Gauck und Heimat

Unter dem Motto „Unsere Heimat kommt nicht in braune Hände“ hielt Bundespräsident Joachim Gauck am 20. Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen am 26. August 2012 eine bemerkenswerte Rede. Darin sprach er von den „größten ausländerfeindlichen Ausschreitungen in der Geschichte der Bundesrepublik“. Rostock habe ein „Brandmal“. Einen wesentlichen Teil seiner Ansprache befasste sich Gauck mit dem mitgetragenen Früheren, das sich einmischt: „Ich weiß, dass in Lichtenhagen, in Rostock, wie überall in der DDR viele Menschen nach der Wiedervereinigung arbeitslos wurden, dass sie sich als Verlierer sahen, enttäuscht waren über die Zustände im neuen Deutschland, in dem sie – anstatt zu Wohlstand zu gelangen – häufig sozial abrutschten. Ich weiß, dass sich viele tief verunsichert fühlten, orientierungslos in der neuen Freiheit, überfordert mit den unzähligen und einschneidenden Veränderungen, ungeübt in der Übernahme von Verantwortung. Ich weiß, dass bei manchen Menschen die Furcht vor der Freiheit umschlug in Wut und Aggression. Die Entstehung solcher Gefühle kann man erklären. Aber unsere Erfahrung lehrt: Wenn Hass entsteht, wird nichts besser, aber alles schlimmer. Hass darf als Mittel der Konfliktlösung niemals geduldet sein!“ An anderer Stelle analysiert er: „Auch Erfahrungen von materieller Sicherheit, Frieden und einer gesicherten Ordnung führten und führen dazu, dass der Einzelne wie die Gesellschaft die Angstimpulse besser beherrschen können. In Zeiten der Krise jedoch, Zeiten des Umbruchs oder der Identitätssuche wächst die Angst rapide.“ Hier sprach Gauck auf den Spuren Blochs „Ungleichzeitigkeit“ und folgerte immanent: „Es liegt nicht am schlechteren Charakter der Ostdeutschen, dass es Unterschiede zu den Westdeutschen gibt, sondern an unseren unterschiedlichen Prägungen und Erfahrungen: Hier im Osten konnten wir nicht teilhaben an einer Zivilgesellschaft von aktiven und eigenverantwortlichen Bürgern.“ Doch zugleich verlässt er Blochs Denken, wenn er den Heimat-Begriff als Ort bezeichnet, von dem man herkommt bzw. in dem man lebt. Blochs Heimat-Definition setzt die Genesis an das Ende der Geschichte der Menschwerdung und sieht Heimat als die zu gestaltende konkrete Utopie in naher Zukunft.