Löwensteins, Lowes und Blochs

(Foto: © Welf Schröter)

Die einen waren Brüder, die anderen waren langjährige Freunde. Gemeinsam waren ihnen nicht nur ihre jüdische Herkunft, ihr Interesse am Bauhaus und ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Sie mussten Deutschland verlassen, um ihr Leben zu retten.

Bei den einen handelte sich um die Stuttgarter Textilinnovatoren Artur und Felix Löwenstein mit ihren Partnerinnen Flora und Helene Löwenstein, die zusammen im Jahr 1919 das schwäbische Unternehmen „Pausa“ in Mössingen gründeten. Sie verbanden das Bauhaus-Design (gegründet 1919) aus Weimar und Dessau mit modernster Stoffdrucktechnik. Ihr Erfolg, ihre antinazistische Haltung und ihr globales Denken wurden ihnen nach 1933 zum Verhängnis. Die „Pausa“ wurde enteignet, die Löwensteins von Nationalsozialisten vertrieben. Dies geschah 1936.

In Berlin war zuvor 1933 der kritische Ökonom Adolph Löwe – später Lowe – vom NS-Staat aus der Universität gedrängt. Er ging mit seiner Partnerin Beatrice Lowe, geborene Löwenstein – Schwester von Artur und Felix Löwenstein – nach Manchester. Die Lowes konnten mit Hilfe englischer Freunde 1936 Felix und Helene Löwenstein in die britische Textilmetropole in Sicherheit bringen.

Von Prag aus retteten sich Ernst und Karola Bloch rechtzeitig vor den heranrückenden deutschen Truppen über Polen in die USA. Die Architektin und Bauhaus-Anhängerin Karola Bloch hatte in der Moldaustadt mit der Bauhäuslerin Friedl Dicker ein gemeinsames Design-Büro. Friedl Dicker hatte zuvor unter anderem für die Löwensteinsche „Pausa“ gearbeitet.

In die USA emigrierten auch die Lowes. Sie gehörten zu den engsten Freunden der Blochs. So fanden sich an der amerikanischen Ostküste die Blochs, die Lowes und Teile der Löwensteins.

Rund achtzig Jahre danach gab der Löwenstein-Forschungsverein nun den Anstoß zur Gründung einer „Forschungs- und Archivstelle Artur und Felix Löwenstein“, in der unter anderem auch das Zusammenwirken der Blochs, Lowes und Löwensteins untersucht werden soll. Aus mehreren Kontinenten haben sich 34 Nachkommen der Familie Löwenstein gefunden, die dieses Vorhaben unterstützen. Zu den Unterstützern des Löwenstein-Forschungsvereins gehörte auch der im Jahr 2010 gestorbene Jan Robert Bloch, Sohn von Ernst und Karola Bloch.

„Es ist die Aufgabe einer klugen Gedenkarbeit, an die Schrecken der Shoah zu erinnern und zugleich das Unabgegoltene und Unaufgehobene, die verschütteten Tagträume früherer Zeiten und Generationen in das heutige Bewusstsein zurückzuholen“, betonte Welf Schröter, neben Irene Scherer Mitinitiator der „Forschungs- und Archivstelle Artur und Felix Löwenstein“, anlässlich seines 60. Geburtstages.

Von Prag nach New York

Vor 75 Jahren – am 15. März 1939 – ließ der NS-Staat seine Wehrmachtstruppen in die Tschechoslowakei – in Prag – einmarschieren. Prag sollte ein Ort des „Dritten Reiches“ werden. Kaum war die SS auf dem Wenzelsplatz angekommen, startete die Gestapo die „Aktion Gitter“. Mehr als eintausend politische Emigranten und Hitlergegner wurden verhaftet. Seit 1933 waren Schriftsteller, Intellektuelle, jüdische Oppositionelle, Freunde des Bauhauses in die Moldaustadt geflohen, um der Verfolgung der Nazis zu entgehen.

