Blochs „mehrschichtige Dialektik“ als Gestaltungsansatz in der „digitalen Transformation“

In der Geschichte der Gesellschaften in Europa und insbesondere in der deutschen gebrochenen Historie führten tiefgreifende Transformationen immer wieder zu Polarisierungen zwischen jenen, die das Bisherige bewahren, und jenen, die das Vorhandene überschreiten wollten. Bei Übergängen und Umbrüchen innerhalb einer sozialökonomischen Formation markierten die Beschleunigungen des Wandels nicht selten eine größere Rolle als die Richtung des Wandels selbst. Geschwindigkeit dominierte die subjektive Wahrnehmung und die psychologischen Reaktionsmuster.

Der durch die Globalisierung eingeleitete Bedeutungsverlust des Nationalen und des Nationalstaates wird durch den Prozess der beschleunigten Digitalisierung bzw. der „digitalen Transformation“ abermals akzentuiert. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten voranschreitende Entortung und Entzeitlichung menschlicher Begegnungsmöglichkeiten erscheint angesichts weltumspannender Internetinfrastrukturen als Bestätigung des Nicht-Nationalen und als sich verstärkende Ausrichtung weg vom nationalen Denken.

Foto: © Welf Schröter

Die „digitale Transformation“ wird dabei zunächst subjektiv in ihrer Veränderungskraft als durchsetzungsfähiger empfunden, als sie zu Beginn in ihrem faktischen Gehalt ist. Die sich beschleunigende Transformation des virtuellen Raumes mit dem gleichzeitig sich qualitativ konvergierenden Mensch-Netz-Interaktionsraum löst Emotionen aus, die ungleichzeitig zum Realen und ungleichzeitig zum Historischen wirken. Menschen sehen sich nicht mehr als souverän Handelnde sondern als immer häufiger bloße Assistenten oder Entmündigte von Technik.

In ihrem sozialpsychologisch-soziologischen Deutungsverhalten hinken Sozialwissenschaften und Philosophie größtenteils hinter dem derzeit vorherrschenden Primat des Technisch-Digitalen hinterher. Eine wesentliche Stärkung des Primats des Gesellschaftlich-Sozialen und der Subjektidentität ließe sich erreichen, wenn ein interdisziplinärer Diskurs sich auf der Basis von Ernst Blochs „mehrschichtiger Dialektik“ vorantreiben ließe. Blochs Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ entfaltet im Hinblick auf gesellschaftlich-kulturelle wie sozialpsychologische Herangehensweisen und Methoden seine ganzheitliche Wirkung.

Angesichts des Wandlungsprozesses der Arbeit und deren latenzhafter Identität-Nicht-Identität der weiteren Entfremdung des tätigen Menschen und seiner Emanzipationspotenziale mit Hilfe des Abstrakt-Virtuellen kann die „mehrschichtige Dialektik“ zur Aufhebung unabgegoltener „belehrter Hoffnungen“ (Bloch) beitragen. Die „digitale Transformation“ des Hier und Jetzt in ein humanes Morgen gelingt eher auf der Basis „mehrschichtiger Dialektik“.

Eine Aussage des Tübinger Philosophen Helmut Fahrenbach, die dieser unter Rückgriff auf Blochs Kritik an ökonomistischem Denken traf, ließe sich methodisch heute neu lesen: „Wenn die marxistische Aufklärung gegen diese Irrationalismen nur objektive ökonomische Wahrheiten setzt, anstatt in der dialektischen Kritik des Irrationalen auch die utopisch-subversiven Elemente (Potentiale) freizulegen und zu reflektieren, wird sie am Lebensgefühl und Bewusstsein der Menschen wirkungslos vorbeireden.“ (Helmut Fahrenbach: Philosophie – Politik – Sozialismus. 2016. ISBN 978-3-89376-1586)

 

Schwierigkeiten beim Lesen von Hartmut Rosas „Resonanz“

Foto: © Welf Schröter

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Kein Zweifel: Hartmut Rosa hat mit seinen Werken „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung“ (2012) und „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) beachtliche fachliche und intellektuelle Herausforderungen geschaffen. Seine These von der „Resonanz“ als „Modus des In-der-Welt-Seins, das heißt eine spezifische Art und Weise des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt“ (Resonanz 285) formuliert auf den ersten Blick einen neuen soziologischen Erklärungsversuch der Folgen der Moderne.

Er sieht „Resonanz“ und „Entfremdung“ als „kategoriale Grundbegriffe einer systematischen Soziologie der Weltbeziehung“ (Resonanz 281). „Resonanz“ ist dabei weder ein materieller noch ein substanzieller sondern ein „relationaler Begriff“ (285). Kein „Gefühlszustand“ sondern ein „Beziehungsmodus“ (288). Ohne „Resonanz“ sei weder „Identität noch Sozialität“ möglich.

