Von der Singularität des Menschen zur Singularität der Maschine

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Aus dem Kreis der IT-Szene Kaliforniens kommen seit geraumer Zeit neue Thesen. Es heißt, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts habe die Technikentwicklung die Begrenzung des Menschen auf sein biologisches Dasein konfirmiert. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts aber sei ein neuer Menschheitstraum auf die Bühne getreten. Die Singularität des Menschen werde von der Singularität der Technik abgelöst. In rund einem Jahrzehnt sei die Computertechnik soweit, ein Menschliches Gehirn abzubilden. In drei bis vier Jahrzehnten werde die Leistungsfähigkeit des organischen Gehirns durch ein technisches Gehirn um das millionen- bis milliardenfache überflügelt.Kern des Traums ist nicht die Ersetzung des Gehirns durch ein technisches Artefakt, sondern die Kombination von organischer mit anorganischer Materie.

Die Informationstechnik sieht sich nicht mehr als Gegenstück zum Menschen sondern als dessen verewigendem inneren Bestandteil. Zwischen Google, Facebook und Apple kreist eine Diskussion unter dem Namen Transhumanismus. Die Verschmelzung des Menschen mit der IT-Technik.Der Traum sieht nicht nur die Verlängerung der Existenz von Informationstechnik, sondern den Ausbruch des Menschen aus seiner biologischen Begrenztheit vor. Der Paradigmenwechsel liegt nicht in der Humanisierung des Menschen sondern in der Humanoidisierung der Maschine.

Dabei greifen die Apologeten des Transhumanismus auf philosophische Traditionen zurück. „Denken heißt Überschreiten“ formulierte einstens Ernst Bloch. Die Transhumanisten wollen überschreiten. Sie überschreiten jedoch die humane ethische Dimension menschlicher Kultur. Der Rückgriff in Silicon Valley auf Bloch und Adorno mag verblüffen. Es ist ein Fehlgriff. Denn beide Denker haben ihre Utopie-Kontroverse stets als Veredelung des Menschen nicht als Veredelung von dessen technischer Kopie verstanden. Transhumanismus ist nicht die Fortführung der „konkreten Utopie“ des Menschen sondern dessen Verkehrung in eine algorithmische Ultima Ratio.

Die philosophische Kontroverse in Europa hinkt dieser Debatte weit hinterher. Es bedarf eines öffentlichen gesellschaftlichen Diskurses über die Zukunft des Menschenbildes. Die Idee, den religiösen Ewigkeitsanspruch technisch humanoid zu realisieren, offenbart dialektisch eher die Forderung nach einer Aufhebung in einer – nach Bloch – sozialen Genesis statt der körperlichen Abstraktion der biologischen Endlichkeit. Der Traum der Unendlichkeit im Jenseits will sich informationstechnisch in einen Traum der Unendlichkeit im Diesseits verwandeln.

Vor kurzem warf ein Wissenschaftler in einem renommierten Forschungsinstitut provokativ ein, der Mensch sei ohnehin nur „ein Datum“. Damit war nicht die zeitliche Perspektive sondern die numerische gemeint. Der Mensch als quantifizierende Summe aus Informationen und Daten. Sicherlich lässt sich die menschliche Existenz auch als „Datum“ beschreiben. Jedoch lässt sie sich nicht darauf reduzieren.

Schon einmal versuchten Anhänger der „Vorsehung“, Menschen nur auf ein numerisches Datum, eine mehrstellige Zahl zurückzuführen. Sie wurde in die Haut eingefügt. Die Überlebenden trugen sie als Zeichen bis an ihr Lebensende. Die Reduktion des Menschen auf sein „Datum“ wäre Grundlage einer inhumanen Gesellschaft. Eine Anti-Utopie.

 

Die Zukunft des Ich

Der Diskurs über „Identität in der Virtualität“, wie er seit mehreren Jahren im Spannungsverhältnis von sozialer Technikgestaltung und Blochscher Philosophie geführt wird, bekommt nun von prominenter Seite weiteren Rückenwind.ZukunftICH

Bisherige Grundlage der laufenden Debatte ist die These, dass der Begriff der „Identität“ in der E-Society sich aus dem Konvergieren von biografischer und virtueller Identität neu entwickelt. Für die Kontroverse um „Industrie 4.0“ bedeutet dies, dass Identität zu einem zivilgesellschaftlichen Schlüsselthema der Transformation der „Wissensgesellschaft“ wird: Die Einflüsse und Chancen der „virtuellen Identitäten“ und ihre Rückwirkungen auf das „biografische Ich“ erfordern einen ganzheitlichen Blick und ein auf Ganzheitlichkeit angelegtes Gestaltungskonzept. (Schröter)

Die deutsche Oktober-Ausgabe der IT-Zeitschrift „WIRED“ stellt die Frage nach der Zukunft des „Ich“ und meint: „Soziale Netzwerke und Internet of Things verändern die menschliche Identität radikal.“

Joachim Hentschel sieht die „Technologie als Krücke der Ich-Konstruktion“ und das digitale Ich als „ein Backup der eigenen Persönlichkeit“: „Dass die Ich-Digitalisierung heute noch so oft als Dystopie und Bedrohung verstanden wird, hat aber wohl weniger mit der Angst vor dem Datenmissbrauch zu tun. Eher mit einem verbreiteten bürgerlichen Konzept von Authentizität, in dem das Technische, Virtuelle, Nicht-Körperliche per se als weniger maßgeblich gilt.“ Hentschel warnt – in seiner Sicht immanent konsequent – davor, „Online- und Offline-Ich zu apodiktisch zu trennen.“

Zweifellos steckt in seinem Hinweis auf besagte Authentizität ein richtiges Argument. Das „Virtuelle Ich“ wird in seiner Bedeutung und Wirkungsweise noch immer unterbewertet. Jedoch unterschätzt der Autor das gewachsene soziale und kulturelle Gewicht der Entstehungsgeschichte des „biografischen Ichs“. Das Humanum kann technisch ergänzt, nicht aber ersetzt werden. In Hentschels Prognose steckt zuviel transhumanistischer Perspektive.