Unter den Emigranten befanden sich auch Ernst und Karola Bloch. Ihr Sohn Jan Robert Bloch wurde in Prag geboren. Die Architektin und politische Aktivistin Karola Bloch hatte ausreichend Praxis- und Lebenserfahrung gesammelt, um rechtzeitig zu erkennen, dass ein drohender Einmarsch deutscher Militärverbände für sie Gefahr an Leib und Leben bedeutete. Sie drängte zum Aufbruch und stellte die Koffer bereit. Noch immer hält sich heute unter Bloch-Freunden die Anekdote, dass Ernst Bloch damals in Prag unwillig die Kofferpackerei verfolgte und wiederholt fragte: „Wieso müssen wir weg?“ Die Blochs reisten ins polnische Gdynia und verließen am 3. Juli 1938 per Schiff den europäischen Kontinent in Richtung der Freiheitsstatue in New York.

Ernst Bloch hatte erst viel später vollständig begriffen, was Karola Bloch vollbracht hatte. Er widmete ihr ein weiteres Mal einen seiner philosophischen Werkbände. Zu Beginn von „Tendenz – Latenz – Utopie“ heißt es: „Für meine Frau Karola, Mann und Werk vor den Nazis rettend“. In den USA schrieb Bloch sein philosophisches Hauptwerk.

Als in der Tübinger Zeit nach 1961 Professoren, Journalisten und Bekannte die Blochsche Wohnung besuchten, wollten die meisten in Karola Bloch nur eine Frau an seiner Seite erkennen, eine unscheinbare Hausfrau. Doch die aktive jüdische Widerstandskämpferin Karola Bloch war in den dreissiger Jahren unter dem Decknamen „Olga“ durch den SS-Staat gereist, um Gleichgesinnte gegen Hitler zu unterstützen. Unter Einsatz ihres Lebens spürte sie hautnah die Gefahr. Ihre Lebensklugheit retteten Mann, Sohn, philosophische Manuskripte und sie selbst. Karola Blochs Familie blieb in Europa und wurde im KZ Treblinka ermordet.

Das Wesentliche

(Foto: © Welf Schröter)

„Du warst Sozialistin aus der Kenntnis der Welt da unten, die Du aus der Perspektive des Staubs ansahst –, Ernst eher aus planetarischer Sichtweite.“ Mit diesen Worten gratulierte dereinst Walter Jens Karola Bloch zu ihrem 85. Geburtstag. Humorvoll fuhr er fort: „Ich erinnere mich an das Jahr 1968. Es gab auch in diesem Gebäude eine Reihe von Go-In’s der Studenten bei Professoren. Ernst missbilligte das. Er fand, einen Professor stört man nicht bei der Arbeit. … Du hingegen fandest die Go-In’s ganz richtig. Die Studenten sollten ruhig kommen und die Leute mal auf Trab bringen.“

Auch der Leipziger Schüler Ernst Blochs und guter Freund der Familie, der Philosoph und Lektor Jürgen Teller, bezeugte, wie die Polin, Sozialistin, Jüdin und Architektin Karola Bloch selbstbewusst Leute mal auf Trab brachte. Er erinnerte an das Jahr 1956 in der DDR, als Karola Bloch die SED nach der militärischen Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn angriff: „Den beiden mächtigsten Parteisekretären … sagtest Du mitten ins Gesicht: ,Aber das ist ja roter Faschismus!‘ und ,Wo bleiben denn die Denkmäler für die entsetzlich vielen Opfer Stalins?‘“

Energisch war Karola Bloch 1932 als Studentin gegen den drohenden Nationalsozialismus in die damalige KPD eingetreten. Doch ihr Verständnis von Kommunismus und Sozialismus unterschied sich von den Positionen der Zentralkomitees und Politbüros. In den dreißiger Jahren war sie einerseits als Agentin „Olga“ für ihr Geburtsland Polen gegen Hitler tätig und unterstützte andererseits Parteifreunde, die von Stalins Geheimdiensten verfolgt wurden.

Als Karola Bloch vor zwanzig Jahren in Tübingen starb, ging ein nicht aufhören wollendes politisches Ringen zu Ende. Das Rebellische ihrer Jugendjahre blieb ihr erhalten. Irene Scherer zitiert sie dazu in ihrem Beitrag über Kontinuität und Bruch in „Architektin, Sozialistin, Freundin“: „Von Kindheit an war ich selbstständig. Durch mein Leben war und bin ich eine emanzipierte Frau. Das gehört zur Kontinuität in meinem Leben.“

Die schwerste Last bildete die Shoah und ihre Folgen. Karola Blochs Eltern und ein Teil ihrer weiteren Angehörigen wurden ins „Warschauer Ghetto“ verschleppt und im KZ Treblinka ermordet. Obwohl Karola Bloch nicht religiös war, hatte sie doch ihre jüdische Herkunft kulturell nie vergessen und nie geleugnet. Bis zuletzt stand eine kleine Menora in Sichtweite.