Hartmut Rosa ist zu verdanken, dass er die vorhandene Methoden- und Theorievielfalt der soziologischen Annäherungen an die Welt um zwei neudefinierte Kategorien erweitert und akzentuiert hat. Seine Kritik der „Resonanzverhältnisse“ sucht nach dem Gelingen oder der Blockierung von Resonanzen, die bei ihm weit über den Begriff der Kommunikation hinausverweisen.

Der Autor artikuliert, dass er nicht den Anspruch hat, mit diesen Kategorien, die sich seiner Ansicht nach zueinander auch dialektisch verhalten können, alle Weltbeziehungen als resonant oder nicht-resonant sezieren zu wollen. Und doch ist sein jüngstes Buch ein Beleg für den genau diesen in Abrede gestellten dominanten Anspruch. Mit einem zuweilen unterhaltsamen Parforce-Ritt durch Soziologie, Philosophie, Psychologie und durch verschiedene Felder interdisziplinärer Frauenforschung häuft er beerbend nicht enden wollende, komplexe und banale Beispiele, Zitate, Anekdoten und Erzählungen an, die seine Thesen bestätigen können oder sollen. Da müssen dann auch schon einmal Grateful Dead, Bob Dylan, die „Scorpions“ oder Heavy Metal-Rockgruppen als Indizien herhalten.

Bewusst nimmt er Theorieerbschaften auf, legt sie ab oder verformt sie. Dies propagiert er insbesondere in seiner Entleerung des Marx’schen Entfremdungsbegriffs, den er jenseits materieller Rahmsetzungen neu auflädt. Seine Rezeption von ökonomiekritischen Ansätzen endet in der weitgehenden Loslösung von ökonomischen Analysen. Er vollzieht den Abschied von einer sozioökonomischen und formationellen Herangehensweise hin zu einer eher ideen- und empfindungsschwangeren Betrachtung. Zwar räumt er ein, dass „Arbeit und Familie, aber auch die Kunst, die Religion und die Natur“ (294) als moderne „Resonanzräume“ fungieren können, schränkt sich aber im Folgenden weitreichend selbst ein, in dem er ordnend festhält, dass „Natur, Kunst und Religion konstitutive Resonanzräume für die moderne Gesellschaft“ (296) darstellen.

Trotz kritischer Auseinandersetzung mit der Marx’schen Entfremdungsanalyse, dem Marx’schen Arbeitsbegriff und der Position von Lukács rückt der Faktor Arbeit und die Frage der materiellen Vergegenständlichung des Menschen aus dem Fokus an den Rand der Aufmerksamkeit. Rosas bunte und kluge Textkonfiguration bleibt letztlich eklektizistisch. Er nimmt die „Kritische Theorie“ im Sinne Adornos auf, verabschiedet sich davon und wendet sich Luhmann zu. Er untergräbt selber das Potenzial seiner Thesen, in dem er Widergängiges und Widersprüchliches ausgrenzt und sich nur auf Affirmatives stützt.

Mehr noch: Er liest die ihm vorlegenden Werke der Soziologie, Philosophie, Politischen Ökonomie etc. nicht originär in der Intention und der systemischen Konzeption der Verfasser, sondern sucht sich aus den Textstellen anderer Autoren jene Passagen oder Argumentationslinien heraus, die ihm gelegen erscheinen. So gelingt es ihm in seiner „Ich“-Erzähler-Form, sich und seine Resonanztheorie als „verbindendes Glied in der Kette der kritischen Denker“ selbst einzureihen, die von Marx, Lukács, Adorno, Fromm, Marcuse „bis zu Jürgen Habermas und Axel Honneth reicht“ (565). Diese etwas nicht uneitle Selbstreferenz unterstreicht er mit der nicht überraschenden Antwort auf eine von ihm selbst rhetorisch gestellte Frage, ob denn Habermas „zum Begründer und Verteidiger einer resonanten Moderne“ werde, mit dem qualifizierenden Hinweis auf diesbezügliche Habermas’sche Begrifflichkeiten: Diese seien „reduziert“ und „defizitär“ (591). Dagegen sieht Rosa in Marx jenen, der schon zu seinen Zeiten beschrieb, wie „lebendige, resonante Beziehungen zwischen Menschen“ durch „stumme Beziehungen von Dingen“ ersetzt werden (540). Hier deutet Rosa nun Marx um.

An dieser Stelle erscheint es angebracht, Rosa gegen Rosa zu zitieren: „Die 68er-Generation verfügt über eine tendenziell andere, biografisch entwickelte Resonanzlandkarte als die Flakhelfergeneration oder die Mauerfallgeneration“ (657). Der 1965 geborene Resonanzforscher kennt auch die Gründe: „Die Revolte um 1968 war vor allem anderen eine ästhetische und musikalische Revolution, …“ (373).

Der neue Weg von dem sehr guten Band „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung“ (2012) zu „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) ist keine qualitative Verbesserung.

