Philosophie – Existenzanalyse – Sprachreflexion

Der Tübinger Philosoph und Bloch-Kenner Helmut Fahrenbach hat seine zwölfbändige „Philosophische Werkausgabe“ um den Ergänzungsband „Existenzanalyse und Sprachreflexion“ erweitert

Nach der Vollendung der „Philosophischen Werkausgabe“ von Helmut Fahrenbach und anlässlich seines 95. Geburtstages hat sich der Autor zur Edition eines Ergänzungsbandes mit dem Titel „Existenzanalyse und Sprachreflexion“ als Erweiterung der erschienenen zwölf Bände entschlossen. Darin werden die sprachanalytischen und sprachphilosophischen Aspekte der philosophischen Anthropologie hervorgehoben. Die Interdependenz von Philosophie und Sprache rückt ins Zentrum der Herangehensweise:

„Philosophie kann ihr Erkenntnisinteresse und die mit ihm verbundene Reflexionsthematik in der Form ,begründeter Erkenntnis‘ theoretischer und praktischer Art nur auf eine methodisch reflektierte Weise realisieren. Dem Anspruch seiner methodischen Idee bzw. Reflexionsform nach ist Philosophieren ein hinsichtlich der Sinn- und Wahrheitsbedingungen prinzipiell selbstreflektiertes Denken. Denken und erfahrungsbezogenes Erkennen vollziehen sich jedoch wesentlich im ,Medium‘ der Sprache bzw. als Rede, worin sie allererst objektiviert, mitgeteilt und kritisch reflektiert bzw. kommunikativ geprüft werden können, und zwar als wissenschaftliches, methodisches Denken/Erkennen in der Form begrifflich bestimmter, argumentativ entwickelter und hinsichtlich des Geltungssinns und Wahrheitswerts ihrer Aussagen geprüfter bzw. prüfbarer Rede. Philosophie muss folglich (gerade auch als Meta- oder Prototheorie wissenschaftlicher Erkenntnis) die sprach-logischen Bedingungen und Kriterien wahrheitsfähigen Denkens thematisieren. Die Reflexionsform des Philosophierens und die universale Sprachvermitteltheit allen Denkens bedingen also die methodisch grundlegende Bedeutung der Sprachanalyse und Sprachkritik für die Selbstkonstitution der Philosophie und ihre Problemstellungen.“

Dabei geht der Autor vom handlungsorientierten Selbstverständigungsinteresse der Philosophie aus:

„Das dem philosophischen Fragen motivierend und sinngebend zugrunde liegende Erkenntnis- bzw. Reflexionsinteresse ist keineswegs ,rein theoretisch‘, sondern praktisch vermittelt, denn es ist im letztlich praktischen Vernunftinteresse des Menschen an Erkenntnis zum Zwecke seiner emanzipatorisch-praktisch relevanten Selbstverständigung und Handlungsorientierung in der Welt fundiert.“

In seinen im Anhang wiedergegebenen schon früheren „Thesen über Lage, Begriff und Funktion der Philosophie“ unterstreicht der Philosoph die Zielorientierung verändernder Praxis:

„Die teleologisch-utopische Funktion philosophischen Denkens wirkt sich überall dort aus, wo die realen Gegebenheiten – im Hinblick auf entworfene Ziele, antizipierte Möglichkeiten, Alternativen zum Bestehenden und seinen Entwicklungsmöglichkeiten – durch Akte produktiver Phantasie auf Zukunft und eine verändernde Praxis hin überschritten werden. Das geschieht bereits in allen normativen Erörterungen, die immer ein ,Transzendieren‘ des Faktischen und einen Entwurf von Zukunft enthalten (Sartre), sodann im ausdrücklichen Denken des theoretisch und praktisch Möglichen in seiner Spannung zum (jetzt) Wirklichen (und zwar nicht nur in einem prognostischen, sondern in einem projektiven Sinn) in Richtung ,konkreter Utopie‘ (Bloch u.a.) die Möglichkeitsdimension des Wirklichen aufzudecken (Bloch) und durch Entwerfen auch des jetzt unmöglich Scheinenden das Bewusstsein des Möglichen und die Motivation für eine verändernde Praxis zu aktivieren.“

Im Prozess des philosophischen Fragens greift Helmut Fahrenbach kritisch würdigend insbesondere auf die Arbeiten von Sören Kierkegaard, Helmuth Plessner, Ludwig Wittgenstein, Karl Jaspers, Ernst Bloch, Jean-Paul Sartre und Herbert Marcuse zurück.