Im Sommer 1990 zog die 85-Jährige in einem Gespräch eine persönliche Bilanz. Auf die Frage, was die wichtigste Botschaft sei, die sie mit dem Wort Sozialismus verbinde, antwortete sie rauchend: „Wenn sich Menschen für etwas Positives einsetzen, so treten sie für Gleichberechtigung, Gleichverantwortung und für Gerechtigkeit ein. Darin liegt das Wesentliche. Es geht um die Würde des Menschen.“

Verstrickt ins Hier

(Foto: © Welf Schröter)

Im Jahr 1926 wurden sie Freunde, der Soziologe und Geschichtsphilosoph Siegfried Kracauer und der Philosoph Ernst Bloch. Während „Krac“ – wie ihn später Karola Bloch freundlich nannte – sich mehr dem Frankfurter Institut für Sozialforschung um Theodor Adorno annäherte, wandte sich Bloch mehr dem Marxschen Denken und dem Materialismus zu. Verbunden hatte beide Denker das Ringen um Entzauberung und Entmythologisierung im gesellschaftlichen Diskurs.

Im Jahr der beginnenden Freundschaft zu Ernst Bloch schreibt Kracauer 1926 an diesen: „Gerade das Entschleiern und Bewahren zusammen erscheint auch mir als das von einem letzten Aspekt aus Geforderte, und als großes Motiv dieser Art von Geschichts-Philosophie würde ich das Postulat ansprechen, daß nichts je vergessen werden darf und nichts, was unvergessen ist, ungewandelt bleiben darf.“

Zu Ernst Blochs 80. Geburtstag am 8. Juli 1965 pointiert Kracauer: „Daher meine Überzeugung, daß einer, der nicht verstrickt ins Hier ist, niemals in ein Dort gelangen könne.“

Kracauer – wie Bloch aus einem jüdischen Elternhaus kommend – flieht vor den Nazis nach Amerika. Auf eigene Weise hatte er die Gründe für die Machtbasis Hitlers vor allem in der sich verändernden ökonomischen Lage der Angestellten analysiert. Anders als Bloch will Kracauer nach 1945 nicht mehr in das Nachkriegsdeutschland zurückkehren. Er bleibt in den USA.

Doch die Freundschaft zwischen Siegfried und Lili Kracauer sowie Ernst und Karola Bloch bleibt herzlich und humorvoll leicht. Schmunzelnd formuliert Karola Bloch in ihrem Brief vom 21. Juni 1962 Richtung USA: „Die Männer habens besonders leicht – sie altern ja gar nicht.“

Am 8. Februar 2014 jährt sich Siegfried Kracauers Geburtstag zum 125. Mal.

(Näheres zu Kracauer siehe: http://www.polunbi.de/pers/kracauer-01.html)

Unabgegoltenes Erinnern

Lew Kopelew trifft Karola Bloch (Foto: © Welf Schröter)

Wer sie hören wollte, konnte sie hören, die Mahnungen des Schriftstellers Lew Kopelew an seine deutschen Leserinnen und Leser. Unaufhörlich sprach und schrieb der Mann, der unfreiwillig sein Russland in Richtung Deutschland verlassen musste, über die besondere Bedeutung des deutsch-russischen bzw. russisch-deutschen Verhältnisses für die friedliche Entwicklung des europäischen Hauses. Nachhaltigen Frieden in Europa werde es nur auf der Basis des wechselseitigen Dialoges und Verständnisses zwischen der russischen und deutschen Kultur geben. Die Überwindung deutscher Russophobie und russischer Deutschfeindlichkeit seien dafür eine zwingende Notwendigkeit. Kopelew betonte dies lange vor Gorbatschows Perestroika und lange vor dem Fall der Mauer.

