Farben der Veränderung

Margarete Hecklinger (Foto: © Welf Schröter)

Margarete Hecklinger (Foto: © Welf Schröter)

Es ist die expressive Kraft ihrer Farben und die Bewegung ihrer Pinselführung, die den Betrachter in den Bann zieht. Es mischt sich eine phasenweise Beerbung des aufrührerischen Expressionismus mit der späten Sehnsucht nach Heimat und der Einlösung von deren Unabgegoltenheit. Ihre Aufmerksamkeit gilt Mensch, Natur und Tier.

Die 1936 geborene Künstlerin Margarete Hecklinger zieht in ihren zum Teil explosiven Werken verschiedene Zeiten, alte Zeiten und gegenwärtige zusammen. Sie kontrastiert und verknüpft Europäisches und Indisches. Sie zeigt Verwandtes und holt Vergangenes zurück, bewahrt es in ihren Bildern.

Die Schülerin von Rudolf Yelin und Erich Mönch ringt mit der Natur und dem Umgang des Menschen mit der Natur. Es ist ein Tanz der Farben und zugleich der Blick in die Geschichtsbeladenheit von Gesichtern.

Im Jahr 1969 ging sie erstmals zu einem Aufenthalt nach Indien. Sie zeichnete, porträtierte, skizzierte, strich mit wenigen Linien die Hoffnungen der Einwohner zu Papier wie auch ihre Enttäuschungen. Nicht verklärend esoterisch sondern auffindend suchend neugierig.

Die in Stuttgart, Reutlingen und Indien lebende Margarete Hecklinger eröffnete am 1. November ihre Ausstellung in Stuttgart. Ein wiederkehrendes Motiv bildet die Bewegung des Menschen, die Figur des tanzenden Menschen, der damit mit anderen in Kommunikation tritt, sich ausdrückt und zugleich die Kraft des Beharrenden abstreift.

Der Gang durch die Ausstellung zeigt zahlreiche farbenstrahlende Werkschöpfungen einer 77-jährigen. Bei längerer Betrachtung aber dringt aus den Bildern der jung gebliebene und nicht altern wollende Traum des Humanum, europäisch wie indisch.

Expressionist in der Ebene

Foto: © Welf Schröter

Wer die Zeit findet, die voluminöse Ausstellung des Expressionisten Erich Heckel im baden-württembergischen Balingen anzusehen, bleibt verstört vor Heckels Selbstbildnis stehen. Von den Ereignissen und Qualen des Ersten Weltkrieges traumatisiert lässt der Kriegsgegner in seinem Holzschnitt „Mann in der Ebene“ die inneren Leiden des Weltkrieges hervortreten. Als ob er Edvard Munchs „Schrei“ aufgesogen hätte, sind Schock, Elend, lautlos erstickter Schrei, das Entsetzen über das industrielle Töten in diesem Werk unauflösbar verschränkt.

Zu diesem schwarz-weiß gehaltenen Ausdruck von 1917 passt das farbig überbordende Bild „Nordsee“, das er 1916 malt. In ihm spiegelt sich der Krieg in den Wolken und legt sich wie eine massive Drohung über das Meer. Verwandt dazu die schwarz-weiße Skizze „Meerlandschaft“ von 1915, in deren Mitte zwischen Wellen das Grabeskreuz an die Toten erinnert.

Heckel hatte als Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ schon lange vor Kriegsbeginn mit farbig-impulsiver, expressionistischer Malerei seine Kritik am wilhelminischen Establishment artikuliert. Der Weltkrieg warf ihn zurück. Sein Lebensaufbruch stockte. Doch die Schrecken des Desasters ließen ihn nie mehr los. Sie blieben in anderen Zeiten präsent.

Der Weltkrieg hatte auch den Expressionismus beendet. Seine Spuren finden sich in neuen Kunstformen wieder. Im kommenden August 2014 jährt sich zum einhundertsten Mal der Kriegsbeginn. Es ist mehr als angemessen, Erich Heckels Antikriegswerke im Gedächtnis zu behalten.

Künstlerinnen der Avantgarde

Avantgardistische Stoffdesignarbeit (Foto: © Welf Schröter)

Es sind Namen wie Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa oder Nadeschda Udalzowa, die heute noch immer zu wenig bekannt sind. Diese selbstbewußten Künstlerinnen der russischen Avantgarde wandten sich seit 1907 mit ihren Werken gegen Zarismus und Krieg. Später standen sie mehrheitlich im Widerspruch zur stalinistischen Herrschaft. Mit Kandinsky, Tatlin, Malewitsch, Lissitzky, Rodtschenko waren sie auf Augenhöhe. Sie beeinflussten einander. Zwischen Utopie und Revolution, Expressionismus und Futurismus, Suprematismus und Kubismus suchten sie ihre eigenen Wege. Diese Wege führten sie auch zur Ausstellung „Der Blaue Reiter“ in Berlin im Jahr 1912, an der Natalja Gontscharowa teilnahm.

