„… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“
Die Architektin Karola Bloch

Neuerscheinung von Roland Beer und Claudia Lenz: „… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“ – Die Architektin Karola Bloch

Der erschienene Doppelband „… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“ – Die Architektin Karola Bloch lässt Karola Bloch auf neue Weise für sich sprechen. Es ist eine Wiederentdeckung und zugleich an zahlreichen Stellen eine Neuentdeckung. Bislang unbekannte Briefinhalte, unveröffentlichte Beiträge und Texte, Fotos, Einblicke in das Leben einer Frau, die ihr Leben lang kämpfen musste und doch auch mehrmals verzweifelt war, bringen nun den Lesenden ein bislang zu wenig beleuchtetes und vielfach unerwartetes Bild einer widerständigen Persönlichkeit nahe.

Der Stadtplaner Roland Beer und die Architektin Claudia Lenz spüren fachlich neugierig dem beruflichen Werdegang der Architektin, Hitlergegnerin, SED-Kritikerin, Sozialistin, Aktivistin, Anhängerin von Solidarnosc und Charta 77, Jüdin und Polin Dipl.-Ing. Karola Bloch (1905–1994) nach. Sie lassen die leidenschaftliche Anhängerin des Neuen Bauens und der Architekturmoderne auf vielfältige Weise in das Scheinwerferlicht treten. Respektvoll und zugleich kritisch zeichnen sie das Lebenswerk nach, das die schöpferisch arbeitende Frau in der Baukunst insbesondere in ihrer Leipziger Zeit hinterlassen hat.

Diese Würdigung wird ergänzt um knapp dreißig zumeist unveröffentlichte Textbeiträge von Karola Bloch aus ihrer Arbeit als Architektin. Darin sind auch Gebäudepläne und Skizzen enthalten. Als Denkerin in der Welt der Architektinnen und Architekten nahm sie professionell den Standpunkt des Baulich-Sozialen und die Perspektive der Frau ein.

Roland Beer und Claudia Beer folgen in ihrer erzählerischen Darstellung der zeitlichen Struktur, die Karola Bloch für ihre Autobiografie selbst gewählt hatte. In diese Zeitlinie fügen sie ihre umfangreichen Rechercheergebnisse und Erkenntnisse aus Quellenstudien ein. Sie bewegen sich entlang der Spuren der berufstätigen unfreiwilligen Exilantin von Łodz über Moskau nach Berlin, Zürich, Wien, Paris, Prag, New York, Leipzig bis nach Tübingen. Erst in Tübingen beendete Karola Bloch ihre Architekturtätigkeit.

In gut verständlicher Sprache und fachlich präzise verknüpfen der Autor und die Autorin den beruflichen Werdegang, das Ringen um die Positionen des Neuen Bauens und des Bauhauses mit politischem Zeitgeschehen, mit Flucht und Exil, mit Widerstand gegen Hitler, mit ihrer Aktivität in der KPD und mit ihrem antistalinistischen Widerspruch gegen die SED, mit dem Trauma der Shoah und mit ihrer Liebe zu Ernst Bloch.

Ergänzend zum flüssig geschriebenen bebilderten Blick auf die berufliche Emanzipation und das Durchsetzungsvermögen einer mehrsprachigen Fachexpertin des Bauens haben Roland Beer und Claudia Lenz einen jeweils lesefreundlich ans Ende der Kapitel gesetzten Anmerkungsapparat geschaffen, der in zusammen über 1800 Angaben Belege für ihre Aussagen aufzeigt. Im zweiten Band finden die Lesenden neben einer umfangreichen Literaturliste auch ein vielfältiges Personenverzeichnis, das ein Suchen in 696 Seiten sehr erleichtert.

Der Doppelband ist ein Meilenstein der Karola-Bloch-Forschung und zugleich eine respektvoll kritische Wertschätzung der Lebensleistung der Architektin Karola Bloch, frei nach ihrem Motto „… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“.

