Auftritt eines neuen „Triadischen Balletts“ aus cyber-physischen Systemen?

Erinnerungen an Oskar Schlemmers "Triadisches Ballett". (Foto: © Welf Schröter)

Erinnerungen an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“. (Foto: © Welf Schröter)

Wenn im 21. Jahrhundert Kommunikation auf Kreativität und Kunst trifft, wenn Virtualisierung die Arbeit und das Leben im Alltag erreicht, beginnen sich Mensch und Maschine auf ein neues verändertes und veränderndes Miteinander einzulassen. Technisch entmaterialisierte Kommunikation greift nach dem Modus der Wahrnehmung und verschiebt die Grenzen zwischen haptisch-sinnlichem und optisch-sinnlichem Empfinden, um im Virtuellen ein neues Fundament zu errichten. Letzteres entfaltet sich alsbald zum Tanzboden von künstlichen Artefakten, die – den Menschen simulierend – an seiner Stelle tätig werden.Das unsterbliche Ballett der cyber-physischen Systeme gibt den Schwan und meint doch eher die Seeräuber-Jenny, ohne zu verkünden, dass dieses Ballett die Grenzen der Zeit in Richtung sich wiederholender Echtzeit zu überschreiten sucht. Die Kunstschaffenden für den symbolischen Tanz des Digitalen streben nach dem Ausbruch aus dem Konventionellen, eine neue Konvention schaffend. Das Publikum träumt von der befreienden Entgrenzung, um dann doch eher nur vordere Parkettreihen zu besetzen. „Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.“ (Karl Valentin)

Damals im frühen 20. Jahrhundert fand am 22. September 1922 in Stuttgart die Uraufführung des „Triadischen Balletts“ in den Räumen des Württembergischen Landestheaters Stuttgart statt. Der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer hatte das Ballett als Illustration des Umbruchs aus der wilhelminischen Starrheit hinein in die fluide Moderne geschaffen und inszeniert. Oskar Schlemmers damalige Freunde Felix und Helene Löwenstein wie auch Lily Hildebrandt waren begeistert. Im Programmheft zum 22. September 1922 hieß es technik- und zukunftsverliebt:

„Das Triadische Ballett, Tanz der Dreiheit, das mit dem Heiteren kokettiert, ohne der Groteske zu verfallen, das Konventionelle streift, ohne mit seinen Niederungen zu buhlen; zuletzt Entmaterialisierung der Körper erstrebt, ohne sich okkultisch zu sanieren, soll die Anfänge zeigen …“

In der großen Schlemmer-Ausstellung 2015 in Stuttgart las sich ein Textschild anknüpfend wie folgt:

„Im Programmheft zur Uraufführung wird das ,Künstliche‘ als Quelle von Wahrheit und Schönheit betont und als Gegensatz zum Streben nach ,Wirklichkeit‘ – sprich Individualismus – in der Kunst gesehen.“

Oskar Schlemmers Traum eines Gesamtkunstwerkes, das den Linien der Abstraktion, der Zeitlosigkeit und der Modernität folgt, entsprang dem Willen, „das Metaphysische zu binden“ (Schlemmer). Vor dem Hintergrund der heutigen industrieverbundenen Kreativwirtschaft mit ihren CPS-Personae erscheint Schlemmers Verhältnis zur Technik wie ein Kapitel Unabgegoltenheit in der Erbschaft der Humanisierung des Menschen. Wie schrieb er doch 1922 zukunftstrunken und faktisch schon Gedanken der heutigen humanoiden Robotik vorwegnehmend:

„Die Mittel jeder Kunst sind künstliche und jede Kunst gewinnt, wenn sie ihre Mittel erkennt und bejaht. … Chaplin wirkt Wunder indem er ganz künstlich ist. Ob die Mechanisierung des Lebens von heute durch Maschine und Technik, gegen die sich die Sinne nicht verschließen können. Auch die Maschine Mensch und den Mechanismus Körper nachdrücklich fühlbar und bewusst werden lässt.“

Ein neuer grundlegender Wandel von Arbeit und sozialem Zusammenhalt, von „E-Society“ und Robotik wandert in die alltäglichen Vorstellungswelten der Citoyennes und Citoyens der Gegenwart. Nicht der Tanz auf dem Vulkan sondern ein neues „Triadisches Ballett“ fordert heraus, will Neues, bringt Altes mit, aktualisiert Ungleichzeitiges und enthebt auf der Bühne den Menschen seiner „Invariante der Richtung“ (Bloch). Das CPS-Ballett folgt dem Crescendo-Ruf: Vom „Pas de deux“ zum choreografierten „Ballet d’action“, ohne „Cabriole“ und ohne „Contretemps“.