Helmut Fahrenbach: Existenzanalyse und Sprachreflexion. Ergänzungsband zur Werkausgabe. 2024, 320 Seiten, ISBN 978-3-89376-200-2.

Inhalt

Vorbemerkung des Verlages

  1. Sprachanalyse im Rahmen systematischer Philosophie
  2. Die logisch-hermeneutische Problemstellung in Wittgensteins „Tractatus“
  3. Wittgenstein, Bloch, Marcuse und Kierkegaard.
    Oder: Die Sinnprobleme des Lebens als Grenze der Sprache und der analytischen Philosophie
  4. „Lebensphilosophische“ Anthropologie oder „existenzphilosophische“ Daseinsanalyse.
    Helmuth Plessner – Martin Heidegger
  5. Sprachanalyse und kritische Theorie. Zu Herbert Marcuses Kritik der sprachanalytischen Philosophie
  6. Zur Konzeption einer philosophischen Sprach-Anthropologie
  7. Erfahrung und Sprache in philosophischer Reflexion
  8. Thesen über Lage, Begriff und Funktion der Philosophie

Namensverzeichnis
Helmut Fahrenbach – Zur Person
Helmut Fahrenbach – Philosophische Werkausgabe

Addendum des Verlages

Vorbemerkung

Martin Böhler
Zur philosophischen Systematik der Werkausgabe von Helmut Fahrenbach
(Auszüge)

Link zur Werkausgabe (Übersicht)

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Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs

Anlässlich des Erscheinens der Werkausgabe des Tübinger Philosophen Helmut Fahrenbach haben Freunde sowie Schülerinnen und Schüler Beiträge zur kritischen Würdigung verfasst. Über mehrere Jahre hinweg stellte Helmut Fahrenbach sein Gesamtwerk in systematischer Absicht zusammen. Entstanden ist ein zwölfbändiges Werk ‒ ,Talheimer Ausgabe‘‒ in dessen Zentrum die beiden Bände ‚Philosophische Anthropologie‘ stehen. Angesichts der Ausrufung des ‚posthumanistischen‘ Zeitalters ist dies eine zwar nicht intendierte, aber auch nicht zufällige Entgegnung. Anthropologie ist nach Fahrenbach keine Teildisziplin neben Ontologie, Erkenntnistheorie usw., sondern sie reflektiert die grundlegende und zentrale Thematik der Philosophie überhaupt, der es um die ‚Selbst- und Seinserkenntnis‘ des Menschen geht. Dem entsprechend weit ist das Feld, in dem Fahrenbach seine Thesen und Bezüge absteckt: Existenzphilosophie von Kierkegaard bis Jaspers, Kritische Gesellschaftstheorie von Marx, Bloch, Sartre, Plessner, Lefebvre, Marcuse und Habermas, Sprachphilosophie von Herder und Humboldt bis Wittgenstein und Ricœur, Anthropologie von Gehlen bis Günter Dux, Moralphilosophie und Ethik von Kant bis Küng.

Dieser Band entstand auf Anregung des Talheimer Verlags anlässlich der abgeschlossenen Werkausgabe von Helmut Fahrenbach, noch einmal alle aus seinem Freundes- und ehemaligen Schülerkreis, die nach wie vor an seinem Denken interessiert sind, zusammenzutrommeln und zu einer Stellungnahme zu seinen Schriften aufzufordern. Ziel war es, diesen Band Helmut Fahrenbach zu seinem 94. Geburtstag überreichen zu können.