Lesezettel: Roland Beer, Claudia Lenz: „… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“ – Die Architektin Karola Bloch. Mössingen 2022, 2 Bände, 696 Seiten, Format 22×22 cm, 2330 g, bebildert, Preis 95,00 €, ISBN 978-3-89376-187-6. Direktbestellungen können gesandt werden an: scherer@talheimer.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Von Roland Beer und Claudia Lenz

Rezept
Von Mascha Kaléko

1905–1928 Herkunft und erste Einflüsse

1905–1914 Lódz In der häßlichen Stadt
1914–1918 Moskau Augenzeugin der Revolution
1918–1921 Lódź Ende der Kindheit
1921–1928 Berlin Auf der Suche

1928–1934 Studium

1928–1931 Wien Altvorderliche Studien
1931–1933 Berlin Moderne Ausbildung
1933–1934 Zürich Diplom

1934–1949 Architektin im Exil

1934–1935 Wien Erste Schritte als Architektin
1935–1936 Paris Ein unbezahltes Praktikum
1936–1938 Prag Selbstständige Frauen
1938–1949 USA Hauptverdienerin

1949–1961 In der DDR

1950–1957 Leipzig Zwischen Neuem Bauen und Nationaler Bautradition
1950–1957 Leipzig Architektin der Kindergärten
1949–1961 Leipzig Engagierte Bürgerin

1961–1994 Die kleine Stadt

1961–1994 Tübingen „… nicht berufstätig“

Beiträge von Karola Bloch aus ihrer Arbeit als Architektin

Anlage 1 Deutscher Baukalender
Anlage 2 Wie reorganisiere ich meine Wohnung
Anlage 3 Wie man Warschau aufbaut
Anlage 4 Blick nach Polen
Anlage 5 Warum nicht Barock im Sitzungssaal?
Anlage 6 Warum Barock im Sitzungssaal?
Anlage 7 Neue Typenpläne für unsere Kindertagesstätten
Anlage 8 Schlußfolgerungen zur Diskussion über die neuen Typenpläne
Anlage 9 Diskussionsbeitrag zu Fragen neuer deutscher Architektur
Anlage 10 Referat über die Typenentwicklung von Kinderkrippen
Anlage 11 Der Kindergarten
Anlage 12 Grundrißschemas von Einrichtungen für das Kleinkind
Anlage 13 Kindergärten und Kinderwochenheime
Anlage 14 Das Kinderwochenheim „Zukunft der Nation“ der Leipziger Baumwollspinnerei
Anlage 15 Kindergärten oder Anstalten?
Anlage 16 Aufstellung der durchgeführten Arbeiten in den Monaten April – Juli 1954 von Karola Bloch
Anlage 17 Kritische Analyse des Architekturschaffens in der Deutschen Demokratischen Republik
Anlage 18 Ergänzung zu den Richtlinien für die Projektierung und den Bau von Kinderkrippen und Kindergärten
Anlage 19 Die Frau als Architektin
Anlage 20 „Ich baue gern Kinderheime!“
Anlage 21 Eine Frau baut Kindergärten
Anlage 22 Schluß mit der „Schlagsahne“
Anlage 23 Diskussionsbeitrag, Beiträge zur Industrialisierung der Möbelproduktion
Anlage 24 Möbel im Kreuzverhör
Anlage 25 Über Raumhöhe
Anlage 26 Ein mutiger Architekt
Anlage 27 Leserbrief an „Neues Deutschland“ zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953
Anlage 28 Formgestaltung der Küche
Anlage 29 Zeitgemäße Haushaltsgeräte
Anlage 30 Vom Bauen und Zweckmäßige Küche

Nachwort

„Erst mal einen Stein legen, von dem der Sprung gelingt“ (Karola Bloch)
Verlegerische Gedanken zur Würdigung der Lebensleistung von Karola Bloch
Von Irene Scherer und Welf Schröter

Bucheditionen im Talheimer Verlag von und zu Karola Bloch
Reproduktionsnachweise
Quellenverzeichnis
Angaben zum Autor und zur Autorin
Namensverzeichnis

Vorwort von Roland Beer und Claudia Lenz

Karola Bloch war durch und durch Architektin. Auch wenn ihr das Leben immer wieder Steine in den Weg legte, oder sie manchmal andere Prioritäten setzen musste: Architektur war eine große Leidenschaft von ihr. Sie war glücklich, Architektin zu sein. Und doch ist diese Tatsache, oder dass sie ihre Ausbildung als Frau, Jüdin und Sozialistin nur mit starkem Willen gegen die damaligen Umstände beenden konnte, oder dass sie lange Jahre an verschiedenen Orten und auf zwei Kontinenten als Architektin gearbeitet hat, nur in Teilen bekannt. Eine umfassende Darstellung ihres Architektinnenlebens lag bisher nicht vor.

