Ein Kurzvideo gibt Einsicht in die „Philosophische Werkausgabe“ von Helmut Fahrenbach

Mit der Edition der „Philosophischen Werkausgabe“ würdigt der Talheimer Verlag den renommierten Tübinger Philosophen und Bloch-Kenner Helmut Fahrenbach. Nach achtjähriger Arbeit ist nun die zwölfbändige, elf Buchtitel umfassende Ausgabe vollständig erschienen. Sie zeigt das denkerische Lebenswerk des weit über neunzig Jahre alten emeritierten Professors der Universität Tübingen.

Fahrenbachs Werk kommt zur richtigen Zeit. Während durch Globalisierung, Robotik und Digitalisierung das aufgeklärte Menschenbild immer mehr in Frage gestellt wird, verteidigt der Autor die Selbstbestimmung des Einzelnen in solidarisch-gesellschaftlicher Emanzipation. Fahrenbach bietet Antworten auf aktuelle Fragen nach den Potenzialen der Humanitas. Es geht um die philosophisch-politische Erbschaft der Citoyennes und der Citoyens sowie der Stabilisierung und Weiterentwicklung der Freiheit. Helmut Fahrenbach entfaltet die Philosophie der Hoffnung zu einer Lebensphilosophie der Zukunft.

Der Philosoph Helmut Fahrenbach entwickelt seine eigenständige Philosophie auf Grundlage der kritischen Rezeption der Werke von Kant, Hegel, Marx, Löwith, Jaspers, Plessner, Kierkegaard, Wittgenstein, Sartre, Bloch, Marcuse, Lefebvre, Fromm und Habermas.

Das Video enthält auch den O-Ton Helmut Fahrenbachs. Das neu auf Youtube eingestellte knapp 13-minütige Video ist zu finden unter: https://youtu.be/FQvep8qKuDY

Link zu den Buchtiteln der Werkausgabe: http://bloch-blog.de/die-zwoelfbaendige-philosophische-werkausgabe-von-helmut-fahrenbach-ist-erschienen/

Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs

Anlässlich des Erscheinens der Werkausgabe des Tübinger Philosophen Helmut Fahrenbach haben Freunde sowie Schülerinnen und Schüler Beiträge zur kritischen Würdigung verfasst. Über mehrere Jahre hinweg stellte Helmut Fahrenbach sein Gesamtwerk in systematischer Absicht zusammen. Entstanden ist ein zwölfbändiges Werk ‒ ,Talheimer Ausgabe‘‒ in dessen Zentrum die beiden Bände ‚Philosophische Anthropologie‘ stehen. Angesichts der Ausrufung des ‚posthumanistischen‘ Zeitalters ist dies eine zwar nicht intendierte, aber auch nicht zufällige Entgegnung. Anthropologie ist nach Fahrenbach keine Teildisziplin neben Ontologie, Erkenntnistheorie usw., sondern sie reflektiert die grundlegende und zentrale Thematik der Philosophie überhaupt, der es um die ‚Selbst- und Seinserkenntnis‘ des Menschen geht. Dem entsprechend weit ist das Feld, in dem Fahrenbach seine Thesen und Bezüge absteckt: Existenzphilosophie von Kierkegaard bis Jaspers, Kritische Gesellschaftstheorie von Marx, Bloch, Sartre, Plessner, Lefebvre, Marcuse und Habermas, Sprachphilosophie von Herder und Humboldt bis Wittgenstein und Ricœur, Anthropologie von Gehlen bis Günter Dux, Moralphilosophie und Ethik von Kant bis Küng.

Dieser Band entstand auf Anregung des Talheimer Verlags anlässlich der abgeschlossenen Werkausgabe von Helmut Fahrenbach, noch einmal alle aus seinem Freundes- und ehemaligen Schülerkreis, die nach wie vor an seinem Denken interessiert sind, zusammenzutrommeln und zu einer Stellungnahme zu seinen Schriften aufzufordern. Ziel war es, diesen Band Helmut Fahrenbach zu seinem 94. Geburtstag überreichen zu können.

