Vierte industrielle Revolution?

Henning Kagermann (Foto: © Welf Schröter)

Er ist von Hause aus habilitierter Physiker, war Vorstandssprecher der SAP AG und übt heute das Amt des Präsidenten der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) aus. Prof. Dr. Henning Kagermann folgt einem besonderen Traum, der den Charakter der Vision schon hinter sich gelassen hat. Er plädiert für die „vierte industrielle Revolution“ – auch „Industrie 4.0“ genannt – bei der eine neue Qualität der Automation in einer „intelligenten Fabrik“ neuen Typs realisiert werden soll.

Grundlage sei die Option der „Vernetzung von allen“ (Menschen) und der „Vernetzung von allem“ (Sachen bzw. Geräte) mit Hilfe sogenannter physisch-virtueller Umgebungen (Cyber-Physical Systems). Kagermann sieht hierin die „Veredelung des Bestehenden“. Er weist das Technikbild der „menschenleeren Fabrik“ vehement als falsch zurück, kritisiert den alten zentralistischen Denkansatz und setzt auf die kommende Bedeutung des Individuums in dezentralen Fertigungsprozessen.

Die neuen soziotechnischen Systeme bedürfen seiner Meinung nach einer allseitigen Partizipation der Arbeitenden, da sonst die neue dezentral ausgerichtete Welt der Produktion nicht handhabbar wird. Es bedarf der Personalisierung und Individualisierung. Daher sucht er den Dialog mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Betriebsräten und Gewerkschaften. Vor mehr als 200 eher honoratiorengleichen Repräsentanten der Technikforschung in Stuttgart – darunter nur zwei Gewerkschafter – würdigte er anlässlich der Verleihung des „Forschungspreises Technische Kommunikation 2013“ der Alcatel-Lucent Stiftung die Rolle und Haltung der IG Metall. Die Gewerkschaft wolle die positive Gestaltung von „Industrie 4.0“, um eine neue Autonomie der Beschäftigten durchzusetzen. Umbau als Chance für Interventionen.

Kagermann geht auf die Gewerkschaft zu und unterstreicht, dass Komplexität und Komplexitätsreduzierung operative Akteurscluster benötigen, dass prozessbezogen – von Anfang an – eine Strategie der „Akzeptanz by design“ erforderlich ist. Kagermann will heraus aus der „Komplexitätsfalle“, will bestehende Technik verfahrenstechnisch optimieren, will „Industriekonvergenz“ vorantreiben und setzt auf die „wandlungsfähigen Produktionsstätten“. Mutig spricht er von „disruptiver Innovation“ und der Notwendigkeit „kreativer Zerstörung“.

Kagermanns Angebot zum Gestaltungsdialog reflektiert den aufgeschlossenen und modernen Flügel gegenwärtiger Industriepolitik. Dennoch stecken in seinem Denken noch massive Reste eines traditionellen Fortschrittsbegriffs, der auf Technologie und Infrastruktur setzt, der technikzentriert konzipiert und prozess- statt menschenzentriert argumentiert. Deutlich wird dies, wenn er die Potenziale der Kommunikation zwischen Maschinen hervorhebt und noch erkennbarer, wenn er postuliert: „Roboter und Menschen arbeiten in einem sozialen Netzwerk.“

Hier liegt die Herausforderung für den Diskurs „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ im Jahr 2014, der vom Forum Soziale Technikgestaltung organisiert und vom „bloch-blog“ begleitet wird. Wie sähe ein menschenzentriertes Umbauszenario der vierten industriellen Revolution aus? Welcher Fortschrittsbegriff ist vonnöten? Der Gestaltungsansatz der IG Metall verdient Unterstützung.

Zweifellos bietet hierfür die Blochsche Philosophie wesentliche Kriterien. Nicht nur die Mehrschichtigkeit der individuellen und gesellschaftlichen Zeiterfahrung, die Bloch mit dem Begriff „Ungleichzeitigkeit“ besetzt, sondern neben der „Allianztechnik“ kann auch sein Motiv des „Multiversums“ als methodische Lesart zum Handwerkszeug des „social design“ in „Industrie 4.0“ werden. Für Bloch bietet technischer Fortschritt unter anderem dann einen sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt, wenn damit individuelle Freiheit erweitert und Entfremdung verringert werden.

