Über die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Pausa-Designerin Friedl Dicker und der Architektin Karola Bloch

Eine Soiree anlässlich des 30. Todestages von Karola Bloch
und des 80. Jahrestages der Ermordung von Friedl Dicker-Brandeis

Eine Lesung von Irene Scherer und Welf Schröter am 3. Oktober 2024 um 17.00 Uhr in der Bogenhalle des Pausa-Quartiers in Mössingen.

Die „Bauhaus“-Schülerin Friedl Dicker (1898–1944) arbeitete als Designerin für die Löwenstein’sche Pausa. Karola Bloch (1905–1994) wandte sich in ihrer Ausbildung und in ihrem Lebensweg als Architektin dem „Neuen Bauen“ sowie den Impulsen des „Bauhauses“ zu. Beide Frauen engagierten sich als Jüdinnen politisch gegen den Nationalsozialismus. Sie mussten fliehen. In Prag trafen sie sich und gründeten ein Unternehmen. Karola Bloch floh vor den NS-Truppen mit Mann und Kind in die USA. Friedl Dicker wurde von NS-Tätern am 9. Oktober 1944 ermordet. Die Lesung zeigt die Lebensgeschichte beider Frauen, beleuchtet ihr gemeinsames „StartUp“ und beschreibt ihren Widerstand gegen den NS-Staat.

Grundlage der Lesung ist insbesondere das 700 Seiten umfassende zweibändige Werk „,… denn ohne Arbeit kann man nicht leben‘ – Die Architektin Karola Bloch“, gemeinsam erarbeitet und herausgegeben vom Leipziger Stadtplaner Roland Beer und der Leipziger Architektin Claudia Lenz. Der Doppelband enthält unter anderem einen gemeinsam von Friedl Dicker und Karola Bloch verfassten Text mit dem Titel „Wie reorganisiere ich meine Wohnung“ aus dem Jahr 1937.

Eine Veranstaltung des Theaters Lindenhof im „Mössinger Kulturherbst“ – unterstützt durch die Hans-Mayer-Gesellschaft, durch den Löwenstein-Forschungsverein e.V. und den Talheimer Verlag.

Näheres siehe unter:https://www.theater-lindenhof.de/spielplan-2/stuecke/denn-ohne-arbeit-kann-man-nicht-leben/

Philosophie – Existenzanalyse – Sprachreflexion

Der Tübinger Philosoph und Bloch-Kenner Helmut Fahrenbach hat seine zwölfbändige „Philosophische Werkausgabe“ um den Ergänzungsband „Existenzanalyse und Sprachreflexion“ erweitert

Nach der Vollendung der „Philosophischen Werkausgabe“ von Helmut Fahrenbach und anlässlich seines 95. Geburtstages hat sich der Autor zur Edition eines Ergänzungsbandes mit dem Titel „Existenzanalyse und Sprachreflexion“ als Erweiterung der erschienenen zwölf Bände entschlossen. Darin werden die sprachanalytischen und sprachphilosophischen Aspekte der philosophischen Anthropologie hervorgehoben. Die Interdependenz von Philosophie und Sprache rückt ins Zentrum der Herangehensweise:

„Philosophie kann ihr Erkenntnisinteresse und die mit ihm verbundene Reflexionsthematik in der Form ,begründeter Erkenntnis‘ theoretischer und praktischer Art nur auf eine methodisch reflektierte Weise realisieren. Dem Anspruch seiner methodischen Idee bzw. Reflexionsform nach ist Philosophieren ein hinsichtlich der Sinn- und Wahrheitsbedingungen prinzipiell selbstreflektiertes Denken. Denken und erfahrungsbezogenes Erkennen vollziehen sich jedoch wesentlich im ,Medium‘ der Sprache bzw. als Rede, worin sie allererst objektiviert, mitgeteilt und kritisch reflektiert bzw. kommunikativ geprüft werden können, und zwar als wissenschaftliches, methodisches Denken/Erkennen in der Form begrifflich bestimmter, argumentativ entwickelter und hinsichtlich des Geltungssinns und Wahrheitswerts ihrer Aussagen geprüfter bzw. prüfbarer Rede. Philosophie muss folglich (gerade auch als Meta- oder Prototheorie wissenschaftlicher Erkenntnis) die sprach-logischen Bedingungen und Kriterien wahrheitsfähigen Denkens thematisieren. Die Reflexionsform des Philosophierens und die universale Sprachvermitteltheit allen Denkens bedingen also die methodisch grundlegende Bedeutung der Sprachanalyse und Sprachkritik für die Selbstkonstitution der Philosophie und ihre Problemstellungen.“