Dieser Band enthält Ausarbeitungen zum philosophischen Denken Helmut Fahrenbachs von Martin Böhler, Reinhard Brunner, Günter Dux, Walter Erhart, Hanna Gekle, Dieter Henrich, Dorothee Kimmich, Ulrich Müller-Schöll, Mathias Richter, Christof Schilling, Barbara Smitmans-Vajda sowie Irene Scherer und Welf Schröter.

Reinhard Brunner, Martin Böhler (Hg.): Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs. Mössingen-Talheim 2022, 256 Seiten, 34,00 Euro, ISBN 978-3-89376-199-9 (talheimer sammlung kritisches wissen Band 96).

Inhaltsverzeichnis

Reinhard Brunner, Martin Böhler: Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs ‒ Vorwort

Irene Scherer, Welf Schröter: Auf dem Weg zu Helmut Fahrenbachs zwölfbändiger philosophischer Werkausgabe. Erinnerungen aus verlegerischer Perspektive

Martin Böhler: Zur philosophischen Systematik der Werkausgabe von Helmut Fahrenbach

Dieter Henrich: Die erste Begegnung

Hanna Gekle: Im Bernstein der Zeit – Über das Trauma der Vernunft

Günter Dux: Wie der Geist in die Welt kam

Reinhard Brunner: Bild und Wirklichkeit. Zur anthropologischen Relevanz propositionalen Verstehens

Walter Erhart: „Rätselfragen der Existenz“ – Notizen zum anthropologischen Bezugsrahmen der Geisteswissenschaften

Mathias Richter: Verstehendes In-der-Welt-sein. Fahrenbach und Sartre: die existenzphilosophische Erweiterung der philosophischen Anthropologie und die Grenzen ihres Geltungsanspruchs für eine kritische Gesellschaftstheorie

Ulrich Müller-Schöll: Zum Verhältnis von „metaphilosophischer Praxis“ und einer „Kritik des Alltagslebens“ bei Henri Lefebvre

Martin Böhler: Marcuse reloaded. Anmerkungen zum unausgetragenen Konflikt zwischen Marcuse und Habermas im Werk von Helmut Fahrenbach

Christof Schilling: Vom Praktischwerden der Philosophie in Bildungsprozessen. Überlegungen zur Moralpädagogik im Ethikunterricht

Barbara Smitmans-Vajda: Zukunft? Hoffnung? Ou-topie oder Dis-topie? Vor- und Nachgedanken zu Helmut Fahrenbachs Buch „Wesen und Sinn der Hoffnung“

Dorothee Kimmich: „Es ist gut, auch fabelnd zu denken“ Ernst Bloch und der Rücken der Dinge

Angaben zu den Autorinnen und Autoren

“[…] Dem Entwurf einer zeitgenössischen Philosophischen Anthropologie, die zumindest Hinweise auf eine theoretisch und praktisch zureichende Antwort auf das Problem, das der Mensch für sich selbst ist, geben kann, hat Helmut Fahrenbach unermüdlich seine nun mehr als sieben Jahrzehnte dauernde philosophische Forschung gewidmet. Den Problemen, die sich ihm dabei stellten, ist er in einer Viel-zahl von akribisch ausgearbeiteten philosophischen Aufsätzen so intensiv nachgegangen, dass er jetzt die Summe seines Schaffens in einer nun auf zwölf Bände angewachsenen Werkausgabe vorlegen kann, in der er seine Texte thematisch zusammengestellt und zu einzelnen Bänden zusammengefasst hat. Fahrenbachs Aufsätze waren bis dato zeitlich und editorisch weit gestreut und dadurch heute für viele nicht mehr leicht auffindbar, was einer angemessenen Rezeption im Wege stand. Durch ihre konzentrierte Zusammenstellung wird nun ihr systematischer Zusammenhang ersichtlich und ihre philosophische Bedeutung betont, die Fahrenbach mit seinen prominenteren philosophischen Freunden und Zeitgenossen – Dieter Henrich, Ernst Tugendhat und Jürgen Habermas – auf Augenhöhe zeigt. […]” (Martin Böhler)

Blochs „mehrschichtige Dialektik“ als Gestaltungsansatz in der „digitalen Transformation“

In der Geschichte der Gesellschaften in Europa und insbesondere in der deutschen gebrochenen Historie führten tiefgreifende Transformationen immer wieder zu Polarisierungen zwischen jenen, die das Bisherige bewahren, und jenen, die das Vorhandene überschreiten wollten. Bei Übergängen und Umbrüchen innerhalb einer sozialökonomischen Formation markierten die Beschleunigungen des Wandels nicht selten eine größere Rolle als die Richtung des Wandels selbst. Geschwindigkeit dominierte die subjektive Wahrnehmung und die psychologischen Reaktionsmuster.