Büchner zum 200sten

Es ist bemerkenswert, wenn in der veröffentlichten Meinung an einen jungen Rebellen erinnert wird, der bereits im Alter von 23 Jahren starb und doch bis heute die Köpfe bewegt. Der Mann war seiner Zeit voraus. Man könnte auch sagen, ein Teil seines schriftstellerischen Handelns war geradezu vorzeitig.

Vor 200 Jahren wurde am 17. Oktober 1813 Georg Büchner geboren. Mit seinem „Hessischen Landboten“ rief er die Bauern zur Revolution gegen Adel und Bürgertum auf. Er musste flüchten.

Wirkungsvoller als seine politischen Aktivitäten bleiben von ihm seine dramatischen Werkleistungen. Dies gilt für „Woyzeck“, mehr aber noch für sein fast dialektisches Bühnenstück „Dantons Tod“, das er mit 22 Jahren schrieb.

Wie sprach doch Danton im zweiten Akt gegen Robespierre: „Ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür (…).“

Einhundert Jahre später griff Bert Brecht in seiner Oper „Mahagonny“ das Motiv auf und formulierte jenen kurzen einschlägigen Satz „Etwas fehlt“, der für Ernst Bloch wie auch Jan Robert Bloch zu einem Leitmotiv des Denkens in konkreten Utopien wurde.

Georg Büchner legte seinem Antihelden Danton die pathetische Leidenschaft des ungleichzeitigen Revoltierens in den Mund: „Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer allen Königen die Schädel einschlagen können.“ Doch bitter ließ er ihn auf der Bühne reflektierend geradezu existenzialistisch enden: „Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“

 

Respekt für Marcel und Tosia Reich-Ranicki

Steinbild auf dem Denkmal für den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. (Foto: © Welf Schröter)

Nachdem sich der Schriftsteller und Bloch-Freund Erich Loest kürzlich das Leben nahm, erreicht uns nun die Nachricht vom Tode Marcel Reich-Ranickis. Der Literaturkritiker starb im Alter von 93 Jahren. Wer die Gelegenheit hatte, ihn persönlich als Dozenten an der Universität Tübingen Mitte der siebziger Jahre zu erleben, war beeindruckt von seiner Belesenheit, Detailkenntnis und mutigen Kommentierungslust.

Nicht immer konnte man als junger Student den assoziativen Gedankensprüngen so schnell folgen, wie Reich-Ranicki die Spuren der Literaturgeschichte wechselte. Doch überzeugte er seine antiautoritäre Zuhörerschaft durch seine persönliche Glaubwürdigkeit.

Seine Lebensgeschichte unterschied ihn von den braunen Schatten so mancher Hochschullehrer. Marcel und Tosia Reich-Ranicki pflegten ihre Beziehung zu den Blochs. Denn die bittere Erinnerung an das Furchtbare des Warschauer Ghettos, aus dem heraus die Ranickis fliehen konnten und in dem Karola Blochs Angehörige bis zu ihrer Ermordung im KZ Treblinka leiden mussten, verband die beiden Familien. In ihrem langen Brief vom 1. März 1979 an ihren Sohn Jan Robert Bloch erwähnt Karola Bloch ihre Kontakte mit den Ranickis (abgedruckt im Buch „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“(2010)):

„Unlängst war Frau Reich-Ranicki bei mir, die auch im Warschauer Ghetto war, und sie sagte, dass es in dieser grauenhaften Umgebung viele künstlerische Darbietungen gab: wunderbare Konzerte, Bilder-Ausstellungen, Theater usw. Erstaunlich. Was der Mensch alles vermag.“

Auch Karola Blochs Schwägerin, die Tänzerin und Schülerin Mary Wigmans, Andziula Tagelicht, trat im Ghetto auf und gab Unterricht für Kinder. Sie wurde im KZ umgebracht.

Dem Lebenswerk von Marcel und Tosia Reich-Ranicki gilt Respekt.

