Richard von Weizsäcker und Karola Bloch

Denkmal zur Erinnerung an den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto (Foto: © Welf Schröter)

Denkmal zur Erinnerung an den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto (Foto: © Welf Schröter)

Es war das Jahr 1984. Karola Bloch hatte ihren 79. Geburtstag gefeiert. Als Polin, Deutsche, Jüdin und Antifaschistin wurde sie Wochen später gefragt, ob sie bereit wäre, eine symbolische Kandidatur zum Amt einer Bundespräsidentin anzunehmen. Der offizielle Kandidat hieß damals Richard von Weizsäcker.

Karola Bloch zögerte mit ihrer Antwort auf die im kleinen Kreis in ihrer Tübinger Wohnung gestellte Frage. Ein langer Zug an ihrer Zigarette. Schließlich lehnte sie mit vorsichtigen Worten ab. Die deutsche Gesellschaft sei noch nicht reif für eine jüdische Kandidatin aus Polen. Sie wollte die deutsch-polnischen Beziehungen nicht belasten. Sie dachte an die Ermordung ihrer Familie im KZ Treblinka, die zuvor im Warschauer Ghetto von den Nationalsozialisten interniert war.

Wenige Monate vor seinem Tod zollte Richard von Weizsäcker noch einmal seinen Respekt vor Karola Bloch. Die beiden waren sich nie begegnet. Sie hätten sich mit Hochachtung die Hand gereicht.

Als Antje Vollmer bei der Trauerfeier für den verstorbenen Bundespräsidenten an dessen Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai 1985 einging, verglich sie deren Wirkung mit dem Kniefall Willy Brandts in Warschau. Er kniete vor dem Ehrenmal zur Erinnerung an die Toten des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto.

Antje Vollmer gab dem Kniefall und der Rede eine besondere Bedeutung, die in ihrer Tragweite erst heute richtig erkennbar wird:

„Beide Politiker nahmen so ein wenig den traumatisierten europäischen Nachbarn die Angst vor den Deutschen und sie erlaubten uns, den damals Jüngeren, ganz vorsichtig wieder einzuwandern in das eigene Land, in dem wir gelebt hatten wie Fremde. Es war wie eine Eisschmelze – es konnte wieder Vertrauen investiert werden.“

 

Der gedankliche Pfeifenqualm des Philosophen

(Foto: © Welf Schröter)

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In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren es junge Frauen und Männer im Alter von Mitte zwanzig, die begannen, sich mit der Lebensphilosophie, der Lebenshaltung, dem politischen Imperativ und dem Wissen eines besonderen Ehepaars zu befassen. Die Achtundsechziger und ihre politischen Nachkommen in den neuen sozialen Bewegungen der Folgejahre entdeckten das Denken des Philosophen Ernst Bloch und die politische Widerständigkeit der Architektin Karola Bloch.

Nachdem Ernst Bloch am 4. August 1977 im Alter von 92 Jahren starb, gab die Generation des Protestes über Nacht in einer heimlichen Sprühaktion der Tübinger Universität einen neuen Namen: Für die Jungen hieß die Alma Mater von nun an „Ernst-Bloch-Universität“. Seit dieser Zeit rieben und reiben sich nachwachsende Studentengenerationen an dieser symbolischen Umbenennung. Sie ringen mit dem damit verbundenen zivilgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Anspruch.

(Foto: © Welf Schröter)

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Nun haben sich 38 Jahre nach Blochs Tod und mehr als zwanzig Jahre nach dem Tode Karola Blochs rund zwanzig Studentinnen und Studenten aufgemacht, die Geschichte des Protestes und die Historie der „Ernst-Bloch-Universität“ neu zu erkunden. Am 5. Februar 2015 stellten sie das Ergebnis ihrer Recherchen in einer öffentlichen Ausstellung in einem städtischen Gebäude Tübingens vor. Nun durchzieht der gedankliche Pfeifenqualm des Philosophen bis zur Sommerpause ein Fachwerkhaus in der Altstadt.

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Die Suchenden von heute fragen nicht nur nach den umtriebigen erlittenen Exilbiografien der Blochs, sie fragen auch nach deren Rollen als Mentoren des rebellischen Geistes und deren Symbolpräsenz im Alltag der Aufmüpfigen der siebziger und achtziger Jahre. Es klingt erfrischend ermutigend, wenn die Jungen von heute in ihrer Abhandlung zum Entstehen der „Ernst-Bloch-Universität“ abschließend schreiben:

„Die Proteste von 1977 sind somit nicht gescheitert, sondern dauern in einer anderen Form noch immer an: Als Erinnerung an eine Zeit, in der viele heutige Selbstverständlichkeiten, wie die lückenlose Aufarbeitung nationalsozialistischer Verstrickungen, hart umkämpft waren; gleichzeitig als Mahnung an kommende Generationen, sich ihrer Kritikfähigkeit zu bedienen, wann immer sie gebraucht wird.“ (Zitat aus dem Ausstellungskatalog)