Zum 120. Geburtstag Karola Blochs und zum 140. Geburtstag Ernst Blochs

2025 – Ein Jahr der Erinnerungsanlässe: Der 120. Geburtstag Karola Blochs,
der 140. Geburtstag Ernst Blochs, der 15. Todestag Jan Robert Blochs und
der 80. Jahrestag der Zerschlagung des Hitler-Regimes durch die Alliierten

„Wir haben eine Architekturfirma zusammen, in der statt Architektur Philosophie gemacht wird“ (Karola Bloch)

Es war Walter Jens, der in seinen besten Zeiten im Großen Saal des Landestheaters Tübingen anlässlich des 85. Geburtstages von Karola Bloch in Anwesenheit der Jubilarin vor aller Öffentlichkeit feststellte, dass sie die entschieden Linkere im Duo Bloch gewesen sei. Er verband – ganz im Einklang mit Hans Mayer – damit einen Blick auf das Paar Ernst und Karola Bloch, der beide Ehepartner auf gleicher Augenhöhe verortete. Er sprach humorvoll von einer einträchtigen Zwietracht, einer concordia discors. Er unterstrich die produktive Spannung zweier Menschen, zwischen denen keine Hierarchie herrschte, sondern gleichberechtige Ausprägungen analytisch-politischen Denkens. Das Paar wollte gemeinsam im selben Grab beerdigt sein. Gleich und gleichberechtigt nebeneinander.

Am 22. Januar 2025 jährte sich der Geburtstag Karola Blochs zum 120. Mal. Am 8. Juli 2025 liegt die Geburt Ernst Blochs 140 Jahre zurück. Vor 15 Jahren starb der Naturwissenschaftler und Philosoph Jan Robert Bloch, der Sohn des Paares. Eine solche Daten-Trinität verlangt nach Erinnerungen, nach Reflexion, nach Kritik.

Als Ernst und Karola Bloch 1961 das letzte Mal in ihrem Leben ihren bisherigen Handlungsmittelpunkt verließen, um von Leipzig nach Tübingen, von Ost nach West zu wechseln, begann zugleich ihr letzter gemeinsamer Lebensabschnitt. Sie starben in Tübingen. Auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus waren sie von Berlin nach Zürich, Wien, Paris, Prag, in die USA und Ende der vierziger Jahre nach Leipzig gezogen. Die Vertreibung ins Exil behinderte und beeinträchtigte ihre Lebensträume, ihre Lebensleistungen und ihre Lebenswerke.

Es schien, dass sie beide in der Neckarstadt eine neue gemeinsame Arbeitsgrundlage für sich geschaffen hatten. In einem Brief an Irene Henselmann beschrieb – wie Roland Beer und Claudia Lenz hervorheben – Karola Bloch 1968 recht humorvoll ihre neue Situation: „Ernst sagt, wir haben eine Architekturfirma zusammen, in der statt Architektur Philosophie gemacht wird. Und ich muss Dir sagen, dass trotz der Traurigkeit, dass Ernst nicht mehr lesen kann (…), macht mir diese ,Firma‘ viel Spass, denn es ist so schön mit ihm zusammen zu arbeiten.“

Diese durchaus humorvolle Formulierung trifft einen Kern: Während in den Exiljahren Karola Bloch den Unterhalt verdienen musste, weil Ernst Blochs deutschsprachige Werke im Ausland kaum verlegerische Interessen weckten, arbeiteten in der Tübinger Zeit beide tatsächlich am selben Arbeitsthema. Die Edition der Briefe Karola Blochs an den Suhrkampverleger Siegfried Unseld in dem Band „Etwas, das in die Phantasie greift“ bezeugen die neue Rolle Karola Blochs: Sie hat faktisch das Editionsmanagement der Ernst-Bloch-Gesamtausgabe weitgehend mitbetreut, wenn nicht gar vielfach gesteuert.

Während in den Exilstationen und in der Leipziger Zeit beide Blochs ihren jeweiligen Berufen in eigener Dynamik folgten, wendete sich ab 1961 das Blatt. Karola Bloch gab ihren Beruf als Architektin auf. Für westdeutsche Augen und Ohren erschien sie nun als „Frau von“. In den Exil-Jahren davor war Ernst Bloch der „Mann von“. Für die Öffentlichkeit der BRD blieben die beruflichen Leistungen, ihr Lebenswerk, verdeckt. Erst posthum – viele Jahre nach ihrem Tod – wird das Profil Karola Blochs als hochkompetente und wirtschaftlich selbstständige Architektin des „Neuen Bauens“ erkennbar.

Doch die Rezeptionsgeschichte des Lebenswerkes der Architektin steht nach ihrem Tod lange unter dem Schatten eines partiellen Machismo in der Bloch-Community. Ihr, die am Bau von Hochhäusern, Theatern und Kindereinrichtungen maßgeblich mitwirkte, wird – eineinhalb Jahrzehnte nach ihrem Ableben – aus der Mitte der Bloch-Community die Fähigkeit des Denkens abgesprochen. Ein diskriminierender Vorgang. Auf diesen Akt folgte aus der Community vor allem Schweigen. Noch immer steht diese Herabwürdigung ohne deutlichen Widerspruch bis heute im Raum.

Mehr noch: Rezeptionsgeschichtlich wird zudem eine wesentliche Faktenfolge umgedreht. Die Umwertung will der Architektin den Vorwurf der dogmatischen Sowjet-Ideologisierung machen. Abgrenzend soll man dagegen das Werk Blochs – wohl eher entpolitisierend – ästhetisch und literarisch neu lesen. Karola Bloch wird rückwirkend zu einer Art moskautreuer Doktrinärin verzaubert. Es würde – so lautet die versteckte Argumentation – der Erinnerung an Karola Bloch schaden, wenn man ihre Werke und Texte aus der DDR-Zeit heute neu veröffentlicht. Ein Ton der umgedrehten Rezeption.