Für Lew Kopelew gehörte auf deutscher Seite dazu, öffentlich Verantwortung für die unermesslichen Verbrechen des Nationalsozialismus an der russischen Bevölkerung zu übernehmen. Wer noch zu Zeiten der Sowjetunion mit dortigen jungen Menschen reden konnte, spürte deren Sorge und deren Vorbehalte gegen Deutsche. Das Trauma des Überfalls auf die Sowjetunion war unter Russen nicht nur bis zum Ende des 20. Jahrhunderts unabgegolten aktuell. Zu den schlimmsten Auswüchsen nationalsozialistischen Terrors ist die schier endlose Belagerung der Stadt Leningrad zu rechnen.

Lew Kopelew, den Karola Bloch schätzte und in Tübingen traf, hätte sicherlich mit großer Dankbarkeit und Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass am 27. Januar 2014, dem offiziellen bundesdeutschen Auschwitzgedenktag und zugleich 70. Jahrestag der Durchbrechung des NS-Belagerungsringes um Leningrad durch die Rote Armee ein russischer Schriftsteller und zugleich Überlebender jenes deutschen Verbrechens im Deutschen Bundestag sprechen konnte.

Daniil Granin tritt im Alter von 95 Jahren an das Parlamentsmikrofon in Berlin. Er gehörte zu den Eingeschlossenen, die 900 Tage von der Wehrmacht angegriffen wurden. Hitler wollte Leningrad als Ausgangspunkt der Oktoberrevolution Lenins aushungern und dem Erdboden gleichmachen lassen. Über eine Million Menschen starben in der umzingelten Stadt. In schlimmsten Zeiten verhungerten über dreitausend Frauen und Männer pro Tag.

Zu den belagerten Bürgern jener Jahre gehörte auch der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch. Er schrieb in Leningrad im Angesicht von Hitlers Truppen seine “Leningrader Symphonie” (1941) und führte sie 1942 zur Ermutigung der Eingeschlossenen damals in der umringten Metropole auf. Musik gegen Hunger.

Viele Jahre und Jahrzehnte sei es ihm unmöglich gewesen, auf Deutsche zuzugehen oder ihnen gar zu verzeihen. Granin drückt aus, was viele Bürgerinnen und Bürger im heutigen St. Petersburg erwarten: Die offizielle deutsche Politik solle endlich erkennbar Verantwortung übernehmen und die Belagerung Leningrads als das benennen, was es war: Ein Verbrechen. Bitter erinnert er an das damalige Leid: „Der Tod war jemand, der schweigend seine Arbeit tat in diesem Krieg.“

Über Jahrhunderte sorgten die sich wandelnden Ängste zwischen Russen und Deutschen für Spannung oder Entspannung auf dem europäischen Kontinent. Gegenwärtig tritt hinter berechtigter Kritik an der Putinschen Politik der historisch-unaufgehobene Schatten alter Russophobie hervor. Stigmatisierende Fremdenbilder aus alten Zeiten wirken ungleichzeitig in unsere gegenwärtige Wahrnehmung. Noch nicht abgegoltene Schichten tradierten Bewusstseins reden uns ein, die europäische Moderne und die Kultur endeten vor der russischen Staatsgrenze. Lew Kopelew wäre entsetzt und wiederholte seine Mahnungen.

Durch sein Auftreten vor dem Deutschen Bundestag hat Daniil Granin einen öffnenden Kontrapunkt gesetzt. Seine Worte wirken im Geiste Lew Kopelews. Es liegt an uns, ob wir bereit sind zu- und hinzuhören.

 

We shall overcome

Ein Denkender (Foto: © Welf Schröter)

Lange bevor die Rolling Stones mit ihren Songs „Streetfighting Man“ und „Sympathy for the Devil“ die braven Tanzschulen durcheinander brachten, lange bevor John Lennon mit den Beatles „Revolution“ sang, lange bevor The Cream, Jerry Garcia und die „Greatful Dead“, Miriam Makeba, Janis Joplin, Jimi Hendrix, MC5, Frank Zappa und die „Mothers of Invention“, Bruce Springsteen, John Lee Hooker, Bob Dylan („Blowin’ in the Wind“) mit ihren politisch-lyrisch-musikalischen Botschaften ihre Zuhörer inspirierten und aufrüttelten, war jener Sänger mit Leidenschaft und politischer Parteilichkeit sowie seinen selbst geschriebenen bzw. bearbeiteten Songs solidarisch bei jenen, die seine Stimme brauchten: Pete Seeger, brillanter Musiker, aufrührerischer Songwriter, Gewerkschafter und Menschenfreund sang für Benachteiligte, an den Rand der Gesellschaft Gedrängte, streikende Arbeiter, rebellierende Schwarze, Umweltschützer, Kriegsgegner, Pazifisten. Seine Waffen waren sein Banjo, seine Stimme, sein Verstand und sein Herz.