 

Rosas „Resonanz“ ohne Blochs „Heimat“

Foto: © Welf Schröter

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Die neue Ausarbeitung des Soziologen Hartmut Rosa mit dem Titel „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) hat große Erwartungen erzeugt. Ausgehend von seinem hervorragenden Band „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung“ (2012) war zu glauben, dass er seine Analyse der Zusammenhänge von Beschleunigung und Demokratie, von Zeitwahrnehmung und Selbstwahrnehmung vertiefen und erweitern würde. Doch im Kern hat er sich von seiner früheren Perspektive schrittweise entfernt und sich einer affirmierenden Positionierung genähert. (Siehe dazu „Schwierigkeiten beim Lesen von Hartmut Rosas ,Resonanz‘“.)

Rosa legt eine hochinteressante Darlegung der beiden neu definierten Kategorien „Resonanz“ und „Entfremdung“ vor. Nachteilig wirkt sich aus, dass er die Entstehung seiner Theorie früheren Denkern wir Marx, Adorno, Habermas und Bloch geradezu buchstäblich in den Mund legt, als ob diese die wissenschaftliche Tür für Hartmut Rosa geöffnet hätten.

In einem grundlegenden Missverständnis des Bloch‘schen Werkes schreibt Rosa etwa (740): „Kinder sind Resonanzwesen, so hat es sich gezeigt; nicht zuletzt deshalb konnte Bloch postulieren, die (resonante) Heimat, in der noch keiner gewesen sei, scheine uns aus der Kindheit her.“

Rosa nennt zwar das dreibändige Werk von Ernst Bloch „Das Prinzip Hoffnung“ als Referenzliteratur, hat es offensichtlich aber nicht ausreichend rezipiert. Auf 815 Seiten kommt er lediglich zwei Mal auf Blochs „Heimat“-Begriff zu sprechen. Jedoch verwendet er lediglich das auf der Buchrückseite des dritten Bandes zitierte Schlusszitat. Die für die „Resonanz“-Diskussion notwendige Aufhebung des Bloch’schen Begriffes der „Ungleichzeitigkeit“ unterlässt er völlig (604). In der produktiven Spannung von „Resonanz“ und „Ungleichzeitigkeit“ läge aber eine der Schlüssel-Thesen und Anti-Thesen einer zukunftsweisenden systematischen Theorie moderner Gesellschaftlichkeit.

Auch die hegelianische Subjekt-Objekt-Beschreibung mit ihren emanzipatorischen Kritiken durch Marx und Bloch erscheint für Rosa als materialistisch zu wendende Dialektik wenig bedeutsam. Er spricht von seiner eigenen These, in der „Subjekt und Welt einander antworten“(482, 65). Rosa erinnert an die Marx’sche Verdinglichungsanalyse (544, 579), zieht sich aber von der Möglichkeit eines oder mehrerer gesellschaftlicher Subjekte zurück.

„Resonanz ist das Andere der Entfremdung“ (306). Dieser Kernaussage Rosa schiebt der Autor eine Definition von Entfremdung nach, die sich materiell-ökonomischen Konnexen kaum zu öffnen wagt: „Entfremdung bezeichnet damit eine Form der Welterfahrung, in der das Subjekt den eigenen Körper, die eigenen Gefühle, die dingliche und natürliche Umwelt oder aber die sozialen Interaktionskontexte als äußerlich, unverbunden und nichtresponsiv beziehungsweise als stumm erfährt“ (306).

Jenseits von Blochs „belehrter Hoffnung“ („docta spes“) verwandelt Rosa Hoffnung in individuelle Zuversicht: „Resonanz entsteht also niemals dort, wo alles ,reine Harmonie‘ ist, und auch nicht aus der Abwesenheit von Entfremdung, sondern sie ist vielmehr gerade umgekehrt das Aufblitzen von Hoffnung auf Anverwandlung und Antwort in einer schweigenden Welt“ (321).

Gegen die „belehrte Hoffnung“ Blochs erscheint Rosas Hypothese wagemutig, dass „die Resonanzkraft der Geschichte erlischt, dass die geschichtlichen Ereignisse uns nichts mehr zu sagen haben“ (511).

 

Wenn das Ich mit sich nicht mehr im Einklang steht – Ein thesenhaftes Gedankenlabyrinth

Konvergenz der Ichs oder antipodischer Janus. (Foto: © Welf Schröter)

Konvergenz der Ichs oder antipodischer Janus. (Foto: © Welf Schröter)

Mit zunehmender Geschwindigkeit verändert der neue Typ von Digitalisierung ganzheitlicher Geschäfts- und Arbeitsprozesse über Betriebsgrenzen hinweg unser Verständnis von Arbeit und unser Befinden in der digitalen Transformation der Gesellschaft. ,Arbeit 4.0‘ wirft ihre Schatten voraus.