Erich Loest nahm sich das Leben

Um die Nikolaikirche in Leipzig drehten sich Erich Loests Gedanken. (Foto: © Welf Schröter)

Im Alter von 87 Jahren hat sich der Schriftsteller und langjährige Vorstand und Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Erich Loest das Leben genommen. Von schwerer Krankheit belastet stürzte er sich in Leipzig aus dem Fenster der Universitätsklinik. Einige Jahre zuvor verkündete er das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit, obwohl er täglich weiterhin seine Gedanken aufschrieb.

Loest war durch den Zweiten Weltkrieg Kommunist geworden und trat als junger Mensch in die SED ein. Er setzte Hoffnungen auf die DDR. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni und der Einmarsch der Panzer 1956 gegen die ungarische Revolution entzweiten ihn vom Staatsozialismus, der doch nur vorgab, einer zu sein. In einer Zeit, als die SED gegen Ernst Bloch, Karola Bloch und Wolfgang Harich wie auch gegen Gerhard Zwerenz massiv vorging, wurde auch Erich Loest zu den “Staatsfeinden” um dem vermeintlichen “Bloch-Kreis” gerechnet. Er bezahlte dies mit sieben Jahren Zuchthaus in Bautzen. Erich Loest verliess 1981 verbittert die DDR.

Aber er blieb ein aufrechter Rebell, Kritiker, Mahner und Ankläger unmenschlicher und undemokratischer Zustände. Seine Sympathien galten den Montagsdemonstrationen und dem “Neuen Forum”. Erich Loest sah eine seiner wichtigen Aufgaben in einem ehrlichen Dialog mit der polnischen Gesellschaft. Im Gespräch zwischen polnischen und deutschen Schriftstellern suchte er Annäherung ohne Vergessen.

Die Leipziger Schriftstellerin Regine Moebius fasste die Arbeit Loests in eigene Worte: »Wir alle verlieren mit Erich Loest einen Schriftsteller und Kulturpolitiker, der die persönlichen gesamtdeutschen Erfahrungen vor dem Mauerbau, während der Zeit der problematischen Kontakte durch eine ideologische und reale Mauer hindurch zum Anlass genommen hat, konstruktiv mit einer neuen Chance umzugehen und anstehenden Dialogen nicht auszuweichen«.

In den achtziger Jahren reiste er auch nach Tübingen. Er schätzte das Werk Ernst Blochs und die Lebensleistung Karola Blochs, mit der er freundschaftlich verbunden war und die er in Tübingen wiedertraf, wie er es in einem Interview mit Welf Schröter damals ausgiebig erläuterte. Mehrfach war er auf Buchmessen zu sehen, wo er alte und neue Freunde fand. Sein Leipzig, seine Achtung vor den Blochs und sein minutiöses Gedächtnis waren stets präsent. Erich Loest war ein Schriftsteller, der in seinen Werken dem Blochschen Denken verwandt blieb.

Vor 25 Jahren: „Major Tellheim“ besucht sein „Hauptquartier“

Das Grab Jürgen Tellers auf dem Leipziger Südfriedhof. Foto: © Welf Schröter

Nach Jahren der Erniedrigung, Unterdrückung und Verfolgung durch die StaSi konnte der Philosoph Jürgen Teller 1988 zum ersten Mal die DDR für einen Besuch verlassen. Er überschritt das Rentenalter und Freunde verhalfen ihm zur Mitgliedschaft im Schriftstellerverband. Die Tür durch die Mauer öffnete sich.

Unter dem Decknamen „Major Tellheim“ hatte er jahrelang seinem Doktorvater und späteren Freund Ernst Bloch – selbstgewählter Deckname „Marcion“ – in zahlreichen Briefen literarisch verschlüsselt geschrieben. Jürgen Teller war und blieb Bloch-Schüler. Für ihn war der Ort, wo sich Ernst und Karola Bloch aufhielten, das „Hauptquartier“ der gemeinsamen Sache, der Umwälzung und Demokratisierung der Gesellschaft.