Sein künstlerischer Kommunismus kam Ernst Blochs „Aufrechtem Gang“ sehr nahe. Sein „Noch-Nicht“-Song – auf der Basis eines alten Gospelstücks – „We shall overcome“ wurde in seiner Version und der Neuaufnahme durch die Sängerin Joan Baez zum Leitmotiv der Jugendrevolte der sechziger und siebziger Jahre gegen den Vietnamkrieg, gegen Rassismus und Unterdrückung. Ähnlich wie Ernst Bloch wurde Pete Seeger vor den McCarthy-Ausschuss gegen unamerikanische Umtriebe zitiert. Ein langes Radio- und Medienverbot und ein Urteil über zehn Jahre Gefängnis machten ihn bei den späteren Berkeley-Rebellen erst richtig populär. Für ihn galt ein Motto, nach dem Karola Bloch, – die zeitweise ebenso wie Pete Seeger in der amerikanischen KP war –, ihr Leben ausrichtete: „Ich gehe zu jenen, die mich brauchen, nicht zu denen, die ich brauche.“

Einer von Pete Seegers bekanntesten Protestsongs „Where have all the Flowers gone“ wurde für viele junge Männer Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in Europa zu einem markanten Aufruf, sich pazifistisch dem Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Seine nüchterne unprätentiöse Stimme, sein bescheidenes Auftreten, seine Klarheit der Aussage waren für junge Ohren im Lande des Heintje- und Roy-Black- und Egerländer-Kitsches eine Initialzündung, die konsequent hinüberleitete zu den bitteren bluesnahen Antikriegsstücken von Jimi Hendrix wie „The Star Spangled Banner“ und „Machine Gun“.

Pete Seeger ist am 27. Januar 2014 im Alter von 94 Jahren gestorben. Er wollte mit seinem Leben der Gerechtigkeit mehr Einfluss verschaffen. Er forderte von seinen Zuhörenden vor allem eines: Mut zur Einmischung, denn „This Land is your land“ (Pete Seeger). Dieser Imperativ ist mit seinem Tod nicht erloschen.

Warum Mandela nicht nach Tübingen kam

Textauszug Karola Bloch (Sehnsucht I, 142)

Wie Martin Luther King hatte auch Nelson Mandela einen Traum, einen Tagtraum. Mandela sah eine afrikanische Gesellschaft entstehen, die er hoffend als „Regenbogen-Nation“ bezeichnete. Ähnlich wie Kings Traum von der gemeinsam-wechselseitigen Emanzipation von Schwarz und Weiß in den USA.

Mandela war Jurist. Er war in seiner Wahrnehmung den gesellschaftlichen Prozessen weit voraus. Er wollte Selbstbefreiung hin zu einer gleichberechtigten Versammlung der Citoyennes und Citoyens in einem Staat der gesicherten demokratischen Rechte aller. Sein Tod im Alter von 95 Jahren am 5. Dezember 2013 hinterlässt zwar eine errungene politisch verankerte Richtung der Entwicklung, aber dennoch mit großem unabgegoltenem „Noch-Nicht“:  „Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses. […] Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermaßen ihrer Menschlichkeit beraubt.“ (Aus seiner Autobiografie)

Jahre und Jahrzehnte gab es ein weltweites Ringen um die Freilassung des Bürgerrechtlers und bekanntesten Mitglieds des African National Congress. Auch in Tübingen sprachen sich viele Personen für seine Befreiung aus. Zu ihnen zählte unter anderem die Architektin Karola Bloch: „Die verbrecherische Regierung dieses Landes, den Schöpfern der Apartheid, muss von allen rechtschaffenen Menschen geächtet werden.“

