Wer Ernst Blochs Hoffnungsphilosophie verstehen will, sollte sein Lesen mit der ersten Version von „Geist der Utopie“ (1918) beginnen. In jener Kriegszeit zwischen 1915 und 1917 intensivierte sich Blochs Ringen mit der Religion und dem Christentum. Die Kritik der herrschenden Verhältnisse beginne mit der Kritik der Religion.
Blochs Hoffnungsdenken ist diesseitig. Das Versprochene der Religion muss diesseitig werden. So ist die Genesis für Bloch nicht am Anfang der Menschengeschichte, sondern sie bildet dessen erfüllte Zukunft.
Der Kirchenfenstermaler und französische Künstler François Chapuis fasste sein Hoffnungsverständnis in ein geradezu expressionistisches Farbenspiel: Ein Chagall nachempfundenes tiefes Blau will „die Menschheit aus der Hölle holen“, die Hoffnung aber fordert ein belebendes Rot.
Wenn Bloch fordert, Hoffnung muss enttäuscht werden, damit sie als „belehrte Hoffnung“ (docta spes) wirken kann, so bietet Chapuis ein leuchtendes Rot, „im Schmerz geboren, wiederbelebend“.
Bloch und Chapuis haben sich nicht gekannt. In ihrer Hoffnungssicht jedoch zeigt sich Verwandtes. Während das Christentum den Glaube ins Zentrum rückt, lässt Bloch – und mit ihm Chapuis – die Hoffnung zum wesentlichen Handlungsmotiv werden. Sie ist es, die die Genesis einläuten soll.
Chapuis aber steht dem Denken des französischen Dichters und Dramatikers nahe, der 1914 im begonnenen Weltkrieg starb. Der Sozialist Péguy war es, der in seinem poetischen Gedicht den Christengott zu neuen Einsichten verleiten wollte. Er lässt diesen über Glaube und Liebe spekulieren, um dann den Christengott irritiert innehalten zu lassen: „Was mich wundert, sagt Gott, das ist die Hoffnung. Da komm ich nicht mit. Diese kleine Hoffnung, die nach gar nichts aussieht. (…) Die kleine Hoffnung schreitet einher zwischen ihren zwei großen Schwestern, und man beachtet nicht einmal, dass sie da ist.“
In seinem literarischen Werk „Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung“, das erst 1929 posthum erschien, lässt Péguy den Christengott erkennen: „Die Hoffnung sieht, was noch nicht ist, und was sein wird. Sie liebt, was nicht ist, und was sein wird.“ Charles Pierre Péguy, der Zola-Anhänger, starb vor einhundert Jahren in den ersten Wochen des Ersten Weltkrieges am 5. September 1914. Er hat Blochs Philosophie über das „Noch-Nicht“ nicht lesen können.