In Tübingen traf er „Polonia“ – alias Karola Bloch –, die er von seiner „Minna von Barnhelm“ – alias Johanna Teller, der Galeristin und Bauhausanhängerin – grüßte. Doch wirklich angekommen war er erst, als er am Grab seines philosophischen Lehrmeisters stand. Da sprach er davon, dass noch so viel unabgegolten war, noch so viel zu leisten sei. Die „Heimat“ sei noch nicht erreicht.

In dem Band „Briefe durch die Mauer“ wird der innige und rebellische Dialog zwischen der Opposition Ost in Leipzig und der Opposition West in Tübingen lebendig. Jürgen Teller ging aus der deutsch-deutschen Wende nicht als „Gewinner“ hervor. Sein undogmatisch-philosophisches Denken um Marx, Giordano Bruno, Goethe und vor allem Bloch war an der Leipziger Universität vor dem Mauerfall so unbeliebt wie danach. Wenn auch nach 1989 aus anderen Gründen.

Es ist an der Zeit, an Jürgen Teller zu erinnern. Am 12. September 2013 wäre er 87 Jahre alt geworden. Er starb am 10. Juni 1999.

 

Entgegenständlichung von Arbeit

Foto: © Welf Schröter

Im 19. Jahrhundert hatte sich ein kritischer Kopf namens Karl Marx mit der Bedeutung der Arbeit für den Menschen befasst. In deutlicher Klarheit schrieb er: „Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens …“ Diesen noch engen Begriff von Arbeit begann Eberhard Braun, ein Schüler des Philosophen Ernst Bloch, mehr als hundert Jahre später in seinen „Grundrissen einer besseren Welt“ zu hinterfragen: „Was heißt hier Arbeit?“ Wie hängen materielle Bearbeitung der Natur und Bewußtseinsbildung zusammen?

Braun geht über Marx hinaus und sieht in der Arbeit die „Produktion eines bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisses“. Braun sucht die gesellschaftliche Dimension, wenn er argumentiert: „Arbeit ist nicht nur Stoffwechsel, Aneignung der äußeren Natur, sie stellt nicht nur einzelne lebensnotwendige Produkte her; insofern sie dies tut, produziert sie zugleich auch ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis, einen bestimmten historischen Lebenszusammenhang …“

Dieser Kernsatz Braun’schen Denkens lässt sich nun auf eine aktuelle Transformation des Charakters von Arbeit übertragen: Welche Lebenszusammenhänge, welche gesellschaftlichen Verkehrsformen wird die fortschreitende Dematerialisierung und Virtualisierung eines wachsenden Teiles der Erwerbsarbeit nach sich ziehen? Wie wirkt sich die zunehmende Entgegenständlichung von Arbeit auf die Identitätsbildung und die soziale Realität des Menschen heute aus?

Alte Bewußtseinsschichten mehrerer Generationen wirken in den heutigen arbeitenden Generationen fort. Das Herstellen eines materiellen Gegenstandes gibt dem schaffenden Individuum Genugtuung und Selbstbewußtsein. Nun aber in Zeiten von „Neuen Infrastrukturen der Arbeit“, von „Industrie 4.0“ und von „Cyber-Physical Systems“ wird die Genugtuung und das Selbstbewußtsein mehr und mehr aus virtuellen Arbeitsumgebungen erwachsen müssen. Die „gesellschaftlichen Verhältnisse“ beginnen, schrittweise auf dem Zusammenwachsen – auf der Konvergenz – von Materiellem und Virtuellem zu basieren. Die Produktionsformen sind im Umbruch. Aus der alten Gemeinschaft wird eine neue Sozialität entstehen. Atomisiert oder community-orientiert?

In diesen Zeiten der Ungleichzeitigkeiten wird das Denken Eberhard Brauns, seine politische Philosophie der Hoffnung, wieder aktuell.