Der durch die Globalisierung eingeleitete Bedeutungsverlust des Nationalen und des Nationalstaates wird durch den Prozess der beschleunigten Digitalisierung bzw. der „digitalen Transformation“ abermals akzentuiert. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten voranschreitende Entortung und Entzeitlichung menschlicher Begegnungsmöglichkeiten erscheint angesichts weltumspannender Internetinfrastrukturen als Bestätigung des Nicht-Nationalen und als sich verstärkende Ausrichtung weg vom nationalen Denken.

Foto: © Welf Schröter

Die „digitale Transformation“ wird dabei zunächst subjektiv in ihrer Veränderungskraft als durchsetzungsfähiger empfunden, als sie zu Beginn in ihrem faktischen Gehalt ist. Die sich beschleunigende Transformation des virtuellen Raumes mit dem gleichzeitig sich qualitativ konvergierenden Mensch-Netz-Interaktionsraum löst Emotionen aus, die ungleichzeitig zum Realen und ungleichzeitig zum Historischen wirken. Menschen sehen sich nicht mehr als souverän Handelnde sondern als immer häufiger bloße Assistenten oder Entmündigte von Technik.

In ihrem sozialpsychologisch-soziologischen Deutungsverhalten hinken Sozialwissenschaften und Philosophie größtenteils hinter dem derzeit vorherrschenden Primat des Technisch-Digitalen hinterher. Eine wesentliche Stärkung des Primats des Gesellschaftlich-Sozialen und der Subjektidentität ließe sich erreichen, wenn ein interdisziplinärer Diskurs sich auf der Basis von Ernst Blochs „mehrschichtiger Dialektik“ vorantreiben ließe. Blochs Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ entfaltet im Hinblick auf gesellschaftlich-kulturelle wie sozialpsychologische Herangehensweisen und Methoden seine ganzheitliche Wirkung.

Angesichts des Wandlungsprozesses der Arbeit und deren latenzhafter Identität-Nicht-Identität der weiteren Entfremdung des tätigen Menschen und seiner Emanzipationspotenziale mit Hilfe des Abstrakt-Virtuellen kann die „mehrschichtige Dialektik“ zur Aufhebung unabgegoltener „belehrter Hoffnungen“ (Bloch) beitragen. Die „digitale Transformation“ des Hier und Jetzt in ein humanes Morgen gelingt eher auf der Basis „mehrschichtiger Dialektik“.

Eine Aussage des Tübinger Philosophen Helmut Fahrenbach, die dieser unter Rückgriff auf Blochs Kritik an ökonomistischem Denken traf, ließe sich methodisch heute neu lesen: „Wenn die marxistische Aufklärung gegen diese Irrationalismen nur objektive ökonomische Wahrheiten setzt, anstatt in der dialektischen Kritik des Irrationalen auch die utopisch-subversiven Elemente (Potentiale) freizulegen und zu reflektieren, wird sie am Lebensgefühl und Bewusstsein der Menschen wirkungslos vorbeireden.“ (Helmut Fahrenbach: Philosophie – Politik – Sozialismus. 2016. ISBN 978-3-89376-1586)

 

Ein prekäres Verhältnis in Deutschland

Helmut Fahrenbach (Foto: © Welf Schröter)

Helmut Fahrenbach (Foto: © Welf Schröter)

Für eine „kommunikative Vernunft als weltpolitisch und interkulturell notwendige Denkform“ setzt sich der Tübinger Philosoph Helmut Fahrenbach mit seinem Werk „Philosophie ‒ Politik ‒ Sozialismus. Ein prekäres Verhältnis in Deutschland“ ein.

Seinem Plädoyer für „Frieden, Ernährung, Ökologie, ökonomisch-soziale Entwicklung zu menschenwürdigen Lebensverhältnissen unter Anerkennung und Sicherung der Menschenrechte im Sinne möglicher Freiheit, Gleichheit und Solidarität“ legt er seine kritische Lesart der „Erbschaft der Philosophie des 20. Jahrhunderts“ zugrunde.