In der Arbeitswelt stehen sich hinter dem Rücken des Schaffenden das ,biografische Ich‘ und das ,virtuelle Ich‘ in einer widersprüchlichen Dualität gegenüber. Beide zusammen markieren die Eckpunkte der Identitätsarbeit des zu emanzipierenden Subjekts.Das menschliche Subjekt gerät dabei unter Echtzeitbedingungen in das Spannungsgefüge von Realität und Virtualität, von fiktiver Realität und realer Virtualität. Trägt dies zu einem Mehr an gesellschaftlicher und individueller Emanzipation bei oder erwächst daraus ein bislang unbekanntes Hemmnis, das sich dem Wert ,Selbstbestimmung‘ strukturell entgegenstellt?

Es ist nach jetziger Vorabschätzung davon auszugehen, dass die individuelle ,Identitätsarbeit‘ der nahen Zukunft dauerhaft durch die Spannung zwischen ,biografischem Ich‘ und ,virtuellem Ich‘ konfiguriert wird. Identität wird fragmentiert aus beiden Teilen bestehen. Daraus ist zu folgern, dass die Herausbildung einer ganzheitlichen Identität – als Verknüpfung der alltagsweltlichen realen Lebenslage mit der an Bedeutung gewinnenden ,virtuellen Lebenslage‘ – zu einem Schlüsselthema der kommenden wirtschaftlichen und sozialen Modernisierungsprozesse werden wird und werden muss.

Diese operative Ungleichzeitigkeit des prozessualen Arbeitens fordert vom Subjekt, vom Individuum, die Ungleichzeitigkeiten des kulturellen Erfahrens und Bewusstwerdens nicht nur als ein vorübergehendes Phänomen anzusehen, sondern in diesem Phänomen eine auf Dauer angelegte Identität/Nicht-Identität zu erkennen.

Es ist zu wiederholen: Das ,biografische Ich‘ verhält sich zu seinem ,virtuellen Ich‘ ungleichzeitig.

Die ganzheitliche Identität eines arbeitenden, schöpferisch tätigen Menschen wird zunehmend von dem Hybrid aus ,biografischem Ich‘ und ,virtuellen Ich‘ gebildet. Der Begriff der ,Identität‘ wird in den kommenden Jahren zu einem Schlüsselbegriff der Aufhebung von Entfremdung, der Humanisierung der Arbeit und zivilgesellschaftlichen Emanzipation werden. Das Themenfeld ,Identität in der Virtualität‘ wird zur gesellschaftlich-öffentlichen Gestaltungsaufgabe. Das ,Ich‘ sucht ,Heimat‘.

„Nicht alle sind im selben Jetzt da, sie sind es nur äußerlich dadurch, daß sie heute zu sehen sind, dadurch aber leben sie nicht mit den anderen zugleich. Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein. Je nachdem wo einer leiblich, vor allem klassenhaft steht, hat er seine Zeiten. Ältere Zeiten als die heutigen wirken in älteren Schichten nach. Leicht geht oder träumt es sich in ältere zurück“ [Ernst Bloch].

 

„Verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft?“ (Bloch)

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Die wachsenden Abstraktionen, Virtualisierungen, Komplexitäten, Beschleunigungen und neue Verzeitlichungen fordern Antworten für die Neuverortung des Menschen in einer sowohl evolutionär als auch revolutionär anmutenden globalisierten Vernetzung von Menschen, Dingen, Maschinen und Produkten heraus. Virtuelle und nicht-virtuelle Wirklichkeiten in den Geschäfts- und Arbeitsumgebungen greifen ineinander und erzeugen eine ganzheitlich wahrnehmbare Mischform der Arbeitswelt.Eines der zentralen wachsenden Zukunftsthemen für die Erwerbswelt ist das Entstehen, Sichern und Pflegen von Identität, von Identitätsstiftung aus virtuell-flüchtigen Arbeitsumgebungen. Darin liegt eine wesentliche gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe. Für eine ökologische, soziale und gesellschaftliche Gestaltung dieses Veränderungsbündels bedarf es einer Erweiterung der bisher zur Verfügung stehenden Handlungskategorien. Eine neue Kategorie ist in der besonderen Hervorhebung einer ganzheitlich verstandenen Sicht der Identität des Individuums in die Perspektive und Praxis von „Industrie 4.0“ zu erkennen. Eine solche positive Aufhebung von Identität ist unabdingbar, um die Entfremdungsdynamiken in der Arbeit und von der Arbeit zu begrenzen und zu bändigen.

Was passiert mit dem menschlichen Subjekt im Spannungsgefüge von Realität und Virtualität, zwischen fiktiver Realität und realer Virtualität? Erleichtert dieses Spannungsgefüge die gesellschaftliche und individuelle Emanzipation oder stellt es ein wachsendes Hemmnis dar? Der Wandel der materiell schöpferischen Arbeit hin zu einer vermehrt immateriell schöpferischen Tätigkeit führt zur Erhöhung der Abstraktion und der Komplexität des Arbeitens. Virtuelle Arbeit erfährt ihren Wert und bringt als Ergebnis der Quantität von Kommunikationsarbeit und Vernetztheit „virtuelle Identität“ hervor. Das „biografische Ich“ verhält sich dabei zu seinem „virtuellen Ich“ ungleichzeitig.