Es war Ernst Bloch, der Stalin eine publizistische Verbeugung zollte, während Karola Bloch sich für Flüchtlinge einsetzte, die vor Stalin flohen. Es war Ernst Bloch, der den DDR-Nationalpreis entgegennahm, während die Architektin Bloch die SED kritisierte. Es war Karola Bloch, die sich dafür einsetzte, nicht nach Moskau sondern in die USA zu fliehen. Es war Karola Bloch, die in Leipzig der SED „roten Faschismus“ vorwarf und nach Denkmälern für die Stalinopfer rief. Dies bezeugte Jürgen Teller. Ernst Bloch korrigierte schließlich seine Wertung Stalins und gestand seinen Irrtum ein.

Vor diesem Hintergrund war es ein wichtiger Schritt und eine große Leistung, dass das Team Beer/Lenz in unabhängiger Arbeit alle findbaren Texte der Architektin aus ihrer Leipziger Zeit ungekürzt veröffentlichte.

Die Entdeckung bzw. Wiederentdeckung des Lebensweges und des Lebenswerkes der Architektin des „Neuen Bauens“ erlaubt die Verschiebung der Schwerpunkte innerhalb der Bloch Communities. Die Betrachtung der Leipziger und Tübinger Zeit der Blochs ebnet den Weg zur Sichtung der Werkgemeinsamkeit und zur Eröffnung der Möglichkeit, das Verbindende der beiden Hitlergegnerschaften herauszuheben.

Wir sollten den 120. Geburtstag Karola Blochs und den 140. Geburtstag Ernst Blochs zum Anlass nehmen, die Diskussion über die Werke beider Blochs frei von konservierender Diskriminierung und frei von alt-antikommunistischen Vorurteilen mutig neu zu entfachen.

Wir sollten beide Blochs würdigen, auf gleicher Augenhöhe in ihrer beruflichen Unterschiedlichkeit, wie sie sich selbst gesehen haben in ihrer „Architekturfirma“. Warum jetzt? Weil eine alte neue Diskriminierung sich anschleicht. Im Vorfeld der Lesung zum Leben Karola Blochs kürzlich in Albstadt weigerte sich eine Buchhandlung für die Veranstaltung zu werben, weil Karola Bloch eine Jüdin war.

Erinnern wir uns dabei an Jan Robert Bloch. Er wünschte sich im Jahr 2000 – zehn Jahre vor seinem plötzlichen Tod – ein „Forum für kämpfende Humanität“ als Perspektive der Bloch-Community. Dieser Wunsch wurde 25 Jahre danach noch nicht eingelöst. Heute stünden die Verteidigung der Menschenrechte und der rechtstaatlichen Demokratie, der Widerspruch gegen Antisemitismus und Rassismus sowie der Einsatz für gerechten Frieden und Klimaschutz im Vordergrund einer „kämpfenden Humanität“. Blochs Verständnis von Ungleichzeitigkeiten und antizipatorischem Bewusstsein – auch im Sinne Helmut Fahrenbachs – könnten einem solchen Vorgehen zugrunde liegen. Weniger Innenzentrierung mehr Interventionen sind erforderlich. Vor gesellschaftspolitischem und zugleich parteiunabhängigem Denken muss man keine Furcht spüren.

Es wäre zudem an der Zeit, die Versäumnisse des Jahres 2024 zu korrigieren. Anlässlich des 30. Todestages Karola Blochs im vergangen Jahr ist es nicht gelungen, eine Veranstaltung zu ihrer Würdigung im Ernst-Bloch-Zentrum durchzuführen. Die Daten-Trinität in diesem Jahr wäre eine Chance, eine Würdigung der Architektin nachzuholen und dem Blick, den die Blochs auf sich selbst hatten, zu folgen.

Wenn wir uns in diesem Jahr der Zerschlagung des Hitler-Regimes und der Befreiung durch die Alliierten vor nunmehr achtzig Jahren erinnern, ist es an der Zeit, wieder Karola Bloch nachzulesen – auch und gerade gegen die männlich-überdrehte Perspektive. Sie schrieb: „Unmündigkeit ist trotz größter zivilisatorischer und kultureller Entfaltung nach wie vor geblieben. Unsere Aufgabe ist es, unaufhaltsam aufzuklären, das Bewußtsein des Menschen wachzurütteln. Andere Waffen haben wir nicht“ (Karola Bloch).

Lesehinweise: Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.): „Etwas, das in die Phantasie greift“. Briefe von Karola Bloch an Siegfried Unseld und an Jürgen Teller. 2015, 392 S., ISBN 978-3-89376-156-2. // Roland Beer, Claudia Lenz: „… denn ohne Arbeit kann man nicht leben“. Die Architektin Karola Bloch. 2022, 2 Bände, 696+4 S., ISBN 978-3-89376-187-6. // Näheres zum bebilderten Doppelband Beer/Lenz siehe: http://bloch-blog.de/denn-ohne-arbeit-kann-man-nicht-lebendie-architektin-karola-bloch/ // Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.): Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin. 2010, 392 S., ISBN 978-3-89376-073-2. // Francesca Vidal (Hg.): Bloch-Jahrbuch 2010. Experiment Welt. Zum 125. Geburtstag von Ernst Bloch – In Erinnerung an Jan Robert Bloch. 2010, 160 S., ISBN 978-3-89376-136-4. // Bücher von sowie über Karola Bloch siehe: https://bloch-blog.de/buecher-zu-karola-bloch/