Die Frühjahrsausstellung 2013 ihrer noch immer hochaktuellen Werke im Ludwigshafener Hack-Museum zeigte Gemälde, Zeichnungen, Stoffmuster, Dessins, Webarbeiten und Skulpturen. Sonst sind die Arbeiten in der Moskauer Tretjakow-Galerie verborgen. „Die russischen Avantgarden einte das Ziel, mit ihrem Wirken zur Entstehung einer klassenlosen, gerechten Gesellschaft beizutragen“, schrieben die Kuratoren. Sie arbeiteten an der „Utopie der Gleichheit“.

„Jeder Augenblick der Gegenwart unterscheidet sich vom Augenblick der Vergangenheit und die Augenblicke der Zukunft tragen unerschöpfliche Möglichkeiten neuer Offenbarungen in sich.“ (Olga Rosanowa im Jahr 1913).

Verblüffend aber die frühen Designansätze, von denen man Spuren in der späteren Bauhaus-Webereiklasse Dessaus zu finden glaubt. Ähnlich wie die jungen Bauhausfrauen um Lisbeth Oestreicher und Ljuba Monastirskaja suchten die russischen Avantgarde-Künstlerinnen die Verknüpfung von Kunst, Kunsthandwerk und industrieller Fertigung. Mancher Stoff erscheint, als ob die Löwenstein’sche Pausa Ende der zwanziger Jahre die industrielle Fertigung übernommen hätte.

Projekt 1914 – 2014

Im Jahr 2014 jährt sich zum einhundertsten Mal der Beginn des I. Weltkrieges. Es wird Rückblicke, Geschichtsdarstellungen und politische Bewertungen aus unterschiedlichen Richtungen geben. Was aber haben die Literaten, Intellektuellen, Künstler und Kulturschaffende jener Zeit mit diesem Kriegs“ausbruch“ verbunden? Zu viele ließen sich von nationalistischen Worten betören und griffen nach der Uniform und der Waffe. Ernst Bloch und Hugo Ball aber wetterten gegen den Militarismus. Die Erschütterungen des Krieges ließen künstlerische Reaktionen erwachsen. Nicht nur das Bauhaus und der Expressionismus, Dada und neue Musik entstanden. Ernst Bloch veröffentlichte die erste Version seines Buches „Geist der Utopie“. Der Archäologe der enttäuschten Hoffnungen rang mit Mythos, Religion, Nietzsche und Simmel. – Heute im Vorfeld der Wiederkehr des Jahrestages zeichnet sich eine Lektüre-Renaissance von „Geist der Utopie“ ab. Dazu gehört auch der „Aufschrei“: Auf Vorschlag von Werner Wild bereitet die Ernst-Bloch-Gesellschaft ein besonderes Projekt 1914 -2014 vor unter dem Titel „Der Aufschrei für eine andere, bessere Welt. Sichtweisen auf den neuen Menschen und neue Gemeinschaften als Reaktion auf die Schrecken des I. Weltkrieges“.

„Bloch ist aber da nicht alleine in dem Wieder-Aufgreifen von religiösem und mythologischem Denken, um zu neuen Formen und Inhalten zu kommen, angesichts der geistigen Bankrotterklärungen. Während der Schrecken des I. Weltkrieges, auch schon in seinem Vorfeld gibt es eine intellektuelle, literarische und künstlerische und kunsthandwerkliche Bewegung in diese Richtung, wie etwa Simmel, Rosenstock-Huessy, Mann, Ball, Hausmann, Hesse, Kirchner, Höch, Dix, Werbern, Schönberg, Landauer, um nur einige zu nennen. Expressivität, Mythen und Religion, meistens mit Adaptionen auch aus anderen als der christlichen Weltreligionen. Dies geschieht sowohl inhaltlich als auch formal. So finden wir die völlige Formveränderung der Sprache im zeitweiligen Dadaismus von Hugo Ball, der danach sehr schnell zum eher traditionellen Katholizismus zurückkehrt. Der Maler und Dadaist Raoul Hausmann erklärt aus seiner Sicht – in einer Sprache, die der Bloch’schen nicht unverwandt ist –, um was es geht, bei den neuen Formen: „ […] Gemeinschaft, die Auflösung des Ich, des Einzelnen, in der Wucht der Wahrheit des Wir.“ (Wild)

Projektskizze http://www.ernst-bloch-gesellschaft.de/images/vorschlag%20projekt%201914-2014%20webversion.pdf

(Das Bild zeigt die Skulptur „Endlose Treppe“ von Max Bill, der damit Blochs Werk „Das Prinzip Hoffnung“ interpretierte.)