Dieses Werk stellt nicht nur eine hilfreiche Orientierung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit im Umgang mit Themen der Philosophie dar. Es ist zugleich ein unterstützendes Lehrbuch für junge Menschen, die Philosophie studieren wollen. Der Autor gehört zu den markantesten Philosophen in der Nachkriegsgeschichte der Universität Tübingen.

Wenige Tage vor seinem 88. Geburtstag würdigt Helmut Fahrenbach in seinem 488 Seiten umfassenden Buch damit die Chance der Philosophie, Erbschaft und Baustein für eine mündige Gesellschaft zu sein. In scharfer Abgrenzung vom Sowjetkommunismus und in deutlicher Kritik rechtskonservativer Philosophien beschreibt der Autor den Diskurs um den Emanzipationsgehalt der Philosophie
im 20. Jahrhundert.

Der spannungs- und konfliktreich ‚vernetzten‘ Weltlage kann nur ein Denken und Handeln gerecht werden, das die Disparitäten und Spannungen zwischen Einheit und Differenz, Allgemeinem und Besonderem, Macht und Abhängigkeit durch eine die Verbindung und Verschiedenheit in der gegenwärtigen Welt zugleich wahrende und vermittelnde Sicht theoretisch zu erfassen und praktisch zum Abbau bzw. Ausgleich zu bringen versucht. Zur Klärung der damit gestellten Aufgaben ist auch Philosophie vonnöten, freilich nicht irgendeine, sondern eine Philosophie kommunikativer Vernunft, für die das dialektische Verhältnis von Einheit und Vielfalt, Allgemeinem und Besonderem eine zentrale Reflexionsaufgabe darstellt, und dies insbesondere im Hinblick auf die Ermöglichung der Verständigungs- und Kooperationsprozesse, die für die Entwicklung und den Bestand einer humanen, ausgleichenden Welteinheit in einer sozio-kulturell pluralistisch und politisch-ökonomisch disparat verflochtenen Weltgesellschaft notwendig sind. (Helmut Fahrenbach)

Helmut Fahrenbach greift in der Betonung des emanzipatorisch ausgerichteten Bewusstseins auf wesentliche Gedanken des Philosophen Ernst Bloch zurück.

Ernst Bloch hat ja – als einer der wenigen unter den marxistischen Philosophen, neben Agnes Heller, aber auch Herbert Marcuse – die normativen (naturrechtlichen und ethischen) Postulate und Leitideen auch des marxistischen Sozialismus nicht verdrängt, sondern herausgestellt. Und er hat die damit verbundenen wirkungsgeschichtlichen Bezüge zu den bürgerlichen Revolutions- und Emanzipationsidealen Freiheit, Gleichheit, Solidarität nicht als ‚bürgerliche Ideologie‘ abgetan oder in einer „Dialektik der Aufklärung“ aufgelöst, sondern sie als „sozialistisches Erbe“ in Anspruch genommen, das freilich nicht nur die idealen Forderungen (noch dazu in einer liberalistischen Formalisierung und Engführung) wiederholt, sondern – im Sinne sozialistischer Theorie und Praxis – auf die realen gesellschaftlich-ökonomischen Voraussetzungen ihrer konkreten Ermöglichung und Realisierung dringt. (Helmut Fahrenbach)

Helmut Fahrenbach gelingt mit diesem Band nicht nur eine Ermutigung für die Verteidigung einer freiheitlichen und demokratischen Republik. „Der Autor nutzt die Kraft des Wortes für die Stärkung des Humanum, für die Humanisierung des Menschen“, unterstreicht der Verlag. „Gerade in einer Zeit der Verunsicherung und vorsätzlicher Demagogie gibt Helmut Fahrenbach den Leserinnen und Lesern ein verlässliches Instrumentarium an die Hand, das zum eigenständigen Denken anregt.“

Buchangaben: Helmut Fahrenbach: Philosophie – Politik – Sozialismus. Ein prekäres Verhältnis in Deutschland. 2016, 488 Seiten, br., 39,00 €, ISBN 978-3-89376-158-6.