„…und gibt das Hoffen nicht auf“ (Johanna Teller) – Zum Tode der Leipziger Galeristin Johanna Teller – Erinnerungen von Welf Schröter

Im Alter von 89 Jahren starb am 16. August 2023 in Leipzig die Galeristin Johanna Teller. Die Kunstkundige und Kunstvertraute, geboren am 8. Juni 1934, war jahrelang eine, wenn nicht die tragende Säule der „Galerie am Sachsenplatz“ in der Löwenstadt. Zu ihrem Netzwerk gehörten renommierte Kunstschaffende wie Wolfgang Mattheuer, Carlfriedrich Claus und Werner Tübke. Johanna Teller war Kommunikatorin, Organisatorin und antreibender Wille für eine autonome Kultur. Sie war eine außerordentliche Frau, die ein Leben lang gekämpft und gerungen hat. Ihre Liebe zur Kunst gab ihrem Handeln die Richtung.  

Ihre Eigenständigkeit und persönliche Unabhängigkeit zeigen sich in ihrem Beruf und in ihrem Zusammenleben mit ihrem Mann, dem Philosophen Jürgen Teller. Zusammen sind beide Tellers mit ihren Kindern eine innige und starke Kraft. Gemeinsam müssen sie viel erdulden und erleiden. Und doch haben sie ihre Ziele und Perspektiven. Sie stehen mutig für ihre Werte ein. Dies gilt insbesondere in der Zeit der politischen Verfolgung und der Bespitzelung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst.

Ermutigungen erhält Johanna Teller nicht nur aus der Galerie-Tätigkeit sondern auch aus der engen Freundschaft mit Ernst und Karola Bloch. Die Nähe und Intensität dieser Freundschaft offenbart sich im Briefwechsel zwischen den Tellers und den Blochs, zwischen Leipzig und Tübingen. In den heimlichen „Briefen durch die Mauer“ aus der DDR in die BRD und umgekehrt schreibt Johanna Teller unter dem Lessingschen Decknamen „Minna von Barnhelm“ schon im Juni 1969 an „Polonia“ (Karola Bloch) ihre Sehnsucht nach mehr Freiheit: „Gewiss fällt einem da manchmal die Decke auf den Kopf, die Welt erscheint nicht nur, sondern  ist auch so beengt – man führe doch gerne mal nach Honolulu oder sonst wohin. […] und gibt das Hoffen nicht auf.“ An anderer Stelle schildert im Februar 1971 „Minna von Barnhelm“ die Phasen der Mutlosigkeit in der DDR: „Manchmal sind wir sehr müde von Pachulkistan.“ Im November 1964 sieht sie die Briefverfassenden bereits als „Abgetrennte und doch so stark Verbundene“. 

In solchen Zeiten helfen die Worte aus den brieflichen Kassibern, wenn sich die Blochs – im Sinne der Solidarität – als „neue Eltern“ gegenüber ihren neuen „Adoptivkindern“ deuten. Diese Verbildlichung vermittelt den dringend benötigten Wärmestrom. Ermutigung wird auch in der Zeit nach 1989 gebraucht. Jürgen Teller sendet im Januar 1993 an Polonia: „Und Jo setzt ihre Lebenskraft mit daran, dass die Leipziger ,Galerie am Sachsenplatz‘ in diesem rigorosen Kapitalismus redivivus überleben kann.“

Die wärmenden Worte der Korrespondenz zwischen Tübingen und Leipzig veranschaulichen im Juli 1984 die Lebenskraft und den Lebensmut der Galeristin. „Polonia“ bringt ein starkes Lächeln nach Leipzig mit ihren Zeilen: „Lieber Jü, liebe Jo, es war mir eine ungewöhnliche Freude[,] Euch wiederzusehen.  Ihr alten, vertrauten Freunde, solche findet man nicht wieder. Unsere Verbindung ist ein Bund fürs Leben, ich fühle mich mit Euch geradezu verwachsen, als ob Ihr ein Stück von mir wäret. Du Jo, hast mich entzückt durch Deine Schönheit und Jugendlichkeit. Du siehst ja aus wie ein[e] 30jährige Frau, nicht wie eine Fünfzigjährige. Hast ein Elexir der Jugend getrunken. Bist auch so fröhlich und vergnügt, alle vergangenen Sorgen sind schadlos an Dir vorbeigegangen. Ich bin so froh für meinen geliebten Jü, dass er so eine wunderbare Lebensgefährtin hat. Und die Liebe scheint zu blühen wie eh und je.“

Die persönlichen Begegnungen mit Johanna Teller in Leipzig finden in den neunziger Jahren und nach der Jahrtausendwende zunächst in der alten und dann in der neuen Wohnung statt. An den Wänden hängen Originale von ihren künstlerischen Freunden. Mitten im Raum steht eine selbstsichere und ruhige Frau.

Doch ihr Leben ohne ihren vertrauten Partner Jürgen Teller, der bereits 1999 gestorben war, verliert in den darauf folgenden Jahren an Richtung. Alte Freunde sind entweder ebenfalls gestorben oder haben sich nach der „Wende“ politisch verwandelt. Sie wollen mit den früheren Lebensgeschichten nichts mehr zu tun haben. Die Bloch-Community präsentiert sich kommunikationsunfähig und blendet „die Leipziger“ aus. Dies gilt auch für mehrere andere Personen, die in DDR-Zeiten zu den Blochs halten.

Sich an Johanna Teller zu erinnern, soll heißen, ihre Arbeit und ihre großen Leistungen wertzuschätzen. An sie zu denken, bedeutet, ihr Leben dauerhaft im Bewusstsein zu halten.

