„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (II) – Eines der Motive

Dieser Ausruf des französischen Résistance-Kämpfers René Char bildet das Leitmotiv der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „30 Tage im November“, womit der Wert der Menschenrechte gegen Intoleranz und Rassismus, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verteidigt wird.

Über 200 Organisationen laden zu mehr als 100 Veranstaltungen ein. Widerstand gründet in Hoffnung. Widerstand begründet Hoffnung. Widerstand gegen Unrecht muss auf Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit beruhen. Unser Widerstand basiert auf Demokratie und will die weitere Demokratisierung der Demokratie. Bloßer Widerstand gegen Unrecht als Kritik reicht nicht aus. Es bedarf des Widerstands für eine die soziale Gleichberechtigung einlösende Zivilgesellschaft, für die Umsetzung der Tagträume einer besseren Welt.

Das von Heinrich Bleicher mitedierte Buch „Widerstand ist nichts als Hoffnung“ fordert zur Widerständigkeit für Menschenrechte, Humanität und Frieden auf. „30 Tage im November“ versteht sich zugleich auch als ein Lernort der Geschichte: Erinnerungskultur stärkt Demokratie. Zeigen wir unseren Mut zu neuer Hoffnung, hier unter uns und für uns sowie als Solidarität mit Geflüchteten und Verfolgten. Es geht um „die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (Karola Bloch).

Siehe: https://30tageimnovember.de/

 

„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (I) – Ein Konzept

30 Tage im November – Vom Wert der MenschenRechte – Öffentliche Veranstaltungsreihe vom 27. Oktober bis 04. Dezember 2022

Siehe: https://30tageimnovember.de/

Der Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, wohin Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit führen können. Heute gilt es mehr denn je, Wissen und Werte zu vermitteln, die uns befähigen, Frieden, Demokratie und Freiheit immer wieder neu zu fordern, zu bewahren und die Allgemeinen Menschenrechte zu verteidigen!

Erinnerungskultur stärkt die Demokratie: Unsere Initiative versteht sich als ein Lernort der Geschichte. Das Neue darf das Alte nicht verdecken, wenn es gilt, die Geschichte zu verstehen und unsere Gegenwart zu gestalten: An Morgen erinnern.

Die AnStifter laden Kulturinitiativen, KünstlerInnen, Kinos und Theater, Büchereien, Schulen und Unis, Kirchen und Gewerkschaften, Verbände sowie die Stadtgesellschaft zum Mitmachen ein: als VeranstalterIn, AkteurIn, als Publikum, VorleserIn, AnStifterIn, als Verantwortliche für Frieden, Demokratie und Menschenrechte. Die Reihe will mit Ihnen und Euch, den Kulturschaffenden aus Stadt und Region, auf die Suche gehen, mit Bild, Text und Ton, Theater, Musik und Film, mit Freude an Experimenten, Dialog, öffentlichem Denken und Machen.

Unser Konzept basiert auf Eigenwilligkeit und Eigeninitiative, Vielfalt und Solidarität der Mitwirkenden. Sie unterstützen uns, auch wenn Sie die „30 Tage im November“ nur nominell mittragen wollen. Sie können eigene Veranstaltungen für die Reihe entwickeln, passende Vorschläge aus Ihrem November-Programm einreichen, Kooperationen anbieten oder in ganz anderer Form eingreifen. Wir bitten, im Rahmen der „30 Tage“ auf Ihren Bühnen, vor oder nach Ihren Veranstaltungen in geeigneter Form Ihnen wichtig erscheinende Artikel der Menschenrechte zu präsentieren oder Ihre Veranstaltung der Menschenrechtspräambel zu widmen.

Die Reihe „Vom Wert der Menschenrechte“ mit mehr als 100 Veranstaltungen wird von mehr als 200 Initiativen, Theatern und anderen Einrichtungen mitgetragen. Zu der Reihe erscheint im Herbst eine 20-seitige Programmzeitung, es gibt Plakate und Flyer, Hinweise über die sozialen Medien, eine Website und Ihre eigenen Hausprogramme.

(Aus der Ankündigung von Peter Grohmann und dem Team „Die AnStifter“)

 

Harold Livingston (1923 – 2014)

Harold Livingston (Foto: © Welf Schröter)

Harold Livingston (Foto: © Welf Schröter)

Es war der 22. Juli 2009, als sich in der schwäbischen Kleinstadt Mössingen am Rande der Schwäbischen Alb zwei Männer trafen, die sich zuvor nie begegnet waren und doch indirekt verbunden schienen. Der Philosoph und Naturwissenschaftler Jan Robert Bloch gab dem Unternehmer Harold Livingston die Hand.