Der Biokybernetiker Valentin Braitenberg (1926-2011) sah in der Erfindung des Computers die sachlich-analytische Antwort und Kritik an der nationalsozialistischen Vergewaltigung der Sprache und der Germanistik. Die Computerei war für Braitenberg, dem Maturana-Schüler, ein aufklärerisch-antitotalitärer und basisdemokratischer Handlungsansatz. Im Gespräch betonte er, dass die Menschen sich mit Hilfe der Rechner von ideologischen Verbrämungen selbst befreien könnten.

„Wenn Du die Welt verändern willst, gib den Menschen die passenden Werkzeuge in die Hand!“ (Sinngemäß zitiert aus den studentischen Forderungen des gesellschaftskritischen „Free Speech Movement“ in Berkeley, California im Jahr 1968). So lautete der Reflex der Protestbewegung der sechziger Jahre. Teile dieser Bewegung entwickelten deshalb die ersten Personal Computer und die passende Netz-Software.

Spiegelt sich mehr als vierzig Jahre danach Unangegoltenes und Uneingelöstes? Ist dies – heute betrachtet – in den Worten Blochs eine „verhinderte, im Jetzt enthaltene Zukunft“?

„Das letzte Wort im Hauptwerk ,Das Prinzip Hoffnung‘ heißt ,Heimat‘. Der Philosoph hofft, daß einmal der Tag kommt, an dem der Mensch seine Identität, seine Heimat finden wird.“ (Karola Bloch)

Entbirgt die Spannung zwischen „biografischem Ich“ und „virtuellem Ich“ ein neues Humanum? Eine endlich humane „Ich“-Identität in Richtung auf die – im Sinne Blochs – vor uns liegende Genesis?

 

Entfremdung und Aufhebung

Hegelinschrift an der Außenfassade des Hauptbahnhof Stuttgart (Foto: © Welf Schröter)

Hegelinschrift an der Außenfassade des Hauptbahnhof Stuttgart (Foto: © Welf Schröter)

Philosophische Annäherungen an den Arbeitsbegriff – Ein Beitrag von Matthias Mayer

In Ansehung philosophie-geschichtlicher Kontextualisierung ist Hegels Versuch einer Definition der Arbeit (die vorher kaum Gegenstand philosophischer Reflexion war) als eine Rechtfertigung zu verstehen. Rechtfertigung wofür? – der produzierenden und kommerzialisierenden Bourgeoisie seiner Zeit, die noch Schuldgefühle in sich trug, weil sie die bis dato herrschende Klasse der Aristokratie durch die Guillotine hat beseitigen lassen, um selbst sich „auf deren Stühle zu setzen“ (Bloch). Seither und aus diesem „schlechten Gewissen“ heraus regiert uns das von Max Weber erkannte protestantische Arbeitsethos (= Ichideal), welches Jean-Paul Sartre in seinem Flaubert als „Ethik der Anti-Physis“ beschreibt und dessen tiefenpsychologische Antriebe Sigmund Freud und – in unseren Tagen – Arno Gruen analysiert haben.

Für Hegel ist der Satz „Ich bin Ich“ (A = A ) die kleinstmögliche aller existierenden „Arbeitseinheiten“. Anders: Selbstbewusstsein (als Identitätsformel) wird von ihm als Bewegung verstanden, als Akt und damit bereits als Arbeit.

„Das arbeitende Bewusstsein ist der Anfang der Bildung, der Anfang der Erfahrung seiner selbst als eines selbstständigen Wesens, als eines Selbstbewusstseins, das sich selbst als ein Selbst erfasst. In der Arbeit als Bildung ist der Anfang der Selbsterfahrung des Selbstbewusstseins als Ich bin Ich zu suchen.“ (Eberhard Braun)

Diese zunächst rein mentale Bewegung (Denken = Überschreiten) erweitert sich durch „Entäußerung“, d. h. im „Kampf um Anerkennung auf Leben und Tod“ zwischen „Herr und Knecht“ sowie um die Arbeit als Stoffwechsel und Ringen mit der Natur sowie um die Arbeit am realen Gegenstand. So bildet sich die Prämisse jenes Arbeitsbegriffs, auf dem der Marxismus seine Theorie vom dialektischen und historischen Materialismus hat errichten können.

„Arbeit, so muss man schließen, ist nicht allein Formieren äußerer Gegenstände, sie ist auch ein Formieren des Bewusstseins. In der Arbeit formiert das Bewusstsein sich selbst; es reflektiert sich selbst und erhebt hierin sich zum wahrhaften Selbstbewusstsein, welches die Form der Allgemeinheit, der bleibenden Gegenständlichkeit erhält.“ (Eberhard Braun)

Der Arbeitsbegriff Hegels entspringt einer Komponente seiner Ontologie (= Logik), welche (bereits) existentialistische Züge aufweist und auf der Sartre später aufbauen wird: der Gegenstand als „Nicht-Ich“ zeigt mir mein „Nichts-Ich“, d. h. mein Ich, das „Nichts“ ist, an, „füllt es aus“. Hegel: „Das Ding ist Ich“ (vielleicht der bedeutendste Satz der „Phänomenologie des Geistes“).