Johanna Teller strahlte Selbstbewusstsein aus, war in Haltung und Worten sehr souverän. So bleibt sie im Gedächtnis. „…und gibt das Hoffen nicht auf“ (Johanna Teller).

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Lesehinweise zu den Briefwechseln zwischen Tellers und Blochs: Jan Robert Bloch, Anne Frommann, Welf Schröter (Hg.): Briefe durch die Mauer. Briefwechsel 1954–1994 zwischen Ernst und Karola Bloch sowie Jürgen und Johanna Teller. 2009, 344 Seiten, ISBN 978-3-89376-113-5. Weiterer Hinweis: Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.): „Etwas, das in die Phantasie greift“. Briefe von Karola Bloch an Siegfried Unseld und an Jürgen Teller. 2015, 392 Seiten, ISBN 978-3-89376-156-2.

Kristalle der Hoffnungen

Einladung zu fünf Online-Lesungen

Veranstaltet von der Buchzeitschrift „Latenz“ (Mössingen) und der Redaktion des „bloch-akademie-newsletters“ (Mössingen) – unterstützt von der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V. (Köln), von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (Leipzig), vom Projekt „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts online“ (Leipzig), von zeitraumort.de (Leipzig) und vom Talheimer Verlag (Mössingen)

Die Fähigkeit zu hoffen, stellt eine wesentliche Lebensbedingung des Menschen dar. Das Hoffen spiegelt nicht nur die persönliche und private Sehnsucht. Hoffnungen müssen auch enttäuscht werden, um lernen zu können. Die solcherart „belehrte Hoffnung“ eröffnet den Weg zur Humanisierung des Menschen. Hoffnungen des einzelnen Menschen können Realität werden, wenn sie sich zu gemeinsamen gesellschaftlichen Hoffnungen auf Wandel entwickeln. „Kristalle der Hoffnungen“ sind die Vorboten gesellschaftlicher Hoffnungserfüllungen. Lassen Sie uns solche „Kristalle der Hoffnungen“ in Lesungen auffinden. Dabei folgen wir den Spuren von Menschen, die ihren Hoffnungen verbunden geblieben sind. – Es sind Lesungen im Online-Format, die die Beteiligten in der Pandemie schützen und sie zugleich näher zusammen rücken lassen. Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Erste Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 22. Januar 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden
Texte aus dem Leben einer wunderbar frechen, aufmüpfigen und aufrechten Frau
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Am 22. Januar 1905 wurde die Widerstandskämpferin, Friedensaktivistin, Architektin, Anhängerin des Bauhauses, SED-Kritikerin, Unterstützerin von Solidarnosc und Jüdin Karola Bloch in der polnischen Stadt Lodz geboren. In ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ (ISBN 978-3-89376-037-4) beschreibt sie die Geschichte ihres Lebens, ihrer Hoffnungen, ihres Traumas und ihrer Tagträume. Ihre Tübinger Zeit nach 1961 wird in dem Doppelband „Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (ISBN 978-3-89376-003-9) erlebbar. Das Buch „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“ (ISBN 978-3-89376-073-2) zeichnet ihren beruflichen Weg nach. Karola Bloch starb am 31. Juli 1994 in Tübingen. – Irene Scherer und Welf Schröter, die beide Karola Bloch gut gekannt haben, lesen aus Texten, Schriften und Briefen. Siehe dazu auch das Porträt Karola Blochs im Leipziger Online-Portal „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts“.

Zweite Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Freitag 11. Februar 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

In Erinnerung an Inge Jens
„Es gibt wenige Menschen, denen ich so viel verdanke“ – Inge Jens über Hans Mayer
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter. Mit einer Einführung von Heinrich Bleicher, Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft

Inge Jens, Ehrenmitglied der Hans-Mayer-Gesellschaft, hatte in den letzten zwei Jahren an dem Entstehen einer biografisch-politischen sowie literarisch-fachlichen Annäherung an Hans Mayer mitgewirkt. In einem ausführlichen Interview schildert sie ihre Sicht auf diesen brillanten Literaten: „Die Rolle, die Literatur für ein Leben spielen kann, spiegelte sich bei Hans Mayer in seiner Existenz schon sehr deutlich und er vermittelte dies weiter. Er zeigte, dass das nicht ein Privileg nur für ihn war, sondern dass man sich um dieses Privileg bemühen kann.“ Inge Jens hatte noch den von Heinrich Bleicher für die „Hans-Mayer-Gesellschaft“ herausgegebenen Band „Der unbequeme Aufklärer – Gespräche über Hans Mayer“ (ISBN 978-3-89376-195-1) erhalten. In dem Buch äußern sich Freunde und Schüler von Hans Mayer über den in Tübingen im Jahr 2001 gestorbenen Literaturwissenschaftler und Autor. Heinrich Bleicher hat den Band Inge Jens gewidmet. Am 11. Februar 2022 wäre Inge Jens 95 Jahre alt geworden.