Mit diesem Buch möchten wir eine solche Darstellung wagen. Ausgangspunkt unseres Vorhabens war Karola Blochs Autobiographie „Aus meinem Leben“. Die vielen Textpassagen, die sich direkt oder auch nur am Rande mit ihrer Ausbildung und ihrer Arbeit als Architektin befassen, ergeben zusammen genommen ein aussagekräftiges Bild über ihre Selbstwahrnehmung sowie ihre eigene Verortung in der Architekturszene ihrer Zeit. Doch waren für uns die von ihr erwähnten Namen, Orte und Ereignisse vor allem eine Grundlage für weitere und tiefere Recherchen. Die Suche in Archiven, Bibliotheken und Briefwechseln im In- und Ausland half uns, die Aussagen der Autobiographie an vielen Stellen sehr zu erweitern. Einen besonderen Schwerpunkt legen wir auf Karola Blochs Tun in ihrer Leipziger Zeit, wo sie einige Jahre als Mitarbeiterin der Deutschen Bauakademie in Berlin die architektonischen Entwicklungen in der DDR mitgestaltet hat. Nicht nur ein Nebenprodukt war für uns die Untersuchung von Beziehungsgeflechten, Netzwerken und persönlichen Freundschaften. Dabei zeigten sich Entwicklungslinien der Architekturgeschichte, und wie sich die verschiedenen Planerinnen und Planer gegenseitig beeinflusst haben.

Ihr gezwungenermaßen unstetes Leben ermöglichte es Karola Bloch nie, wirklich berufliche Wurzeln zu schlagen oder sich einen Namen zu machen. Immer wenn sie gerade begann, Fuß zu fassen, ging es schon wieder weiter an einen neuen Ort. Mit diesen Ortswechseln gingen oft persönliche Schriftstücke und Fotografien sowie die Unterlagen über ihre architektonischen Arbeiten verloren. Doch war es bei unseren Recherchen immer wieder erstaunlich, wo überall Spuren ihres Wirkens zu finden waren. So konnten wir manche Lücken schließen und ihr Oeuvre aus 27jähriger Tätigkeit als Architektin an vielen Stellen rekonstruieren.

Wir sind selbst planerisch tätige Menschen – Stadtplaner und Architektin. Wir müssen uns in unserem Beruf jeden Tag aufs Neue damit auseinandersetzen, was unser Tun für die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern bedeutet, was guter Raum ist und vieles mehr. Auch Karola Bloch musste sich diesen Fragen stellen und immer wieder ihre Haltung als Architektin hinterfragen und nachjustieren. Aus ihrer Autobiographie und den vielen anderen Quellen lassen sich Wesenszüge und Ansichten herauslesen, von denen sie sich bei ihrem architektonischen Tun leiten ließ. Sie hatte klare ästhetische Vorstellungen und arbeitete immer sehr detailliert an der funktionellen Qualität ihrer Entwürfe. Aber sie behielt dabei immer die Menschen, die die Gebäude nutzen sollten, fest im Blick. Sie arbeitete nie „von oben herab“, sondern setzte sich immer mit den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen auseinander. Ihr war das jeweilige Projekt wichtig, nicht ihre persönliche Eitelkeit.

Karola Bloch war eine außergewöhnliche Frau. Trotz aller Schläge – ihre Flucht vor der Verfolgung im 3. Reich, ihr jahrelanges Exil in Europa und den USA, die Ermordung ihrer Familie durch die Nazis und die schmerzlichen Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus – machte sie immer weiter und gab nie auf. Ihr Schicksal steht dabei prototypisch für die leidvollen Erfahrungen vieler Menschen im 20. Jahrhundert, gleichzeitig aber auch für den Mut vieler Menschen, gegen Unrecht und Menschenfeindlichkeit aufzustehen. Als politische Frau ist sie bis heute für viele ein Vorbild – für uns ist sie vor allem aber auch eine bemerkenswerte Architektin und wir hoffen sehr, dies mit unserem Buch ins öffentliche Bewusstsein rücken zu können.