Im Juni 1985 – anlässlich des 25. Jahrestages der blutigen Niederschlagung des schwarzen Aufstandes von Sharpeville 1960 – brachte ein Doktorand der Geschichtswissenschaft den Antrag in den Senat der von Studierenden in „Ernst-Bloch-Universität“ umbenannten Alma Mater ein, den bekanntesten Juristen Südafrikas, den jahrzehntelang mit der Häftlingsnummer 46664 gefangen gehaltenen Rechtswissenschaftler Nelson Mandela, an die Universität Tübingen einzuladen, ihn mit einer Ehrung der juristischen Fakultät zu begrüßen und ihm den Campus als Ort der öffentliche Rede anzubieten. Diese symbolische Einladung an einen Inhaftierten sollte – im 100. Geburtsjahr Ernst Blochs – ein Zeichen zivilgesellschaftlicher Verbundenheit und Solidarität setzen. 

Der damalige Präsident der Hochschule, Adolf Theis, zugleich Vorsitzender des Senats, schloss sich diesem Anliegen grundsätzlich an. Das Gremium beschloss mit Mehrheit, die öffentliche Einladung an Nelson Mandela auszusprechen und Vertreter der Professorenschaft zu beauftragen, die Einladung zu überbringen.

Doch die Vertreter der damaligen Professorenschaft stießen auf so viele eigene Hemmnisse, dass es nie zur Einladung an Nelson Mandela kam. So mancher wollte damals in ihm noch immer einen Gewalttäter und Terroristen sehen. Die 508-jährige Universität Tübingen hatte eine große Chance der Selbstkorrektur verpasst.

Nelson Mandelas Tagtraum ist derweil von einem afrikanischen zu einem globalen Tagtraum geworden. Dessen Realisierung erfordert Zivilcourage und solidarisches Agieren. Noch heute.

„Ich komme aus der Hölle“

Foto: © Welf Schröter

Mit diesen Worten eröffnete Fritz Bauer einen seiner eindrücklichen öffentlichen Vorträge, die er in einer Zeit hielt, als in Frankfurt der Auschwitz-Prozess lief. Fritz Bauer, der Citoyen, der Bürgerrechtler und Rechtsstaatler, der Radikaldemokrat und hessischer Generalstaatsanwalt hatte es geschafft, dass am 20. Dezember 1963 der erste große Auschwitz-Prozess gegen die KZ-Mörder begann, beginnen konnte. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn heute – 50 Jahre danach – einen jüdischen Deutschen, der nicht Rache sondern Recht wollte.

Bedrängt, bedroht und beharrlich bereitete Bauer gegen die damalige Richterschaft die Durchführung des Prozesses vor.  Er wollte Recht, er wollte Wahrheit, er wollte Wissen. Mit seinem Prozess schrieb er Justizgeschichte. Mehr noch, er war davon überzeugt, dass ohne Kenntnis des Holocaust und ohne Auseinandersetzung mit der Shoah sich ein selbst tragendes wirklich demokratisches Gemeinwesen dauerhaft nicht halten könne. Fritz Bauer schrieb damit ein Stück Demokratiegeschichte.

„Ich komme aus der Hölle“. Mit diesen Worten beschrieb er die Aussagen und Schilderungen der Überlebenden des KZ’s. Die Zeugen erzählten erstmals öffentlich in einem bundesdeutschen Nachkriegsgerichtssaal das unbeschreibliche Grauen des Holocaust. Die Sätze der Menschen, die nach Jahren erstmals wieder mit ihren Peinigern in einem Raum waren, offenbarten den Medien Leidensgeschichten, die schon von den Journalisten, Staatsanwälten und Zuhörern kaum auszuhalten waren. Die Last der Schilderungen empfand Fritz Bauer als „Hölle“. Doch um wieviel schlimmer war es für die Überlebenden, die diese Schrecken unentrinnbar ihr Leben lang als gleichzeitig ungleichzeitige Erfahrung in sich trugen, ertrugen und oft nicht mehr ertrugen. Fritz Bauer gab den Opfern einen Teil ihrer Würde zurück.