Dritte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 19. März 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

„Sonst ist es fein still auf dem schneebedeckten Brachland Pachulkistans“ (Jürgen Teller)
Aus dem deutsch-deutschen Briefwechsel von Johanna & Jürgen Teller (Leipzig) mit Ernst & Karola Bloch (Tübingen) – Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen
Am Geburtstag von Hans Mayer lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Autorinnen und Autoren aus dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) sowie Schreibende aus der Bildungsarbeit haben sich in Sprache und Schrift dem Thema „Widerstand“ genähert. Wie wurde Widerstand in der Literatur dargestellt? Wann ist Widerstand notwendig und legitim? Wie zeigte sich Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Was bedeutet Widerstand heute? – Der Band „,Widerstand ist nichts als Hoffnung‘ – Widerständigkeit für Freiheit, Menschenrechte, Humanität und Frieden“ (ISBN 978-3-89376-190-6) gibt in Beispielen Antworten auf diese Fragen. Einer der Beiträge beschreibt Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen und mit Jürgen Teller (dem ehemaligen Assistenten Ernst Blochs in Leipzig Mitte der fünfziger Jahre). In seinem Aufsatz analysiert Welf Schröter Karola Blochs scharfe Kritik am SED-Regime und ihre Loyalität gegenüber Jürgen Teller, der von der DDR-Staatssicherheit drangsaliert wurde.

In dem von Jan Robert Bloch, Anne Frommann und Welf Schröter herausgegebenen Band „Briefe durch die Mauer“ (ISBN 978-3-89376-113-5) wird In über 200 heimlichen Briefen die Freundschaft zwischen Blochs und Tellers zum Leben erweckt. Ein Nachtrag dazu zeigt der Band „,Etwas, das in die Phantasie greift‘ – Briefe von Karola Bloch an Siegfried Unseld und an Jürgen Teller“ (ISBN 978-3-89376-156-2).

Vierte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Mittwoch 27. April 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

„Ernst und ich identifizierten uns mit der rebellischen Jugend“ (Karola Bloch)
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus „,Lieber Genosse Bloch …‘ – Briefe von Rudi Dutschke, Gretchen Dutschke-Klotz und Karola Bloch 1968–1979“

Dieser Briefwechsel eröffnet den Blick auf eine ganz ungewöhnliche Freundschaft zwischen Personen unterschiedlicher Generationen. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch (geboren 1885) und die Polin, Architektin und Sozialistin Karola Bloch (geboren 1905) finden unter anderem über Briefe Kontakt zu dem fast um ein halbes Jahrhundert jüngeren Rebellen Rudi Dutschke, einem der bekanntesten Köpfe der Studentenbewegung von 1968. Die Briefe geben Zugang zu Denken und Handeln, zur Haltung und Moral jener Menschen, die sowohl den Krieg der USA in Vietnam wie auch den Einmarsch der Sowjetunion in Prag scharf kritisierten, die ihre Hoffnungen in die demokratischen Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“ setzten und sich vom militärischen Abenteurertum einer „Roten Armee Fraktion“ abgrenzten.

In diesem Band (ISBN 978-3-89376-001-5) wurden der Briefwechsel zwischen Gretchen Dutschke, Rudi Dutschke und Karola Bloch umfassend zusammengefügt.

Fünfte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Dienstag 24. Mai 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

Menschlichkeit als Methode – In Erinnerung an Anne Frommann
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus Anne Frommanns Werken

Die aus Zittau stammende Pädagogin hatte „ihr Buch“ selbst zusammengestellt: „Menschlichkeit als Methode“ versammelt sozialpädagogische und biografische Texte aus vierzig Jahren beruflicher Praxis und fachlicher Arbeit. Der Durchgang durch den Band beginnt biografisch und endet teilnehmend. Ausgehend von der Reform der Heimerziehung und einem neuen Verständnis des Faches Sozialpädagogik stellt Anne Frommann das „Ich“ des zu unterstützenden jungen Menschen ins Zentrum ihres Denkens und Handelns. „Menschlichkeit als Methode“ – ein Buch, das die Humanisierung des Menschen anstrebt (ISBN 978-3-89376-127-2).

Teilnahme und Anmeldung

Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Veranstaltungsübersicht siehe: www.bloch-blog.de
Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Veranstaltende sowie Partnerinnen und Partner

Redaktion „Latenz“
http://www.talheimer.de/gesamtverzeichnis.html?page=shop.browse&category_id=28

Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.
http://www.hans-mayer-gesellschaft.de/

Talheimer Verlag
www.talheimer.de/talheimer-neuerscheinungen

Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/leipziger-frauenportraets

Porträt Karola Bloch im Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/bloch-karola-geborene-piotrkowska

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.
https://www.louiseottopeters-gesellschaft.de/

Zeitraumort (Leipzig)
www.zeitraumort.de

 

Für die Humanisierung der Welt

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

„Er hat ein Leben voller Forscherdrang, Kreativität, Liebe und Hingabe geführt. Sein Werk und sein Einfluss wirken weiter.“ Mit diesen klaren wie eindringlichen Worten übermitteln die Familie und die Angehörigen von Thilo Albrecht Götze Regenbogen die traurige Nachricht seines allzu frühen Todes.Im Alter von 66 Jahren starb ein Freund, Autor, Künstler, Rechercheur und interessierter Kenner des jeweiligen Lebenswerkes von Karola Bloch und Ernst Bloch. Während Thilo noch bis zuletzt gedanklich an neuen Schaffensprozessen und Editionsarbeiten hing, gab sein Körper den Kampf auf. Thilo Götze Regenbogens Leben endete am 30. April 2015.

Neben verschiedenen künstlerischen Schwerpunkten beschäftigte sich „TGR“ mit den Lebenswegen der Hitlergegnerin Karola Bloch, mit dem Maler Ludwig Meidner und mit dem der Blochschen Philosophie nahestehenden Künstler und DDR-Kritiker Carlfriedrich Claus, mit der unermüdlichen Schaffenskraft von Joseph Beuys sowie mit dem literarisch-politischen Schaffen des DDR-Oppositionellen und Bloch-Schülers Jürgen Teller.