Monate später schrieb Jan Robert Bloch in seinem letzten Text vor seinem Tod über das Treffen in Mössingen: „Etwas stieg auf, was entschwunden schien. Etwas kehrte ein, wovon kaum jemand sprach.“ Jan Robert Bloch erinnerte sich an die Freundschaft seiner Eltern Ernst und Karola Bloch mit Adolph Lowe und Beatrice Lowe geb. Löwenstein.

Nur wenige Wochen vor seinem 91. Geburtstag im Oktober starb Harold Livingston in London. Er war der Sohn von Artur Löwenstein, dem Bauhaus-Anhänger und Mitbegründer des Mössinger Textilunternehmens Pausa sowie Bruder von Beatrice Löwenstein. Als 13-jähriger Junge wurde er zusammen mit seinen jüdischen Eltern und weiteren Angehörigen von den Nationalsozialisten vertrieben. Die Firma Pausa wurde in einer geplanten Aktion zwangs„arisiert“. Als 22-jähriger kam Harold Livingston als britischer Soldat zurück. Er gehörte nicht nur zu den Befreiern Deutschlands von der NS-Diktatur sondern auch zu den Befreiern der Inhaftierten im KZ Bergen-Belsen.

Auf Grund der Initiative von Bürgern konnten im Jahr 2009 Mitglieder der Familie Löwenstein 73 Jahre nach ihrer erzwungenen Emigration erstmals wieder Mössingen besuchen. Im Namen der Stadt entschuldigte sich der damalige Oberbürgermeister bei der Familie. Beim seinem dritten Besuch im Sommer 2013 kam Harold Livingston auf Einladung des Theaters Lindenhof und des Löwenstein-Forschungsvereins in die Steinlachstadt. Er nahm als Ehrengast an der Aufführung des Stückes „Ein Dorf im Widerstand“ teil. In einer beeindruckenden Rede entschuldigte sich bei diesem Aufenthalt der örtliche Landrat persönlich bei Harold Livingston für das verbrecherische Verhalten der Behörden und der Bank im Jahr 1936 im Zuge der Enteignung von Artur und Felix Löwenstein.

In hohem Alter konnte Harold Livingston wieder Zugang finden zu den Orten seiner Kindheit, Stuttgart und Mössingen. In Jan Robert Bloch hatte er einen sensiblen Gesprächspartner gefunden. Für den damals 72jährigen Bloch war das Zusammentreffen mit dem damals 85-jährigen Livingston das Symbol für eine andere, glaubwürdige und authentische Erinnerungskultur. Beide standen sie gegen jedwede Ausprägung des Antisemitismus.

 

Das widerständige Leben der Karola Bloch

Im zwanzigsten Todesjahr Karola Blochs kamen in Pfullingen in Sichtweite des früheren Neske-Verlagshauses über fünfzig interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer zusammen, um Felicitas Vogel, der Kuratorin der Neske-Bibliothek, bei ihrer Lesung aus Karola Blochs Autobiografie „Aus meinem Leben“ zu lauschen.

Im Garten des ehemaligen Klarissenklosters, das aus einer der frühen religiösen Frauenbewegungen hervorgegangen war, wurde das widerständige Leben der Polin und Jüdin, Architektin und Sozialistin Karola Bloch dem vorwiegend weiblichen Publikum leidenschaftlich und berührend vor Augen geführt. Die frühere Leiterin der Stadtbibliothek und heutige Kuratorin der Neske-Bibliothek, Felicitas Vogel, las aus der Lebensgeschichte der aktiven Hitlergegnerin. Zu dem Nachmittag hatte die Neske-Bibliothek und die Volkshochschule Pfullingen mit Unterstützung des Talheimer Verlages eingeladen.

In seinem Grußwort würdigte Welf Schröter, Mitherausgeber der Schriften Karola Blochs und langjähriger politischer Vertrauter der am 31. Juli 1994 Gestorbenen, den Mut und die Zivilcourage Karola Blochs. Ihr Leben sei gezeichnet gewesen von der unermesslichen Trauer um ihre Eltern und Angehörigen, die ins Warschauer Ghetto verschleppt und im KZ Treblinka ermordet wurden. Bis zu ihrem Tod sei Karola Bloch von diesem Trauma verfolgt worden. Schröter sprach sich dafür aus, der Haltung Karola Blochs nachzukommen und sich heute energisch gegen Antisemitismus zu wenden.