Expressionist in der Ebene

Foto: © Welf Schröter

Wer die Zeit findet, die voluminöse Ausstellung des Expressionisten Erich Heckel im baden-württembergischen Balingen anzusehen, bleibt verstört vor Heckels Selbstbildnis stehen. Von den Ereignissen und Qualen des Ersten Weltkrieges traumatisiert lässt der Kriegsgegner in seinem Holzschnitt „Mann in der Ebene“ die inneren Leiden des Weltkrieges hervortreten. Als ob er Edvard Munchs „Schrei“ aufgesogen hätte, sind Schock, Elend, lautlos erstickter Schrei, das Entsetzen über das industrielle Töten in diesem Werk unauflösbar verschränkt.

Zu diesem schwarz-weiß gehaltenen Ausdruck von 1917 passt das farbig überbordende Bild „Nordsee“, das er 1916 malt. In ihm spiegelt sich der Krieg in den Wolken und legt sich wie eine massive Drohung über das Meer. Verwandt dazu die schwarz-weiße Skizze „Meerlandschaft“ von 1915, in deren Mitte zwischen Wellen das Grabeskreuz an die Toten erinnert.

Heckel hatte als Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ schon lange vor Kriegsbeginn mit farbig-impulsiver, expressionistischer Malerei seine Kritik am wilhelminischen Establishment artikuliert. Der Weltkrieg warf ihn zurück. Sein Lebensaufbruch stockte. Doch die Schrecken des Desasters ließen ihn nie mehr los. Sie blieben in anderen Zeiten präsent.

Der Weltkrieg hatte auch den Expressionismus beendet. Seine Spuren finden sich in neuen Kunstformen wieder. Im kommenden August 2014 jährt sich zum einhundertsten Mal der Kriegsbeginn. Es ist mehr als angemessen, Erich Heckels Antikriegswerke im Gedächtnis zu behalten.

Hannes Meyer

Foto: Schröter

Er war einer der klugen Denker und Gestalter, er war Architekt und Direktor am Bauhaus Dessau, Hannes Meyer. Hoffnungsvoll ging er 1930 in die Sowjetunion. Dort wurde er bedrängt und verfolgt. Er floh auf heimlichen Wegen nach Mexiko. Ende der vierziger Jahre kehrte der Schweizer in sein Geburtsland zurück.

Er nahm Kontakt mit seiner politischen Freundin Karola Bloch auf, die mit Mann und Sohn ebenfalls Ende der vierziger Jahre hoffnungsvoll in die DDR wechselte. In seinen Briefen fragte er, ob er in der DDR als Architekt und Bauhäusler gebraucht werde.

Doch seine Freundin bremste ihn, warnte ihn, schützte ihn. Sie, die schon Anfang der fünfziger Jahre über die diktatorischen Züge in der DDR-Politik lästerte, signalisierte ihm, dass er Schwierigkeiten bekomme, falls er anreise, ohne die Zustimmung der SED zu haben: „Aber bevor dies nicht geschehen ist, besteht keinerlei Möglichkeit, eine Verbindung mit hier zu bekommen.“

Nun hat sich die Stiftung Bauhaus in ihrer jüngsten Zeitschrift an ihren früheren Leiter erinnert. Die Juni-Ausgabe 2013 der „Bauhaus“ fragt sich, warum die SED Hannes Meyer nicht mitwirken lassen wollte am Aufbau der DDR. Dabei greift der Autor Peter Müller auch auf die Karola-Bloch-Editionen und Briefe-Bearbeitungen des Talheimer Verlages zurück.

Hannes Meyer lehnte es ab, sich der Parteiräson zu unterwerfen. Er starb 1954. Karola Bloch wurde 1957 aus der SED ausgeschlossen. Als 1990 die SED und deren Nachfolger der Architektin Bloch anboten, sie zu rehabilitieren, nahm sie einen gelassenen Zug von ihrer Zigarette R6 und meinte, es müsse noch geklärt werden, wer hier wen zu rehabilitieren habe.

Diese Haltung hätte ihren Freund Hannes Meyer sicherlich gefreut.