In seinem einschlägigen Beitrag über Karola Bloch und Ludwig Meidner schrieb er – sich selbst verortend: „Die von Jugend an künstlerisch und politisch engagierte polnische Jüdin und Widerstandskämpferin Karola Piotrkowska-Bloch (1905-1994) ist seit der Remigration in die Bundesrepublik im Jahre 1961 zusammen mit ihrem Mann, dem Philosophen und Autor einer historischen Enzyklopädie der Hoffnung Ernst Bloch (1885-1977), nicht nur zu einer Symbolfigur der Friedens- und Emanzipationsbewegung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts geworden. Beide Blochs standen für eine unabhängige undogmatische Linke und arbeiteten für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, Karola als ,die große alte Dame der Linken‘ – um mit Jürgen Teller zu sprechen.“

Thilos Herangehen an neue Fragen war offen und unkonventionell. Er liebte es, neugierig zu sein. Nach innen wie nach außen. Er wollte das Unmögliche denken, es sehnsuchtsvoll vorahnen, es erkennen. Die Blochsche Genesis am Ende des Werdens des Menschen verband er mit seiner ganz eigenen Sicht. Unvergessen bleibt seine künstlerische Präsentation im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen.

Thilo war ein Freund der humanen Emanzipation. Sein Wirken galt und gilt der Humanisierung der Welt. Jene, denen er Freund war, sind ihm dabei Freunde geblieben.

 

Vergessene Architekten

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(Foto: © Welf Schröter)

Er gehörte für Karola Bloch zur politischen Familie, auch wenn – oder auch weil – er von Stalin verfolgt wurde. Sie, die Architektin und Bauhaus-Anhängerin, freute sich, ihn zu treffen, von ihm zu hören und zu lesen. Am 18. November 2014 jährte sich der Geburtstag des Architekten und Dessauer Bauhausdirektors Hannes Meyer zum 125. Mal.

Meyer wurde von Gropius zum Bauhaus geholt und vom ihm vertrieben, weil er zu politisch, zu politisch links war. Dieses Politische in der Architektur aber, ihre ganzheitliche Gesellschaftlichkeit war es, die Karola Bloch an Meyer schätzte und der sie selbst nachfolgen wollte.

Meyer ging mit großen Erwartungen 1930 nach Moskau. Er wollte durch neues Bauen zu neuen Gesellschaften beitragen. Mit diesem Tagtraum kam Karola Bloch 1949 in die DDR nach Leipzig. Meyer floh alsbald in die Schweiz. Seine Partnerin wurde von Stalins Häschern ermordet. Karola Bloch erhielt in der zweiten Hälfte der Fünfziger-Jahre Berufsverbot in „Pachulkistan“ (so nannte der Bloch-Schüler Jürgen Teller die DDR). 1961 wechselt die Architektin von Leipzig nach Tübingen. Beide Architekten gehören heute noch immer zu den Vergessenenen in ihrem Berufszweig.

Schon 1951 schrieb Karola Bloch an Hannes Meyer in der Schweiz, er möge nicht in die DDR kommen. Die Bauhaus-Tradition sei durch den ideologischen „Formalismusstreit“ des „sozialistischen Realismus“ weitgehend getilgt worden: „Der sowjetische Prozess brauchte hier nicht zu sein“, schrieb die Polin und Jüdin kritisch über die planwirtschaftlichen Exerzitien Ulbrichts. Karola Bloch arbeitet bis zum Tätigkeitsverbot in der DDR zu Kindertagesstätten und Kinderkrippen, da es dabei „nicht so viele Schwierigkeiten zu überwinden“ gibt. Hannes Meyers Tod 1954 hat Karola Bloch schwer getroffen.

„Daß Sie zur Familie gehören, ist selbstverständlich, und ich habe stets, allen Merkers zum Trotz, zu Ihnen gehalten und Sie stolz meinen Freund genannt!“ (Karola Bloch am 21. 10. 1951 an Hannes Meyer).

 

Karola Bloch: Der unkünstlerischste Naturalismus. Brief an Hannes Meyer. In: Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.): Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin. Eine Neuentdeckung des Wirkens der Bauhaus-Schülerin. (2010) ISBN 978-3-89376-073-2

Eine nicht gehaltene Rede in der Nikolaikirche Leipzigs

Fünfundzwanzig Jahre nach dem von Montagsdemonstranten erfolgreich eingeleiteten Sturz des SED-Regimes in der DDR ist es Zeit an einen historischen Moment zu erinnern, der mit großen Emotionen vorbereitet wurde und doch nie stattfand. Es geht um eine nicht gehaltene Rede in der Leipziger Nikolaikirche.

Leipziger Nikolaikirche (Foto: © Welf Schröter)

Leipziger Nikolaikirche (Foto: © Welf Schröter)

In Tübingen fanden sich schon vor 1989 immer wieder prominente DDR-Kritiker ein, die von der StaSi bedrängt, verfolgt und letztlich aus ihren Wirkungsstätten zwangsweise ausgebürgert wurden. Karola Bloch empfing Rudolf Bahro (1935-1997), Jürgen Fuchs (1950-1999), Jürgen Teller (1926-1999) und viele mit weniger bekanntem Namen. Auch Lew Kopelew (1912-1997) und Vertreter der im polnischen Untergrund tätigen Gewerkschaft Solidarnosc traf die Architektin, Bauhausanhängerin und Antifaschistin in der Neckarstadt.