Von Schelling herkommend, hat Hegels Konstruktion des Selbstbewusstseins noch etwas Erzeugendes an sich – daher wird sie von ihm auch als Arbeit (ursprünglich der Natur) gefasst und bezeichnet. Dieser Aspekt entfällt bei Sartre. Ihm genügt schon der reine „Blick des Anderen“, um Ich-Gefühl und Selbstbewusstsein herbei zu führen.

Was bleibt uns also als Erbe des Hegelschen Arbeitsbegriffs? Arbeit verweist uns je auf uns selbst, erfüllt somit eine grundlegende ontologische Funktion. Entfällt diese, beherrschen Entfremdung und Verdinglichung unsere Lebens- wie Arbeitswelt.

 

Arbeit und Identität

(Foto: © Welf Schröter)

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Im Rahmen des Diskurses „Identität in der Virtualität“ ergriff der Tübinger Dozent und Philosoph Matthias Mayer in der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ das Wort. Er suchte die Verbindung zwischen Arbeit und Identität. Dabei wandte er sich dem Werk des Bloch-Schülers Eberhard Braun zu, der in seiner kritischen Adaption Hegels schrieb:

„Arbeitend erhebt das Selbstbewusstsein sich von seinem Versenktsein in das natürliche Sein zu einem übernatürlichen, geistigen Sein. Arbeit ist, so müssen wir sagen, im Kern absolute Abstraktion, der Beginn der Negation der Negation und deshalb der Anfang des Geistes.“ (Eberhard Braun)

„Hegel begreift das Wesen des Menschen als Prozess der Selbsterzeugung durch Arbeit. Dies ist das Moment, das es zu bewahren und fortzubilden gilt.“ (Eberhard Braun)

Bezugnehmend auf das von ihm mitherausgegebene Buch „Eberhard Braun: Die Rose am Kreuz der Gegenwart. Ein Gang durch Hegels ,Phänomenologie des Geistes‘“ führte Mayer aus:

„Es gibt, verkürzt, zwei Arten der Aufhebung, d.h. der Überwindung der Welt der Erscheinung, der Überwindung der Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt. Die eine, von Schelling bevorzugte wie beschriebene, soll durch einen ,mystischen Moment‘ der Unmittelbarkeit sich vollziehen; er nennt sie ,intellektuelle Anschauung‘ . Die andere, von Hegel präferierte und erörterte, soll reflexiv, durch die ,Anstrengung des Begriffs‘  – auch sie spielt hinein in die Symbolik der Rose – gelingen, d.h. durch die mühsam in Begriffen vermittelte Erkenntnis, die zur absoluten Erkenntnis und absoluten Identität führt. ,Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffes zu gewinnen.‘ Beiden Systemen geht es um Identität. Bei Schelling ist sie in der Natur schon a priori grundgelegt.“

Der Charakter der Arbeitswelt ändert sich durch den voranschreitenden Prozess der Digitalisierung und Virtualisierung. Um den Wandel des Kerns der Arbeit zu erkennen und um die Bildung des Ich und der Identität zu erfassen, sei auf eine wesentliche Aussage Brauns verwiesen:

„Aus der Arbeit geht nicht nur die praktische Bildung hervor, die Verbesserung in der Beherrschung natürlicher Dinge. Auch alles theoretische Wissen geht aus der Arbeit hervor. Daraus lässt sich schließen: für Hegel hat Erkenntnis primär die Verfassung von Arbeit. Wie die Arbeit ist auch Erkennen ein Formieren des Gegebenen, und dieses Formieren ist ein Humanisieren, ein Vermenschlichen des ursprünglich den Menschen Fremden. Wenn dies aber richtig ist, dann ist Arbeit der Schlüsselbegriff zu Hegels Philosophie im Allgemeinen und im Ganzen.“ (Eberhard Braun)

Die Befreiung der Arbeit bedarf der Erkenntnis ihrer Entfremdung. Identität entsteht aus Arbeit: „Arbeitend erhebt der Mensch sich zum Denken, zur Vorstellung des Allgemeinen.“ (Braun)

Siehe: Eberhard Braun: Die Rose am Kreuz der Gegenwart. Ein Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Mit einer Einleitung von Matthias Mayer.

Identität der Entfremdung

Andreas Boes (Foto: © Welf Schröter)

Der Münchner Sozialwissenschaftler Andreas Boes hat sich auf einer gemeinsamen Stuttgarter Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll und des Forum Soziale Technikgestaltung in gebotener Schärfe mit dem Wandel der Arbeit in der globalen IT-Wirtschaft auseinandergesetzt.

Mit spitzer „Feder“ seziert er dabei die sich ausbreitende Strategie großer Konzerne, ihre Stammbelegschaften zu verkleinern und diese gleichzeitig in einen alltäglichen Wettbewerbsstress mit den global nomadierenden Freelancern zu treiben.