Dieser Band enthält Ausarbeitungen zum philosophischen Denken Helmut Fahrenbachs von Martin Böhler, Reinhard Brunner, Günter Dux, Walter Erhart, Hanna Gekle, Dieter Henrich, Dorothee Kimmich, Ulrich Müller-Schöll, Mathias Richter, Christof Schilling, Barbara Smitmans-Vajda sowie Irene Scherer und Welf Schröter.

Reinhard Brunner, Martin Böhler (Hg.): Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs. Mössingen-Talheim 2022, 256 Seiten, 34,00 Euro, ISBN 978-3-89376-199-9 (talheimer sammlung kritisches wissen Band 96).

Inhaltsverzeichnis

Reinhard Brunner, Martin Böhler: Unterwegs zum Menschen. Beiträge zur philosophischen Anthropologie Helmut Fahrenbachs ‒ Vorwort

Irene Scherer, Welf Schröter: Auf dem Weg zu Helmut Fahrenbachs zwölfbändiger philosophischer Werkausgabe. Erinnerungen aus verlegerischer Perspektive

Martin Böhler: Zur philosophischen Systematik der Werkausgabe von Helmut Fahrenbach

Dieter Henrich: Die erste Begegnung

Hanna Gekle: Im Bernstein der Zeit – Über das Trauma der Vernunft

Günter Dux: Wie der Geist in die Welt kam

Reinhard Brunner: Bild und Wirklichkeit. Zur anthropologischen Relevanz propositionalen Verstehens

Walter Erhart: „Rätselfragen der Existenz“ – Notizen zum anthropologischen Bezugsrahmen der Geisteswissenschaften

Mathias Richter: Verstehendes In-der-Welt-sein. Fahrenbach und Sartre: die existenzphilosophische Erweiterung der philosophischen Anthropologie und die Grenzen ihres Geltungsanspruchs für eine kritische Gesellschaftstheorie

Ulrich Müller-Schöll: Zum Verhältnis von „metaphilosophischer Praxis“ und einer „Kritik des Alltagslebens“ bei Henri Lefebvre

Martin Böhler: Marcuse reloaded. Anmerkungen zum unausgetragenen Konflikt zwischen Marcuse und Habermas im Werk von Helmut Fahrenbach

Christof Schilling: Vom Praktischwerden der Philosophie in Bildungsprozessen. Überlegungen zur Moralpädagogik im Ethikunterricht

Barbara Smitmans-Vajda: Zukunft? Hoffnung? Ou-topie oder Dis-topie? Vor- und Nachgedanken zu Helmut Fahrenbachs Buch „Wesen und Sinn der Hoffnung“

Dorothee Kimmich: „Es ist gut, auch fabelnd zu denken“ Ernst Bloch und der Rücken der Dinge

Angaben zu den Autorinnen und Autoren

„[…] Dem Entwurf einer zeitgenössischen Philosophischen Anthropologie, die zumindest Hinweise auf eine theoretisch und praktisch zureichende Antwort auf das Problem, das der Mensch für sich selbst ist, geben kann, hat Helmut Fahrenbach unermüdlich seine nun mehr als sieben Jahrzehnte dauernde philosophische Forschung gewidmet. Den Problemen, die sich ihm dabei stellten, ist er in einer Viel-zahl von akribisch ausgearbeiteten philosophischen Aufsätzen so intensiv nachgegangen, dass er jetzt die Summe seines Schaffens in einer nun auf zwölf Bände angewachsenen Werkausgabe vorlegen kann, in der er seine Texte thematisch zusammengestellt und zu einzelnen Bänden zusammengefasst hat. Fahrenbachs Aufsätze waren bis dato zeitlich und editorisch weit gestreut und dadurch heute für viele nicht mehr leicht auffindbar, was einer angemessenen Rezeption im Wege stand. Durch ihre konzentrierte Zusammenstellung wird nun ihr systematischer Zusammenhang ersichtlich und ihre philosophische Bedeutung betont, die Fahrenbach mit seinen prominenteren philosophischen Freunden und Zeitgenossen – Dieter Henrich, Ernst Tugendhat und Jürgen Habermas – auf Augenhöhe zeigt. […]“ (Martin Böhler)