Mit großer Sympathie und Herzblut verfolgte Karola Bloch im Frühjahr, Sommer und Herbst des Jahres 1989 die Ereignisse in Leipzig. Sie stand unzweideutig auf der Seite des „Neuen Forum“ und der Montagsdemonstranten. So war es ihr eine Freude, nach dem damaligen November das Leipziger „Haus der Demokratie“ mit einer besonderen Buchspende zu unterstützen. Auf Wunsch der dortigen „Initiative für Demokratie und Menschenrechte“ sandte sie eine Gesamtausgabe der Werke Ernst Blochs für die öffentliche Bibliothek des Hauses. Die Leipziger bedankten sich: „Da es in der DDR sehr schwer ist, an die Bloch-Gesamtausgabe heranzukommen, sie ist nicht einmal in der Leipziger Universitätsbibliothek zu lesen, freut uns ihr Besitz umso mehr. Unsere Bibliothek wird von sehr vielen Leuten frequentiert, so dass sie dort allen Interessenten zur Verfügung steht.“

Wochen zuvor saßen in Leipzig Vertreter des „Neuen Forum“, von „Demokratie Jetzt“ und der örtlichen Friedensgruppe sowie einem Gast aus Tübingen im Büro von Pfarrer Christian Führer (1943-2014) zusammen. Es sollte eine Rede und Lesung Karola Blochs (1905-1994) in der Nikolaikirche im Frühjahr 1990 vorbereitet werden. Jürgen Teller, als früherer – von der StaSi verfolgter – Bloch-Assistent war als einleitender Referent vorgesehen. Die Leipziger Bürgerbewegungen wollten zu dieser Veranstaltung einladen.

Karola Bloch war von dieser Einladung sehr berührt. Sie wollte sie annehmen und sich auf die Seite der Demokratie „von unten“ stellen. Doch zu diesem Auftritt kam es nicht. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich. Die 85-Jährige konnte nicht reisen. Ein besonderer Moment in Leipzig fand nicht statt. Dieser konnte auch nicht mehr nachgeholt werden.

Schon im Herbst 1989 hatte Jürgen Teller, dem die DDR-Regierung seinen wissenschaftlichen Werdegang zerstörte, nach Tübingen geschrieben: „Karola, […], fehlt uns heute in Leipzig.“

Lesehinweis: Welf Schröter: Utopie und Moral. In: Francesca Vidal (Hg.): Wider die Regel. Mössingen 1991. S. 53-69. ISBN 978-3-89376-015-2

„Eine andere Welt ist möglich“

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Anlässlich des zwanzigsten Todestages der Architektin und aktiven Hitlergegnerin Karola Bloch (1905-1994) am 31. Juli luden der Ernst-Bloch-Chor und der Talheimer Verlag zu einem kulturellen Erinnern in den Saal des Schlatterhauses in Tübingen. Mehr als achtzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten Melodien, Rhythmen und Texte, Gesungenes und Gelesenes. Unter ihnen war auch die aus Zürich angereiste Tochter Ernst Blochs, Mirjam Josephsohn.

Unter der Leitung von Anne Tübinger präsentierte der Ernst-Bloch-Chor fünfzehn Gesänge zu den Leitmotiven Frieden, Solidarität, Utopie und Ermutigung wie etwa „Eine andere Welt ist möglich“. Dem anmutenden Lied „Ich und Du“ kam das Rezitieren unbekannter und bislang unveröffentlichter Briefe Karola Blochs sehr nahe. In einem Brief an den von der StaSi verfolgten DDR-Oppositionellen Jürgen Teller schilderte sie ihre enge Solidarität mit dem Leipziger und erzählte zudem die Geschichte, wie sich Ernst Bloch und Bert Brecht kennenlernten.

Anne Frommann von der Karola-Bloch-Stiftung sprach Passagen aus der Autobiografie der Polin und Jüdin, in denen die Autorin mit der Ermordung ihrer Angehörigen im KZ Treblinka rang. Anne Frommann ließ an anderer Stelle jenen Text wieder lebendig werden, den Karola Bloch 1988 auf dem Tübinger Marktplatz zusammen mit Christa Wolf und Mikis Theodorakis vortrug. Die Kriegsgegnerin mahnte eine Kultur des Friedens als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und die deutschen Verbrechen an.

Nach dem „Song vom besseren Leben“ und dem von Anne Tübinger arrangierten Lied „Was brauchst Du“ verlas Irene Scherer vom Talheimer Verlag „Worte des Widerspruchs“ wie etwa Karola Blochs öffentliches Eingreifen für die „Würde der Frau“ und für die Schaffung eines Tübinger Frauenhauses gegen die Gewalt von Männern. In ihrem energischen Protest gegen das damalige „Asylsammellager“ beschrieb Karola Bloch ihr Leben als Flüchtling und forderte ein würdevolles helfendes Zugehen auf jene Menschen, die zur Rettung ihres Lebens ihr Land verlassen mussten.

Als der Ernst-Bloch-Chor die Melodie Bert Brechts und Hanns Eislers von „Das Lied von der Moldau“ anstimmte, erinnerte er damit auch an die Exilzeit Karola Blochs in Prag in den dreißiger Jahren auf der Flucht vor Hitler und ihre unzweideutige Solidarität mit dem späteren „Prager Frühling“. Nach mehreren Zugaben bedankte sich das Publikum mit langanhaltendem Beifall für neunzig Minuten Berührtheit, Humor und Ermutigung.

Leipzig erinnert sich an Jürgen Teller

V.l.n.r.: Regine Möbius, Welf Schröter, Irene Scherer (Foto: © talheimer)

V.l.n.r.: Regine Möbius, Welf Schröter, Irene Scherer (Foto: © talheimer)

Für einen Abend lang schien es so, als ob Ernst und Karola Bloch, Jürgen und Johanna Teller sich im Leipziger Literaturhaus noch einmal getroffen hätten, um über scheinbar vergessene und doch noch nachwirkende Vergangenheiten zu sprechen. Der Philosoph, die Architektin und Widerstandskämpferin, der Bloch-Schüler und die Galeristin – sie hatten über mehrere Jahrzehnte Briefe von Leipzig nach Tübingen und umgekehrt ausgetauscht. In teilweise literarisch verschlüsselten „Depeschen“ sezierten die Systemgegner-Ost und die Systemgegner-West ihre Wirklichkeiten.