Neue Leistungssysteme sollen Feste (Jobbing) mit Freien (Tasking) dynamisch gegeneinander verschränken. Boes spricht vom sich radikalisierenden „System permanenter Bewährung“. Die ausgeweitete Transparenz offenbart stetig das Leistungsvermögen des Einzelnen und ordnet ihn in Rankings ein. Der sich verkehrende Community-Traum der „Liquids“ spült mit der Gestik des Innovativen soziale Sicherheiten beiseite. 

Der ideologisierende Imperativ der Community „Privatheit ist Diebstahl“ reduziert das Individuum zur „funktionalen Identität“ (Boes), die ständig hohe Leistung und Kreativität entäußern muss. „Funktionale Identitäten“ sind technikgestützte Wettbewerbsrollen im „globalen Informationsraum“ (Boes) im Prozess digitaler oder digital assistierter Wertschöpfung mit Hilfe des Auswahlmodells Crowdsourcing. Auch die dabei noch verbliebenen Kapazitäten an Individualität und „Creativity“-Alleinstellungsmerkmalen werden nun der „Inwertsetzung“ (Boes) unterworfen.

Die Analyse von Andreas Boes und die Darlegung der „funktionalen Identität“ offenbaren die Kräfte der Entfremdung, die in den globalen Informationsgesellschaften auf Erwerbstätige und Erwerbssuchende einwirken. Doch hinter bzw. unter der Bewußtseinsschicht der Rolle „funktionale Identität“ liegen die noch unabgegoltenen Bewußtseinsschichten des nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit strebenden kreativen Subjekts, das als Mensch nach Ausdrucksformen emanzipatorischer Identitätsstiftung sucht.

Das Eine ist mit dem Anderen nicht gleichzeitig. Das Alte wirkt weiter und wirkt in das Neue hinein. Rudolf Bahro sprach einst ganz dialektisch von der gesellschaftlichen Kraft „überschüssigen Bewusstseins“. So betrachtet ist das System Crowdsourcing immanent burnoutgefährdet. Schwarm-Intelligenz lässt sich nicht dauerhaft in ein System sperren. „Funktionale Identitäten“ sind nicht nachhaltig, auch ökonomisch nicht.

Vierte industrielle Revolution?

Henning Kagermann (Foto: © Welf Schröter)

Er ist von Hause aus habilitierter Physiker, war Vorstandssprecher der SAP AG und übt heute das Amt des Präsidenten der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) aus. Prof. Dr. Henning Kagermann folgt einem besonderen Traum, der den Charakter der Vision schon hinter sich gelassen hat. Er plädiert für die „vierte industrielle Revolution“ – auch „Industrie 4.0“ genannt – bei der eine neue Qualität der Automation in einer „intelligenten Fabrik“ neuen Typs realisiert werden soll.

Grundlage sei die Option der „Vernetzung von allen“ (Menschen) und der „Vernetzung von allem“ (Sachen bzw. Geräte) mit Hilfe sogenannter physisch-virtueller Umgebungen (Cyber-Physical Systems). Kagermann sieht hierin die „Veredelung des Bestehenden“. Er weist das Technikbild der „menschenleeren Fabrik“ vehement als falsch zurück, kritisiert den alten zentralistischen Denkansatz und setzt auf die kommende Bedeutung des Individuums in dezentralen Fertigungsprozessen.

Die neuen soziotechnischen Systeme bedürfen seiner Meinung nach einer allseitigen Partizipation der Arbeitenden, da sonst die neue dezentral ausgerichtete Welt der Produktion nicht handhabbar wird. Es bedarf der Personalisierung und Individualisierung. Daher sucht er den Dialog mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Betriebsräten und Gewerkschaften. Vor mehr als 200 eher honoratiorengleichen Repräsentanten der Technikforschung in Stuttgart – darunter nur zwei Gewerkschafter – würdigte er anlässlich der Verleihung des „Forschungspreises Technische Kommunikation 2013“ der Alcatel-Lucent Stiftung die Rolle und Haltung der IG Metall. Die Gewerkschaft wolle die positive Gestaltung von „Industrie 4.0“, um eine neue Autonomie der Beschäftigten durchzusetzen. Umbau als Chance für Interventionen.

Kagermann geht auf die Gewerkschaft zu und unterstreicht, dass Komplexität und Komplexitätsreduzierung operative Akteurscluster benötigen, dass prozessbezogen – von Anfang an – eine Strategie der „Akzeptanz by design“ erforderlich ist. Kagermann will heraus aus der „Komplexitätsfalle“, will bestehende Technik verfahrenstechnisch optimieren, will „Industriekonvergenz“ vorantreiben und setzt auf die „wandlungsfähigen Produktionsstätten“. Mutig spricht er von „disruptiver Innovation“ und der Notwendigkeit „kreativer Zerstörung“.