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

In der Lesung wurde sowohl die junge rebellische Karola Bloch, die aus einem begüterten Elternhaus einer Textilunternehmerfamilie kam, ebenso lebendig wie die spätere Architekturstudentin, die sich in die Bauhaustradition begab. Ihre erste große Liebe war der Schriftsteller und spätere Spanienkämpfer Alfred Kantorowicz. Er war es, der ihr den zwanzig Jahre älteren Ernst Bloch vorstellte. Damit begann eine lebenslange Beziehung zwischen zwei Menschen, die über die Exilstationen Wien, Paris, Prag, New York, Boston, Leipzig nach Tübingen kamen. In der Hoffnung, dass nach 1945 mit der DDR ein besseres Deutschland entstünde, gingen beide nach Leipzig. Schon nach wenigen Jahren geriet Karola Bloch in Widerstreit mit der SED. Die Blochs erhielten Berufs- und Publikationsverbot. Anlässlich des Mauerbaus 1961 blieben sie während eines Aufenthaltes in Westdeutschland. 1981 veröffentlichte Karola Bloch ihre Autobiografie im Pfullinger Neske-Verlag. Seit 1995 ist eine Neuauflage in einem anderen Verlag wieder lieferbar.

Janina Kowalewska

Denkmal in Warschau für den jüdischen Ghetto-Aufstand 1943 (Foto: © Welf Schröter)

Am 15. Mai 2014  ist in Warschau im Alter von 90 Jahren Janina Kowalewska gestorben. Sie war die einzige Verwandte Karola Blochs, die den Ghettoterror in Warschau űberlebte.

Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen begann das Regime mit dem Aufbau des „Ghetto Litzmannstadt“ in Lodz. Die Eltern Karola Blochs, Helena Piotrkowska und Maurycy Piotrkowski, sowie ihr Bruder Izio Piotrkowski und dessen Frau Andziula Piotrkowska geb. Tagelicht wie auch deren Sohn Jercy wurden dorthin verschleppt. Das NS-Regime transportierte die beiden Familien danach unter Zwang ins Ghetto Warschau. Von dort wurden sie 1942 und 1943 in das Konzentrationslager Treblinka verbracht und ermordet.

Zu den Inhaftierten im Warschauer Ghetto gehörte auch Janina Kowalewska geb. Lucyna Engelmann. Sie war die Tochter des jüngeren Bruders von Karola Blochs Mutter Helena. „Janka“ überlebte das Ghetto, weil ihr Dienstmädchen sie mutig als ihre eigene „arische“ Tochter ausgab. Janina Kowalewska heiratete den polnischen Architekten Andrzej Kowalewski, der große Verdienste beim Wiederaufbau von Warschau hatte.

Die gewaltsame Internierung ihrer Familie im Ghetto „Litzmannstadt“ und im Ghetto Warschau sowie die Ermordung ihrer Angehörigen im KZ Treblinka war für Karola Bloch bis zu ihrem Lebensende eine traumatische Erfahrung. In eindrücklicher Weise hat Karola Bloch dies in ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ geschildert. 1978 besuchte Karola Bloch ihre Kusine in Warschau: „Als ich Janina fragte, wie es im Ghetto war, wollte sie mir nichts erzählen. Es sei zu schrecklich gewesen.“ Für Karola Bloch war der aussichtslose, aber notwendige jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 ein Symbol für den Kampf um „die Würde des Menschen“. Als Karola Bloch vor zwanzig Jahren am 31. Juli 1994 in Tübingen starb, nahm Janina Kowalewska mit ihrem Sohn an der Beisetzung teil.

Im Nachlass Karola Blochs befanden sich Briefe ihres Bruders Izio und ihrer Schwägerin Andziula. Sie wurden 2010 im Band „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“ unter dem Titel „Karola Bloch und das Trauma der Ermordung ihrer Familie – Briefe aus dem Warschauer Ghetto“ auszugsweise veröffentlicht. Ernst und Karola Bloch hatten Andziula, die Tänzerin und Schülerin Mary Wigmans, sehr geschätzt.

Janina Kowalewska hatte erzählt, dass Andziula Piotrkowska im Ghetto Warschau zur Ermutigung der Kinder und Erwachsenen Ravels Bolero tanzte.

Der Tod Janina Kowalewskas erinnert daran, im Widerstand gegen Antisemitismus und Rassismus nicht nachzulassen. Wir erleben heute die wachsende Ausbreitung antisemitischer Äußerungen, Haltungen und Handlungen. Wir müssen mit Bedauern erkennen, dass auch akademisch gut ausgebildete Menschen davor zurückweichen. Janina Kowalewska war mutig und wurde aktiv. Die Erinnerung an sie sollte uns Ermutigung sein und Zivilcourage stärken.