Dabei geht der Autor vom handlungsorientierten Selbstverständigungsinteresse der Philosophie aus:

„Das dem philosophischen Fragen motivierend und sinngebend zugrunde liegende Erkenntnis- bzw. Reflexionsinteresse ist keineswegs ,rein theoretisch‘, sondern praktisch vermittelt, denn es ist im letztlich praktischen Vernunftinteresse des Menschen an Erkenntnis zum Zwecke seiner emanzipatorisch-praktisch relevanten Selbstverständigung und Handlungsorientierung in der Welt fundiert.“

In seinen im Anhang wiedergegebenen schon früheren „Thesen über Lage, Begriff und Funktion der Philosophie“ unterstreicht der Philosoph die Zielorientierung verändernder Praxis:

„Die teleologisch-utopische Funktion philosophischen Denkens wirkt sich überall dort aus, wo die realen Gegebenheiten – im Hinblick auf entworfene Ziele, antizipierte Möglichkeiten, Alternativen zum Bestehenden und seinen Entwicklungsmöglichkeiten – durch Akte produktiver Phantasie auf Zukunft und eine verändernde Praxis hin überschritten werden. Das geschieht bereits in allen normativen Erörterungen, die immer ein ,Transzendieren‘ des Faktischen und einen Entwurf von Zukunft enthalten (Sartre), sodann im ausdrücklichen Denken des theoretisch und praktisch Möglichen in seiner Spannung zum (jetzt) Wirklichen (und zwar nicht nur in einem prognostischen, sondern in einem projektiven Sinn) in Richtung ,konkreter Utopie‘ (Bloch u.a.) die Möglichkeitsdimension des Wirklichen aufzudecken (Bloch) und durch Entwerfen auch des jetzt unmöglich Scheinenden das Bewusstsein des Möglichen und die Motivation für eine verändernde Praxis zu aktivieren.“

Im Prozess des philosophischen Fragens greift Helmut Fahrenbach kritisch würdigend insbesondere auf die Arbeiten von Sören Kierkegaard, Helmuth Plessner, Ludwig Wittgenstein, Karl Jaspers, Ernst Bloch, Jean-Paul Sartre und Herbert Marcuse zurück.

Helmut Fahrenbach: Existenzanalyse und Sprachreflexion. Ergänzungsband zur Werkausgabe. 2024, 320 Seiten, ISBN 978-3-89376-200-2.

Inhalt

Vorbemerkung des Verlages

  1. Sprachanalyse im Rahmen systematischer Philosophie
  2. Die logisch-hermeneutische Problemstellung in Wittgensteins „Tractatus“
  3. Wittgenstein, Bloch, Marcuse und Kierkegaard.
    Oder: Die Sinnprobleme des Lebens als Grenze der Sprache und der analytischen Philosophie
  4. „Lebensphilosophische“ Anthropologie oder „existenzphilosophische“ Daseinsanalyse.
    Helmuth Plessner – Martin Heidegger
  5. Sprachanalyse und kritische Theorie. Zu Herbert Marcuses Kritik der sprachanalytischen Philosophie
  6. Zur Konzeption einer philosophischen Sprach-Anthropologie
  7. Erfahrung und Sprache in philosophischer Reflexion
  8. Thesen über Lage, Begriff und Funktion der Philosophie

Namensverzeichnis
Helmut Fahrenbach – Zur Person
Helmut Fahrenbach – Philosophische Werkausgabe

Addendum des Verlages

Vorbemerkung

Martin Böhler
Zur philosophischen Systematik der Werkausgabe von Helmut Fahrenbach
(Auszüge)

Link zur Werkausgabe (Übersicht)

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Blochs Begriff der Ungleichzeitigkeit als Möglichkeit zur Verteidigung der Demokratie

Blochs Begriff der Ungleichzeitigkeit als Möglichkeit zur Verteidigung der Demokratie. Ein Impuls anlässlich des 47. Todestages von Ernst Bloch am 4. August 2024