Kagermanns Angebot zum Gestaltungsdialog reflektiert den aufgeschlossenen und modernen Flügel gegenwärtiger Industriepolitik. Dennoch stecken in seinem Denken noch massive Reste eines traditionellen Fortschrittsbegriffs, der auf Technologie und Infrastruktur setzt, der technikzentriert konzipiert und prozess- statt menschenzentriert argumentiert. Deutlich wird dies, wenn er die Potenziale der Kommunikation zwischen Maschinen hervorhebt und noch erkennbarer, wenn er postuliert: „Roboter und Menschen arbeiten in einem sozialen Netzwerk.“

Hier liegt die Herausforderung für den Diskurs „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ im Jahr 2014, der vom Forum Soziale Technikgestaltung organisiert und vom „bloch-blog“ begleitet wird. Wie sähe ein menschenzentriertes Umbauszenario der vierten industriellen Revolution aus? Welcher Fortschrittsbegriff ist vonnöten? Der Gestaltungsansatz der IG Metall verdient Unterstützung.

Zweifellos bietet hierfür die Blochsche Philosophie wesentliche Kriterien. Nicht nur die Mehrschichtigkeit der individuellen und gesellschaftlichen Zeiterfahrung, die Bloch mit dem Begriff „Ungleichzeitigkeit“ besetzt, sondern neben der „Allianztechnik“ kann auch sein Motiv des „Multiversums“ als methodische Lesart zum Handwerkszeug des „social design“ in „Industrie 4.0“ werden. Für Bloch bietet technischer Fortschritt unter anderem dann einen sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt, wenn damit individuelle Freiheit erweitert und Entfremdung verringert werden.

Bewusstseins-Schichten unserer Arbeitswelten

Beat Dietschy (Foto: © Welf Schröter)

Es war ein Experiment besonderer Art. Knapp 45 Personen kamen für zwei Tage im Februar 2013 in der Evangelischen Akademie Bad Boll zusammen, um sich den Begriffen „Arbeit“ und „Zeit“ historisch, kulturell, theologisch, sozial und gesellschaftspolitisch zu nähern. Als öffnende Werkzeuge dienten die Denker Ernst Bloch (1885-1977) und Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973).

Beat Dietschy, letzter Assistent und Mitarbeiter des Philosophen Ernst Bloch, filterte dessen Werk, um auf die Spuren des Arbeitsverständnisses zu kommen. Ausgehend von Blochs „Geist der Utopie“ über „Erbschaft dieser Zeit“, „Das Prinzip Hoffnung“ bis „Tendenz – Latenz – Utopie“ führte Dietschy seine Zuhörer durch das umbaute Denken:

„Primat hat die Suche nach Selbstbegegnung, die unkonstruierbare Frage nach uns selber, die noch keinerlei zureichende Antwort enthält. Denn ,wir haben kein Organ für das Ich oder Wir, sondern liegen uns selbst im gelben Fleck, im Dunkel des gelebten Augenblicks, dessen Dunkel letzthin unser eigenes Dunkel, uns Unbekanntsein, Vermummt- oder Verschollensein ist‘ (Bloch).“

Gegen die entfremdete Arbeit setzte Ernst Bloch den Begriff der „tätigen Muße“. Sie ist die Aufhebung der Entfremdung. Wie weit aber ist die Arbeitswelt am Übergang von der industriell-materiellen Produktionswelt hin zur wissensbasiert-immateriellen, virtuellen Produktionswelt der Industrie 4.0 von der Aufhebung der Entfremdung entfernt?

In vielen individuellen und gesellschaftlichen Schichtungen unseres Bewusstseins tragen wir die Geschichte der Arbeit und ihrer Bedingungen in uns. Ein Teil von uns lagert noch in der bäuerlichen Welt „bäuerliches Tao“ (Ernst Bloch), ein anderer Teil hängt in der Zeit der beginnenden Manufakturen, ein weiterer bewegt sich unbewusst im Takt industrieller Werkhallen, während der Kopf die nahe Zukunft der Cyber Physical Systems CPS zu verstehen versucht: Arbeitswelt von morgen.

Die Schichtungen liegen wie schwere, dicke Teppiche als Schätze der Erfahrungen in uns übereinander gestapelt. Je nach Erschütterung, Krise oder manifester Enttäuschung brechen die Bewusstseinsschichten aus den Teppichen aus. Nicht selten drängen sie den Menschen in seiner Orientierung nach rückwärts. In scheinbar Bekanntes, scheinbar Erlebtes.

„Wer ist schon im gerade gelebten Augenblick wirklich anwesend, gegenwärtig?“, fragt Beat Dietschy, sich auf Bloch beziehend. Des Philosophen Hinweis auf „das Dunkel des gelebten Augenblicks“ provoziert unseren Erkenntniswunsch im Jetzt. Ich und die Welt? Wer ist das neue „Wir“?

Das gemeinsame Denk-Experiment von Bad Boll brachte die Lust am utopischen Denken zurück.