Nun erhielt das Quartett seine Stimmen in der Löwenstadt für Stunden zurück. Die Leipziger Autorin und stellvertretende Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS), Regine Möbius, die Verlegerin Irene Scherer und der Mitherausgeber des Bandes „Briefe durch die Mauer“, Welf Schröter, lasen aus den Korrespondenzen von „Marcion“, „Polonia“, „Major Tellheim“ und „Minna von Barnhelm“. Im zwanzigsten Jahr des Todes von Karola Bloch und im fünfundzwanzigsten Jahr der erfolgreichen Leipziger „Montagsdemonstrationen“ war dieser Abend eine Ehrung des 1999 gestorbenen DDR-Kritikers Jürgen Teller. Dessen Sohn, Hannes Teller, nahm diese Würdigung im Namen der Familie dankend entgegen.

Doch in diesem Augenblick wurden nicht nur bereits veröffentlichte Briefsentenzen zitiert. Überraschend haben sich zahlreiche neue unbekannte Briefe Karola Blochs gefunden, die erstmalig zu Gehör kamen. Jürgen Teller hatte sie – wegen befürchteter Hausdurchsuchungen der Staatssicherheit – so gut versteckt, dass sie nun erst durch Zufall gefunden wurden.

Darin schreibt Karola Bloch über prominente Freunde, politische Ereignisse der achtziger Jahre, ihre Trauer über den Tod „E.B.‘s“, die Präsenz der Shoah. Sie berichtet von den Editionsarbeiten des Bloch‘schen philosophischen Nachlasses.

Melancholisch klingen manche Zeilen, in denen sie 1984 mit ihrem letzten Wohnort fremdelt: „Drum bin ich wieder im kleinen Tübingen, das mir nie Heimat wurde. In Berlin fühle ich mich wohler, liebe halt Großstädte.“

Das Wesentliche

(Foto: © Welf Schröter)

„Du warst Sozialistin aus der Kenntnis der Welt da unten, die Du aus der Perspektive des Staubs ansahst –, Ernst eher aus planetarischer Sichtweite.“ Mit diesen Worten gratulierte dereinst Walter Jens Karola Bloch zu ihrem 85. Geburtstag. Humorvoll fuhr er fort: „Ich erinnere mich an das Jahr 1968. Es gab auch in diesem Gebäude eine Reihe von Go-In’s der Studenten bei Professoren. Ernst missbilligte das. Er fand, einen Professor stört man nicht bei der Arbeit. … Du hingegen fandest die Go-In’s ganz richtig. Die Studenten sollten ruhig kommen und die Leute mal auf Trab bringen.“

Auch der Leipziger Schüler Ernst Blochs und guter Freund der Familie, der Philosoph und Lektor Jürgen Teller, bezeugte, wie die Polin, Sozialistin, Jüdin und Architektin Karola Bloch selbstbewusst Leute mal auf Trab brachte. Er erinnerte an das Jahr 1956 in der DDR, als Karola Bloch die SED nach der militärischen Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn angriff: „Den beiden mächtigsten Parteisekretären … sagtest Du mitten ins Gesicht: ,Aber das ist ja roter Faschismus!‘ und ,Wo bleiben denn die Denkmäler für die entsetzlich vielen Opfer Stalins?‘“

Energisch war Karola Bloch 1932 als Studentin gegen den drohenden Nationalsozialismus in die damalige KPD eingetreten. Doch ihr Verständnis von Kommunismus und Sozialismus unterschied sich von den Positionen der Zentralkomitees und Politbüros. In den dreißiger Jahren war sie einerseits als Agentin „Olga“ für ihr Geburtsland Polen gegen Hitler tätig und unterstützte andererseits Parteifreunde, die von Stalins Geheimdiensten verfolgt wurden.

Als Karola Bloch vor zwanzig Jahren in Tübingen starb, ging ein nicht aufhören wollendes politisches Ringen zu Ende. Das Rebellische ihrer Jugendjahre blieb ihr erhalten. Irene Scherer zitiert sie dazu in ihrem Beitrag über Kontinuität und Bruch in „Architektin, Sozialistin, Freundin“: „Von Kindheit an war ich selbstständig. Durch mein Leben war und bin ich eine emanzipierte Frau. Das gehört zur Kontinuität in meinem Leben.“

Die schwerste Last bildete die Shoah und ihre Folgen. Karola Blochs Eltern und ein Teil ihrer weiteren Angehörigen wurden ins „Warschauer Ghetto“ verschleppt und im KZ Treblinka ermordet. Obwohl Karola Bloch nicht religiös war, hatte sie doch ihre jüdische Herkunft kulturell nie vergessen und nie geleugnet. Bis zuletzt stand eine kleine Menora in Sichtweite.

Im Sommer 1990 zog die 85-Jährige in einem Gespräch eine persönliche Bilanz. Auf die Frage, was die wichtigste Botschaft sei, die sie mit dem Wort Sozialismus verbinde, antwortete sie rauchend: „Wenn sich Menschen für etwas Positives einsetzen, so treten sie für Gleichberechtigung, Gleichverantwortung und für Gerechtigkeit ein. Darin liegt das Wesentliche. Es geht um die Würde des Menschen.“