Lobo entdeckt Bloch

Er gilt als kluger Selbstvermarkter und selbsternannter Internetexperte: Sascha Lobo, Journalist, Autor, Blogger und Marketinghelfer großer Konzerne. Seit jüngster Zeit schreibt er sich als Spiegel-Online-Autor ins Netz ein. Stets sucht er neue Schlagworte – bei sich und anderen –, um sich in der heißen Hektik von Tweets und Blogs „vorne“ zu halten. Nach Jahren der Netzkritik, des Ringens um Datenschutz und Datenhoheit sowie der Kritik an der Netzpolitik entdeckt Sascha Lobo nun den Philosophen Ernst Bloch. Besser müsste man sagen, er schließt sich einer Entdeckung an.IMG_6683

In den neunziger Jahren startete der Diskurs „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ mit Wissenschaft, Unternehmen, Gewerkschaften und Philosophen als Initiative des Netzwerkes Forum Soziale Technikgestaltung unterstützt vom Ernst-Bloch-Zentrum. Kernthese des weit über zehn Jahre laufenden Diskurses ist die Hinwendung zum Begriff „Ungleichzeitigkeit“ aus Blochs Werk „Erbschaft dieser Zeit“.

Die weitreichenden Veränderungen und Transformationen der Arbeitswelt durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken führ(t)en zu grundlegenden Brüchen im Verständnis von Arbeit: Das Entstehen „neuer Infrastrukturen der Arbeit“ wurde in diesem Diskurs mit dem kategorialen Blochschen Hilfsmittel der „Ungleichzeitigkeit“ analysiert und gefasst. Die Ergebnisse des Diskurses sind in mehreren Publikationen wie „Gestaltete Virtualität“ und „Identität in der Virtualität“ sowie in mehreren „Bloch-Jahrbüchern“ nachlesbar.

In der Sonntagnachtausgabe (19. Oktober) der ZDF-Philosophie-Sendung von Richard David Precht hat nun auch der SPIEGEL-Blogger Sascha Lobo das Thema aufgegriffen und Blochs Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ als einen wichtigen Schlüssel zur Betrachtung der „Zukunft der Arbeit“ gewertet. Damit hat er dem Thema eine enorme zusätzliche Öffentlichkeitswirkung eingeräumt.

Sascha Lobo hält in Kürze die zweite „Zukunftsrede“ im Ernst-Bloch-Zentrum (www.bloch.de) in Ludwigshafen am Rhein. Es wäre ein Gewinn, würde sich Sascha Lobo in einen seit Jahren bestehenden Diskursprozess einvernetzen.

 

Die Zukunft des Ich

Der Diskurs über „Identität in der Virtualität“, wie er seit mehreren Jahren im Spannungsverhältnis von sozialer Technikgestaltung und Blochscher Philosophie geführt wird, bekommt nun von prominenter Seite weiteren Rückenwind.ZukunftICH

Bisherige Grundlage der laufenden Debatte ist die These, dass der Begriff der „Identität“ in der E-Society sich aus dem Konvergieren von biografischer und virtueller Identität neu entwickelt. Für die Kontroverse um „Industrie 4.0“ bedeutet dies, dass Identität zu einem zivilgesellschaftlichen Schlüsselthema der Transformation der „Wissensgesellschaft“ wird: Die Einflüsse und Chancen der „virtuellen Identitäten“ und ihre Rückwirkungen auf das „biografische Ich“ erfordern einen ganzheitlichen Blick und ein auf Ganzheitlichkeit angelegtes Gestaltungskonzept. (Schröter)

Die deutsche Oktober-Ausgabe der IT-Zeitschrift „WIRED“ stellt die Frage nach der Zukunft des „Ich“ und meint: „Soziale Netzwerke und Internet of Things verändern die menschliche Identität radikal.“

Joachim Hentschel sieht die „Technologie als Krücke der Ich-Konstruktion“ und das digitale Ich als „ein Backup der eigenen Persönlichkeit“: „Dass die Ich-Digitalisierung heute noch so oft als Dystopie und Bedrohung verstanden wird, hat aber wohl weniger mit der Angst vor dem Datenmissbrauch zu tun. Eher mit einem verbreiteten bürgerlichen Konzept von Authentizität, in dem das Technische, Virtuelle, Nicht-Körperliche per se als weniger maßgeblich gilt.“ Hentschel warnt – in seiner Sicht immanent konsequent – davor, „Online- und Offline-Ich zu apodiktisch zu trennen.“

Zweifellos steckt in seinem Hinweis auf besagte Authentizität ein richtiges Argument. Das „Virtuelle Ich“ wird in seiner Bedeutung und Wirkungsweise noch immer unterbewertet. Jedoch unterschätzt der Autor das gewachsene soziale und kulturelle Gewicht der Entstehungsgeschichte des „biografischen Ichs“. Das Humanum kann technisch ergänzt, nicht aber ersetzt werden. In Hentschels Prognose steckt zuviel transhumanistischer Perspektive.