Kanto und Karola

„Wir waren verlobt und wollten heiraten. Eigentlich war Kanto meine erste ganz große Liebe. Na und dann kam der Ernst“ (Sehnsucht 2, 92). Mit diesen kurzen klaren Worten beschrieb Karola Bloch im Jahr 1988 im Gespräch mit Welf Schröter ihre beiden Jugendlieben. Wäre Ernst Bloch nicht in ihr Leben getreten, wäre sie sicher mit Alfred Kantorowicz zusammen geblieben und wäre mit ihm in den „Spanischen Bürgerkrieg“ gegen Franco gezogen.

Kanto und Karola waren Anfang der dreißiger Jahre trotz vieler Vorbehalte Mitglied der KPD geworden. Aber beide sahen in der kommunistischen Bewegung die einzig starke Kraft, die vielleicht den Nationalsozialismus aufhalten könnte. Von den Nationalsozialisten verfolgt verließen sie frühzeitig das „Reich“, um im Ausland ihre Widerstandsarbeit gegen Hitler fortzuführen. Beide gingen nach der Befreiung hoffnungsvoll in die DDR. Kanto flüchtete 1957 in den Westen. Karola Bloch und ihr Mann wechselten 1961 von Leipzig nach Tübingen.

Am 10. Mai 1983 hielt Karola Bloch auf dem Tübinger Marktplatz vor mehr als eintausend Menschen ihre Rede zu Ehren von „Kanto“. Sie erinnerte an dessen besondere Leistung, als er am 10. Mai 1934 in Paris die „Bibliothek der verbrannten Bücher“ mit Unterstützung von Heinrich Mann, Alfred Kerr, Romain Rolland und Egon Erwin Kisch gründete. Alfred Kantorowicz wollte mit dieser Initiative gegen die Bücherverbrennungen des NS-Staates protestieren.

Karola Bloch 1983: „Denn die Bücherverbrennung war ein Symbol für die Vernichtung des Geistes, auf den die Deutschen mit Recht so stolz waren“ (Sehnsucht 1, 84).

Alfred Kantorowicz 1934: „Hier sei nur kurz gesagt, dass die Bibliothek einen wesentlichen Teil aller im Machtbereich Hitlers verbotenen, verbrannten und unterdrückten und zensurierten Bücher und Schriften sammelte und darüber hinaus auch Hauptwerke aller Zeiten der deutschen Literatur zur Verfügung stellen konnte.“

Am 10. Mai 2013 erinnerten in Tübingen Theater, Literaten, Verleger, Hochschullehrer/innen in einer zwölfstündigen Dauerlesung an die Bücherverbrennung achtzig Jahre zuvor. Zu den Lesenden gehörte auch der Mitherausgeber der Schriften Karola Blochs. Er trug dreißig Jahre nach der Marktplatzrede von 1983 Karola Blochs Rede zu Kantorowicz noch einmal vor.

Am 10. Mai 2014 – dem achtzigsten Jahrestag der „Bibliothek der verbrannten Bücher“ gilt es innezuhalten und sich an zwei Menschen zu erinnern, die sich auf ihre Art Hitler entgegenstellten. Ihre Motive und ihre Haltungen, ihr energisches Wirken gegen Antisemitismus, ihr Eintreten für die Würde des Menschen, für Menschenrechte und Demokratie haben sich bis heute nicht überlebt. Im Gegenteil. Die unabgegoltene Erbschaft von Kanto und Karola wird immer aktueller. Das zusammenwachsende Europa braucht diese Erinnerungen.

 Anne Frommann, Welf Schröter (Hg.): Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden, Reden und Schriften. Zwei Bände, Mössingen 1989. http://www.talheimer.de/gesamtverzeichnis.html?page=shop.product_details&flypage=flypage-ask.tpl&product_id=93&category_id=17

Erinnerungskultur und Zivilgesellschaft

Sibylle Thelen (Foto: Schröter)

Anlässlich des siebzigsten Jahrestages des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 ergriffen in einer „Matinée gegen Antisemitismus“ der langjährige Landesrabbiner von Württemberg, Joel Berger, und die Leiterin des Fachbereichs Gedenkstättenarbeit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Sibylle Thelen, das Wort.

Sie mahnten am Ort des Mössinger Generalstreiks 1933 gegen Hitler eine aktive Erinnerungskultur an. Joel Berger wandte sich gegen den politischen Mißbrauch des historisch unzweideutig belegten Begriffs „Ghetto“ in der aktuellen Tagespolitik. Damit werde der Schrecken der Shoah verharmlost.