Diskurs „SozialCharta Virtuelle Arbeit“

Foto: Schröter

Mit dem pluralistischen Diskurs um eine „SozialCharta Virtuelle Arbeit“ soll ein Blick in die nahe Zukunft der Arbeit geworfen werden. Dabei geht es gestalterisch um die Frage, „was wir heute anstoßen sollten, damit morgen verbesserte humane und soziale Arbeitswelten in der Informations- und Wissensgesellschaft möglich werden“. Deshalb befasst sich der Diskurs sowohl mit einer Vorausschau wie auch mit der Beschreibung dessen, was zukünftig sozial genannt wird.

Am Ende des offenen Diskurses, an dem sich Menschen unterschiedlicher weltanschaulicher Richtungen und unterschiedlicher Positionen aus Wirtschaft- und Arbeitszusammenhängen beteiligen, steht keine Musterlösung und keine Musterbetriebsvereinbarung. Es geht vielmehr um die Sammlung konsensfähiger Eckpunkte, die in betriebliche, tarifliche und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse eingebracht werden können. Der Diskurs will widersprüchliche Interessen der um Einkommen bemühten Berufstätigen aufgreifen, kontrovers beraten und Gemeinsamkeiten herausarbeiten.

Der Diskurs bezieht sich auf Erfahrungen und Kenntnisse, die aus der ehrenamtlichen Arbeit des seit zwanzig Jahren aktiven Personennetzwerkes Forum Soziale Technikgestaltung gesammelt wurden. Zugleich ist der Diskurs eine Art Werkstatt-Blitzlichtaufnahme, der auch seine Grundannahmen hinterfragt und immer wieder an neue Erfahrungen anpasst.

Die einfließenden Meinungen kommen von Betriebsräten, Personalräten, Beschäftigten, Angestellten, Wissenschaftler/innen, Erwerbssuchenden, Selbstständigen, Werkverträgler/innen, Gewerkschafter/innen, unternehmerisch Handelnden, Forschenden, Verbandsvertreter/innen, politisch Aktiven, CLOUDwerkern, Netznomaden, Cybernauten und Neulingen. Alle demokratisch denkenden Menschen, die hart in der Sache und freundlich im Umgang debattieren wollen, sind willkommen. Kontakt: schroeter@talheimer.de

Ungleichzeitigkeit der digitalen Demokratie

Foto: © Welf Schröter

Die Alltagswirkung dessen, was mancher Wissenschaftler euphemistisch „Wissensgesellschaft“ nennt, dringt in die Lebenswelt fast aller Bürgerinnen und Bürger ein. Im virtuellen „Datenschutzforum“ hat sich jüngst Peter Schar, Bundesbeauftragter für Datenschutz und die Informationsfreiheit, zu Wort gemeldet:

„Unabhängig von dem aktuellen „Skandal” hat die Informationstechnik schon heute jeden Arbeitsplatz, jeden Haushalt und große Bereiche unserer Freizeit erreicht. PCs, Tablet-Computer und Smartphones sind nicht einfach nur neue Werkzeuge der Kommunikation, die ansonsten folgenlos bleiben: Die Integration von Chips in alle möglichen Gegenstände, die umfassende Vernetzung aller möglichen Aktivitäten und die leichte Zugänglichkeit sozialer Netzwerke hat den Alltag einer wachsenden Zahl von Menschen dramatisch verändert und beeinflusst damit nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere Wahrnehmung der Realität. Und die damit verbundenen Risiken – nicht nur für die Privatsphäre – werden immer deutlicher.“ (August 2013)

Der politische Kommentator Sascha Lobo hat parallel in seiner Kolumne in Spiegel Online zu Recht auf die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung der digitalen Gesellschaft hingewiesen:

„Das politische Empfinden zur digitalen Sphäre breitet sich schmerzhaft langsamer aus als die Nutzung des Internets. Die Werte einer digitalen Demokratie entstehen nicht von allein, nur weil eine demokratische Gesellschaft digitaler wird.“

Die technischen „Innovationen“ strukturieren und verändern die materielle und zivilgesellschaftliche Basis schneller als das Lernen der Mitglieder dieser Gesellschaft die Demokratisierung der Verkehrsformen bewirken kann. Es scheint als ob Blochs „docta spes“ (belehrte Hoffnung) noch immer belehrte Erfahrung und belehrende Enttäuschung voraussetzt.