Ein bekannter Fernsehkabarettist brachte es jüngst auf den Punkt: Was einst unzweideutig als Unwahrheit oder gar Lüge bezeichnet wurde, wird heute verniedlichend als „postfaktisch“ tituliert.
Medienmarketingprofessionelle wollen uns einreden, ein „postfaktisches Zeitalter“ sei angebrochen. Ein Kommentator des Deutschlandfunks verstieg sich sogar zu der Äußerung, es gelten jetzt „Gesetze des postfaktischen Zeitalters“.
Davon abgesehen, dass das Wort „postfaktisch“ eine schlechte und ideologisierte Übersetzung der amerikanischen angeblichen Neuheit der „post truth politics“ darstellt, sollten wir bei dem neuen Medienhype um das „Postfaktische“ doch einmal nüchtern in die Vergangenheit blicken. Was wir erkennen können, ist nicht überraschend.
Seitdem es öffentlich nutzbare Medien gibt, versuchen Einflusskräfte ihre Interessen durch gezielte Manipulation der Leserinnen und Leser durchzusetzen. Egal, ob wir an die kaiserlich-wilhelminische Propaganda für die Provozierung des Ersten Weltkrieges oder an die Medienkampagne nach 1918 zur Verbreitung der „Dolchstoßlegende“ denken. Ob wir an die Hassreden der Nationalsozialisten per neuentwickeltem „Volksempfänger“ erinnern oder an die Kampagne der Bildzeitung 1968 gegen Rudi Dutschke, die zum Attentat führte. Ob wir die Manipulation der tschechoslowakischen Öffentlichkeit durch die moskautreuen Panzerkommunisten in Erinnerung rufen, die 1977 die Unterzeichnenden der „Charta 77“ verunglimpften und zum Teil antisemitisch verfolgten. Ob wir den bewussten Falschmeldungen amerikanischer Behörden über den vermeintlichen Besitz an Massenvernichtungsmitteln in den Händen des blutigen Diktators Sadam Hussein nachgehen oder ob wir Falschmeldungen russischer Medien über Vergewaltigungen in Berlin betrachten. Ob wir religiös verbrämte Heilsbotschaften lesen oder gezieltes Mobbing in Social Media-Kontexten erkennen. Stets geht es um die vorsätzliche Verbreitung von Unwahrheit, um Emotionalisierungen, um Polarisierung und ein Freund-Feind-Vereinfachungsparadigma im Sinne Carl Schmitts. Ob per Zeitung, per Radio, per Leinwandfilm, per Fernsehen, per E-Mail oder per Kurznachrichtendienst – neu ist daran höchstens die Geschwindigkeit der Verbreitung in Echtzeit und per Bots, nicht aber ihre Potenziale.
Die Ideologisierung zum „Postfaktischen“ will uns heute vermitteln, dass flankierend zur „Industrie 4.0“ nicht nur eine neue ökonomische Formation im Entstehen ist sondern auch eine neue Medienwelt. Dieses Neue wird alle fünf bis zehn Jahre hervorgezaubert, insbesondere dann, wenn eine neue Anwender- oder Sicherheitstechnologie verbreitet werden soll. In fünf Jahren werden uns die Social Media-Konzerne sicherlich das Zeitalter des „Post-Gesellschaftlichen“ und danach die Ära des „Post-Humanum“ nahelegen.
Es bleibt dabei, die vorsätzliche Verbreitung von Falschmeldungen war, ist und bleibt nicht „postfaktisch“ sondern schlicht ein Beitrag zur Streuung von Unwahrheit. Eben kontrafaktisch. Es bedarf keiner Verniedlichung. Oder wie es ein humorvoller Kritiker ausdrückte, das einzig „Postfaktische“ sei der Begriff des „Postfaktischen“.