„Ja, ich will aufrührerisch sein!“ Mit diesem Satz solidarisierte sich Ernst Bloch mit jenen Bürgerinnen und Bürgern, mit jenen Citoyennes und Citoyens, denen die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht demokratisch genug war, denen das Verfassungsversprechen zu wenig Verfassungsrealisierung einlöste. Blochs Kritik an der Demokratie war keine Ablehnung des Demokratischen sondern eine Forderung nach der Demokratisierung der Demokratie. Darin unterscheidet sich Blochs Gesellschaftskritik grundlegend von jenem politischen Denken, das zur Dialektik nicht willens ist oder sich intellektuell ermüdet von dieser zurückzieht. Neben dem juristisch angelegten Regelungswerk unserer Gesellschaft, die sich allzu oft in positivistischer Haltung nur dem Formalen zuwendet, bedarf es einer materialistischen Analyse der Hemmnisse von angestrebten Demokratisierungen. In dieser Verknüpfung von dialektischem und materialistischem Denken ist Blochs Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ zuhause. In der aktuellen Kontroverse um die Verteidigung der Demokratie gegen autoritäre und illiberale Bestrebungen bietet Blochs Ansatz ein wichtiges Instrument zur Förderung einer reflektierenden Bewusstseinsarbeit.

Die Verteidigung des Demokratischen wird möglich als Folge rationalen Kommunizierens und als Folge der Analyse von ungleichzeitigem Bewusstsein. Unser Denken, unser Bewusstsein trägt bewusst und unbewusst Unabgegoltenes und nicht aufgehobene Vergangenheit mit sich. Ein Beispiel: Unsere Eltern und Großeltern gaben in Worten, Gesten und Körpersprachen die NS-Erziehung an Kinder und Kindeskinder weiter. Rollenbilder von Männern und Frauen wurden in der Psyche der Menschen verankert. Die Revolte der Achtundsechziger, die Frauenbewegungen, die Emanzipationsbewegungen haben diese „Erbschaft“ praktisch aufgegriffen und bewusster Veränderung zugänglich gemacht. Ungleichzeitigkeit wurde bewusst erfahrbar und aufhebbar.

Doch in der Revolte der Kinder gegen ihre NS-Eltern blieb oftmals ein anderes ungleichzeitiges Fragment zu wenig geortet. Es ist die zu gering aufgeklärte Latenz des Nationalen. Es ist ein noch immer vorhandenes Fühlen und Agieren als vermeintlich nationales Bewusstsein. Das nationalistische Denken in Europa ist deutlich älter als die NS-Zeit. Nationales Handeln war im 19. Jahrhundert Ausdruck demokratischer Opposition gegen Fürstengewalt. Die Verstaatlichung des Nationalismus kippte das Emanzipatorische „Von-unten“ ins Wilhelminische „Von-oben“.

Im Prozess der Verteidigung der Demokratie gegen jene, die Nation, Religion und Herkunft über die Verfassungs- und Menschenrechte stellen wollen, hilft die Blochsche Perspektive des ungleichzeitigen Bewusstseins, um das Universalrecht des Menschen als Individuum dem Völkisch-Nationalen entgegenzusetzen. Gerade in der Auseinandersetzung über den russischen Angriff auf die Ukraine und über den Hamas-Angriff vom 7. Oktober scheinen unabgegolten alte Bewusstseinsstufen auch in aufgeklärt kritischen Diskursen unaufgehoben zu wirken. Dabei bleibt festzuhalten, dass der blutige Überfall der Hamas mit den Massenvergewaltigungen und den Entführungen in keiner Weise zu rechtfertigen ist.

Wir alle wissen, es gibt nicht „die“ Deutschen, „die“ Schwaben, „die“ Christen. Warum aber gibt es im vermeintlich linken Diskurs „die“ Palästinenser und „die“ Israelis. Warum gibt es „die“ Russen und „die“ Ukrainer? Mit diesem alten Denken verteidigt man keine Demokratie. Man schwächt sie. Dagegen sollte gelten: Entlang des Denkens von universalistischen Menschen- und Demokratierechten müssen wir nach Demokratinnen und Demokraten in Rußland, in der Ukraine, in Israel und in Palästina fragen. Nicht die Nationalflagge bedeutet Zukunft sondern das Bekenntnis zu wahrhafter Demokratie.

