einer „Revolution des Herzens“.

Nur die Selbstanklage tilge die Kriegsprämissen, „soll eine wirkliche Aussöhnung der Welt mit Deutschland und Deutschlands mit der Welt, ein vollzählig ermöglichtes moralisches Weltparlament geschehen“ (Bloch).

Künstlerinnen der Avantgarde

Avantgardistische Stoffdesignarbeit (Foto: © Welf Schröter)

Es sind Namen wie Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa oder Nadeschda Udalzowa, die heute noch immer zu wenig bekannt sind. Diese selbstbewußten Künstlerinnen der russischen Avantgarde wandten sich seit 1907 mit ihren Werken gegen Zarismus und Krieg. Später standen sie mehrheitlich im Widerspruch zur stalinistischen Herrschaft. Mit Kandinsky, Tatlin, Malewitsch, Lissitzky, Rodtschenko waren sie auf Augenhöhe. Sie beeinflussten einander. Zwischen Utopie und Revolution, Expressionismus und Futurismus, Suprematismus und Kubismus suchten sie ihre eigenen Wege. Diese Wege führten sie auch zur Ausstellung „Der Blaue Reiter“ in Berlin im Jahr 1912, an der Natalja Gontscharowa teilnahm.

Die Frühjahrsausstellung 2013 ihrer noch immer hochaktuellen Werke im Ludwigshafener Hack-Museum zeigte Gemälde, Zeichnungen, Stoffmuster, Dessins, Webarbeiten und Skulpturen. Sonst sind die Arbeiten in der Moskauer Tretjakow-Galerie verborgen. „Die russischen Avantgarden einte das Ziel, mit ihrem Wirken zur Entstehung einer klassenlosen, gerechten Gesellschaft beizutragen“, schrieben die Kuratoren. Sie arbeiteten an der „Utopie der Gleichheit“.

„Jeder Augenblick der Gegenwart unterscheidet sich vom Augenblick der Vergangenheit und die Augenblicke der Zukunft tragen unerschöpfliche Möglichkeiten neuer Offenbarungen in sich.“ (Olga Rosanowa im Jahr 1913).

Verblüffend aber die frühen Designansätze, von denen man Spuren in der späteren Bauhaus-Webereiklasse Dessaus zu finden glaubt. Ähnlich wie die jungen Bauhausfrauen um Lisbeth Oestreicher und Ljuba Monastirskaja suchten die russischen Avantgarde-Künstlerinnen die Verknüpfung von Kunst, Kunsthandwerk und industrieller Fertigung. Mancher Stoff erscheint, als ob die Löwenstein’sche Pausa Ende der zwanziger Jahre die industrielle Fertigung übernommen hätte.

Neue Solidarität und “Change with Honour”

Michael Gormann-Thelen (Foto: © Welf Schröter)

Eugen Rosenstock-Huessy „verdient wieder hervor- und herausgerufen und dem Vergessen entrissen zu werden“. Mit dieser Kernaussage führt Michael Gormann-Thelen den Gesellschaftsreformer, Juristen, Reformpädagogen und Erwachsenenbildner „ERH“ in die Debatte um die gegenwärtige Gestaltung von „Arbeit“ und „Zeit“ ein. In der Evangelischen Akademie Bad Boll umreißt er im Februar 2013 Rosenstock-Huessys Denken, in dem er auf dessen Revolutionsverständnis eingeht. Nach ERH gelte es, die großen Weltrevolutionen zu würdigen wie etwa die Papstrevolution des 11. bis 14. Jahrhunderts, die Reformation, die Englische Revolution, die Französische Revolution und die Russische Revolution: „Jede Welt-Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen »totalen«, universell gültigen Anspruch »an alle« in die Welt brachte, jeder ebenso unerhört wie alles verwandelnd“ (Gormann-Thelen).

„Da ist Rosenstock-Huessys Soziologie »Im Kreuz der Wirklichkeit«, die zunächst von den »Übermächten« der Räume und des Raumdenkens handelt und diese beiden letzteren als Verfallsformen von »Ernst« und »Spiel« und von »Krieg« und »Frieden« vorführt. Danach kommt die Zeitenlehre unter dem ersten Titel »Die Gewalt der Zeiten«, später unter dem Titel »Die Vollzahl der Zeiten«. Nicht heißt es »Zurück zu den Sachen!«, sondern »Zurück zu uns selbst!«“ (Gormann-Thelen)

Im Jahr 1947 sprach Eugen Rosenstock-Huessy in der Paulskirche zu »Friedensbedingungen einer Weltwirtschaft«. Michael Gormann-Thelen zitiert: „Die künftige Solidarität, deren Fehlen uns heute noch plagt, weil der Geist nicht wehen will, ist die Solidarität all derer, die sich unter dem Zwang des technischen Fortschritts ändern müssen. Wandlungsfähig muß jedes Mitglied der Gesellschaft bleiben. (…) Den seelischen Zutritt zu dem Rohstoff Mensch zu pflegen, ist die Friedensbedingung einer Weltwirtschaft.“ (Rosenstock-Huessy)

„Wo wir alle eigentlich nur kleine Teile des Ganzen sind und es wahrscheinlich auch nicht anders können, müssen wir Ordnungen finden und darauf habe ich nun seit 1912 meine Sach’ gestellt, wir müssen Formen finden, in denen statt des Kriegsheeres die Urbedürfnisse der menschlichen Seele in der Gemeinschaft sich verleiblichen können.“ (Rosenstock-Huessy in einem früheren Beitrag)

Als zentralen Imperativ formuliert Rosenstock-Huessy: »Wir müssen in eine Gesellschaftsordnung eintreten, in der die Wandelbarkeit – to change with honour – das Selbsterhaltungsprinzip der Menschheit wird.«

Eugen Rosenstock-Huessy wurde in der DDR nach 1956 genauso unterdrückt wie Ernst Bloch. Die Bürgerrechtsbewegung gegen die SED und mit ihr Wolfgang Ullmann beriefen sich sowohl auf Rosenstock-Huessy wie auf Bloch.