Sibylle Thelen ermutigte dazu, Gedenkstätten als gelebte Erinnerungskultur zu sehen und zu stärken:

„Und dies alles geschieht auch heute zumeist dort, wo Bürgerinnen und Bürger zu fragen und zu forschen begonnen haben, und wo angesichts der zusammengetragenen Rechercheergebnisse das Bedürfnis entstanden ist, das Wissen mit anderen zu teilen und an künftige Generationen weiterzureichen – am besten verankert am authentischen Ort. Es ist gut, dass diesem Bürgeranliegen heute von offizieller Seite mit Aufgeschlossenheit und Anerkennung begegnet wird. Unterstützung ja, Vereinnahmung nein – denn diese wäre das Ende einer ungezähmt kritischen Herangehensweise, derer es gerade auf Feldern bedarf, auf denen noch manches abzuklären ist. In solchen Auseinandersetzungen um die Vergangenheit gibt es unterschiedliche Rollen. Entscheidend dabei ist: Es sind heute viele Akteure beteiligt, keiner muss mehr alleine stehen. Konflikte um die Deutung der Vergangenheit, die offen ausgetragen werden, sind lehrreich – kein Vergleich zu dem Schweigen der Nachkriegszeit. Wie allein muss man sich in einer Gesellschaft fühlen, die sich in ein solches Schweigen des Vergessens und Verdrängens, des Nichtwissens und Nichtwissenwollens hüllt.“

Es gelte öffentliche Erinnerungsarbeit zu leisten, um Vergangenes zu bewahren. Konflikte mit jenen, die eher einen Schlussstrich wollten, müsse man aushalten. Die dialektische Anstrengung des Begriffs bleibt unabdingbar.

Seyla Benhabib und Nancy Fraser für Judith Butler

Ernst-Bloch-Preis-Trägerin 2009 Seyla Benhabib (Foto: Welf Schröter ©)

Die amerikanische Denkerin Judith Butler hat von einer renommierten deutschen Jury (Axel Honneth und andere) den diesjährigen Adorno-Preis der Stadt Frankfurt zuerkannt bekommen. Diese Entscheidung stellt eine bedeutende Ehrung der 56-jährigen Philosophin und Mitbegründerin der Genderforschung dar. Gegen diese Preisverleihung hat sich scharfer Protest erhoben. Nun droht die Kontroverse in eine schlichte Schwarz-Weiß-Malerei abzugleiten. Doch der Konflikt ist vielschichtiger. Jene, die Judith Butler kritisieren und ihr politische – nicht wissenschaftliche – Vorwürfe machen, sind von einer berechtigten Sorge getragen. Es ist die Sorge um das Existenzrecht des Staates Israel. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die derzeitige Politik des Staates Iran und dessen Verbündete Hisbollah und Hamas den Staat Israel auslöschen wollen. Diese Bedrohung löst Emotionen und Ängste aus. In der bundesdeutschen Politik gibt es Personen, die sich für Linke halten und die der Organisation Hamas das Prädikat „linke Befreiungsbewegung“ verleihen. Doch wer so argumentiert, ist nicht links sondern dumm. Gesellschaftliche Emanzipation kann unzweideutig nur auf der Basis antitotalitär-demokratischen Bewusstseins gelingen. Die Politik der religiösen Hamas aber ist totalitär. Erinnern wir uns daran, als vor einigen Jahren Jan Robert Bloch gebeten wurde, eine Grußadresse für einen Veranstaltung der Organisation „Kultur des Friedens“ in Tübingen zu verfassen. Er lehnte ab, da die Organisatoren in der Hamas eine Kooperationspartnerin sahen. Im Disput um die Verleihung des Adorno-Preises liegen die Wortfronten anders. Die berechtigte Sensibilität der Preisverleihungskritiker, die sich gegen Antisemitismus wehren, wenden ihre ansonsten berechtigte Sorge gegen die Philosophin Butler und verknüpfen ihren Namen mit der Hamas. Dies ist nicht nur überzogen sondern auch falsch. Die Trägerin des Ernst-Bloch-Preises 2009, Seyla Benhabib, hat deshalb zusammen mit Nancy Fraser, die von der Ernst-Bloch-Gesellschaft für den Ernst-Bloch-Preis 2012 vorgeschlagen worden war, und zahlreichen weiteren Persönlichkeiten wie Micha Brumlik, Hauke Brunkhorst und vielen anderen mehr eine Petition an die Stadt Frankfurt (http://www.ipetitions.com/petition/adorno-preis-fuer-butler/) gestartet. International werden Unterschriften gesammelt, um die Stadt zu ermutigen, an der Verleihung des Preises an Judith Butler festzuhalten.