Wer heute zu Recht und notwendigerweise zur Verteidigung der Demokratie aufruft, darf sich nicht scheuen, sich selbst zu hinterfragen: Wieviel undemokratisches oder gar antidemokratisches Bewusstsein tragen wir ungeklärt in uns, wenn wir über Israel oder Palästina reden? Wollen wir nationales Denken stärken oder wollen wir die Demokratie voranbringen? Statt den nationalistischen Parolen für oder gegen Israel, für oder gegen Palästina, benötigen wir eine Solidarität mit all jenen Frauen und Männern in Israel und in Palästina, die gemeinsam für eine demokratische Zivilgesellschaft im universalistischen Sinne eintreten. Es geht um die Gemeinsamkeit all jener, die für verfasste Menschenrechte und deren rechtsstaatliche Umsetzung ringen. Nationalflaggen helfen da nicht. Konkrete Hoffnungen und konkrete Utopien erbringen gerade jene Ansätze, die bewusst das Nationale überschreiten.

In unserem eigenen Denken herrscht noch viel Ungleichzeitiges. Oftmals tragen wir – ohne richtig zu überlegen – alte Parolen aus der Zeit der Befreiungsbewegungen vergangener Jahrzehnte in die Gegenwart. Haben wir nicht gelernt, dass militärisch geführte nationalistische Befreiungsbewegungen das Nationale über die Demokratie stellen? Haben wir Mugabe, Gaddafi und Ortega vergessen? Wollen wir wirklich im Geiste der Hamas die Religion über dem Menschenrecht einstufen? Für die Frauenbewegung im Iran gegen die Mullahs stellt die Hamas eine frauenfeindliche, rechtsradikale und religiös-autoritäre Organisation dar. Ist diese plötzlich für uns eine Demokratiebewegung, nur weil sie mit Koran-Parolen gegen das Unrecht der israelischen Besatzung auftritt?

Wenn von uns gefordert wird, wir sollten uns zwischen der israelischen und der palästinensischen Flagge entscheiden, sollten wir zurückfragen, welche gemeinsamen israelisch-palästinensischen und palästinensisch-israelischen zivilgesellschaftlichen Demokratie-Projekte solidarisch unterstützt werden können.

Doch auch die unabdingbare Aufarbeitung des Kolonialismus und dessen Folgen benötigt Selbstreflexion. Ist nicht der anti-kolonialistische kritische Diskurs selbst noch mit den Muttermalen des Kolonialismus infiziert? Muss nicht im Prozess der Kritik auch das Nationale der Kritik selbst der Kritik unterzogen werden? Mit Bloch könnten wir sagen: Es bedarf nicht nur der Negation sondern auch dialektisch der Negation der Negation. Nationalismus ist keine passende Antwort auf Kolonialismus und Imperialismus. Nationalismus ist ebenso keine adäquate Antwort auf terroristische Verbrechen.

Gesellschaftspolitische Interventionen im Sinne der Demokratie fußen auf der Analyse komplexer Zusammenhänge und entsprechender Kompetenz. Der Tübinger Philosoph Helmut Fahrenbach fasste die Herausforderung in seinem Buch „Philosophie kommunikativer Vernunft“ in seine Worte:

Der spannungs- und konfliktreich „vernetzten“ Weltlage kann nur ein Denken und Handeln gerecht werden, das die Disparitäten und Spannungen zwischen Einheit und Differenz, Allgemeinem und Besonderem, Macht und Abhängigkeit durch eine die Verbindung und Verschiedenheit in der gegenwärtigen Welt zugleich wahrende und vermittelnde Sicht theoretisch zu erfassen und praktisch zum Abbau bzw. Ausgleich zu bringen versucht. Zur Klärung der damit gestellten Aufgaben ist auch Philosophie vonnöten, freilich nicht irgendeine, sondern eine Philosophie kommunikativer Vernunft, für die das dialektische Verhältnis von Einheit und Vielheit, Allgemeinem und Besonderem eine zentrale Reflexionsaufgabe darstellt und dies insbesondere im Hinblick auf die Ermöglichung der Verständigungs- und Kooperationsprozesse, die für die Entwicklung und den Bestand einer humanen, ausgleichenden Welteinheit in einer sozio-kulturell pluralistisch und politisch-ökonomisch disparat verflochtenen Weltgesellschaft notwendig sind. (Fahrenbach)

Verteidigung der Demokratie bedeutet, in kommunikativer Vernunft den Wert universaler Menschenrechte über den Wert des Nationalen zu setzen. Nicht umgekehrt. Das ungleichzeitige Bewusstsein in uns und in unseren Diskursen bedarf der Aufklärung und der dialektischen Aufhebung. In diesem Sinne ist uns das Denken des vor 47 Jahren am 4. August 1977 gestorbenen Ernst Bloch noch immer voraus.