Als Künstler der rebellischen „Üecht-Gruppe“ schrieb Oskar Schlemmer am 15. November 1919 in einem Flugblatt: „In der Kunst ist lernen gleichbedeutend mit leben wollen.“ Fast einhundert Jahre später wäre anzufügen, dass die cyber-physischen Ballett-Schuhe vor dem Betreten der Bühne anzuziehen sind.

Ist heute im Angesicht der CPS die „Entmaterialisierung“ der Körper eine „konkrete Utopie“, die der Humanisierung des Menschen näher kommt, oder liegt in der Entkörperlichung ein Stück nachholende Vergangenheit, die mehr rückwärts verweist als nach vorne öffnet? – Oskar Schlemmer wird es wohl gewusst haben.

Willi Baumeister revisited

Foto: © Welf Schröter

Der Gang durch die Stuttgarter Ausstellung „Willi Baumeister – International“ 2013/2014 zwingt den Betrachtenden in eine Zeitreise, die in die Anfänge der zwanziger Jahre führt und doch die Gegenwart konfrontiert. Es sind die „Mauerbilder“ (1923) und die „Maschinenbilder“ (1924) Baumeisters, die einem noch heute den Atem nehmen. Es ist die Wucht seiner abstrakten Sprache, die den Betrachter geradezu umwirft, wenn er die
Reihe der Figuren (1920/21) und Konstruktionen gewahr wird.

Der Begriff „Mauerbilder“ – von Baumeister selbst gewählt – führt zunächst in die Irre, denn nicht Bilder von Mauern entstanden, sondern das Materiale, die Kombination von Sand, Holz, Farbe gab dem Auge eine Oberfläche vor, die durch Blicke als mauerartig steinig erkannt werden konnten.  Willi Baumeister (1889–1955) – geboren vor 125 Jahren am 22. Januar – verlässt die bis dahin weit verbreitete Form der künstlerischen Darstellung, reduziert Körper auf Flächen, Farben und geometrische Konstrukte, zerlegt diese und ordnet sie neu an. Das scheinbar statische Bild erzeugt in der Kommunikation mit dem Ansehenden Bewegung. „Eine Steigerung der Bewegung, mit der gleichsam eine Zeit-Substanz in das Kunstwerk eingeführt wird“ (Willi Baumeister). Diese Bewegung ist Aufbruch und Umbruch. Aufbruch nach den Schrecken des Weltkrieges, Aufbruch durch die Rationalität neuer Technik, die offenbar das Mythisch-Emotionale in nüchterne Funktionalitäten umlenkt.

Baumeister bricht mit dem bisher Gesehenen. Er bricht mit dem Sehen. Er bricht mit dem Sehenden. Wie fasst es Erich Franz treffend in Worte: „Form ist nicht Zustand, sondern Werden und Wandlung, und Sehen nicht Feststellen, sondern unaufhörliches Sich-Umstellen des Blicks.“

Baumeisters „Mauerbilder“ und „Maschinenbilder“ antizipieren das „Noch-Nicht“. Franz zitiert im Ausstellungskatalog mit František Kupka einen der Pioniere der Abstraktion: „Es müsse „ein Begriff von der gleichzeitigen atmosphärischen Durchdringung [der Oberfläche] gefunden werden.“

Willi Baumeister, von Le Corbusier gepriesen, von Fernand Léger beeinflusst, von Wassily Kandinsky inspiriert und mit zahlreichen Rebellen wie Oskar Schlemmer, Kurt Schwitters, Paul Klee und anderen freundschaftlich verbunden, hat gültige (Kunst-)Gesetze gebrochen und neue Perspektiven eröffnet. Das macht sein Schaffen aktuell. Sein „Drucker“, HAP Grieshaber, fand später für den Neues Schöpfenden und vom Nazi-Regime als „entartet“ Verfemten den beziehungsreich vielsinnigen Ausdruck: Baumeister – ein „Gesetzgeber in gesetzloser Zeit“.