Im Juli 1968 skizzierte ihn die ZEIT anlässlich der unerwarteten Nachricht seines Todes posthum mit den Worten: „Mit seinem über die Jahre hinaus zerfurchten Gesicht, seinen flammenden, weißen Haaren, seiner rauhen, stoßartigen Stimme wirkte er auf den ersten Blick wie ein Patriarch, ein Prophet der Aufklärung: etwas von Ben Gurion, etwas von Ernst Bloch, ganz ins Pragmatische gewendet.“ Er war ein Verfechter der Verteidigung der Würde des Menschen. Darin war er sich mit Karola Bloch einig.

„Es möchte unsere kriminalrechtliche und kriminal-politische Aufgabe sein, zunächst einmal die autoritären Schlacken vergangener und jüngster Jahrzehnte zu beseitigen, um aus Demokraten des Wortes Demokraten der Tat zu werden.“ (Fritz Bauer 1958)

Heute – 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess – möchte man innehalten, sich zurücklehnen und sagen, Fritz Bauers Arbeit wurde von seinen politischen und juristischen Enkeln erfolgreich zu Ende geführt. Doch das Unaufgeklärte, Ungerichtete und ungleichzeitig Unabgegoltene ist noch immer präsent und wirksam. Die „Zweite Generation“ und die „Dritte Generation“ der Shoah-Getroffenen ringen noch immer um Wahrheit und um weitere Brocken der Würde.

Dagegen wächst bei so manchem Vertreter der sonst immer so aufklärerisch-aufmerksamen Neuen Linken eine „moderne“ Haltung des akademischen Schlussstrichs. Die Thematisierung der Shoah sei unwissenschaftlich geworden. Denn: Damit mache man keine Karriere im Wissenschaftsbetrieb.

Der Wissenschaftler und Jurist Fritz Bauer wußte dies auch schon. Aber genau deshalb tat er, was er tat.

Respekt für Marcel und Tosia Reich-Ranicki

Steinbild auf dem Denkmal für den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. (Foto: © Welf Schröter)

Nachdem sich der Schriftsteller und Bloch-Freund Erich Loest kürzlich das Leben nahm, erreicht uns nun die Nachricht vom Tode Marcel Reich-Ranickis. Der Literaturkritiker starb im Alter von 93 Jahren. Wer die Gelegenheit hatte, ihn persönlich als Dozenten an der Universität Tübingen Mitte der siebziger Jahre zu erleben, war beeindruckt von seiner Belesenheit, Detailkenntnis und mutigen Kommentierungslust.

Nicht immer konnte man als junger Student den assoziativen Gedankensprüngen so schnell folgen, wie Reich-Ranicki die Spuren der Literaturgeschichte wechselte. Doch überzeugte er seine antiautoritäre Zuhörerschaft durch seine persönliche Glaubwürdigkeit.

Seine Lebensgeschichte unterschied ihn von den braunen Schatten so mancher Hochschullehrer. Marcel und Tosia Reich-Ranicki pflegten ihre Beziehung zu den Blochs. Denn die bittere Erinnerung an das Furchtbare des Warschauer Ghettos, aus dem heraus die Ranickis fliehen konnten und in dem Karola Blochs Angehörige bis zu ihrer Ermordung im KZ Treblinka leiden mussten, verband die beiden Familien. In ihrem langen Brief vom 1. März 1979 an ihren Sohn Jan Robert Bloch erwähnt Karola Bloch ihre Kontakte mit den Ranickis (abgedruckt im Buch „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“(2010)):

„Unlängst war Frau Reich-Ranicki bei mir, die auch im Warschauer Ghetto war, und sie sagte, dass es in dieser grauenhaften Umgebung viele künstlerische Darbietungen gab: wunderbare Konzerte, Bilder-Ausstellungen, Theater usw. Erstaunlich. Was der Mensch alles vermag.“

Auch Karola Blochs Schwägerin, die Tänzerin und Schülerin Mary Wigmans, Andziula Tagelicht, trat im Ghetto auf und gab Unterricht für Kinder. Sie wurde im KZ umgebracht.

Dem Lebenswerk von Marcel und Tosia Reich-Ranicki gilt Respekt.

Erich Loest nahm sich das Leben

Um die Nikolaikirche in Leipzig drehten sich Erich Loests Gedanken. (Foto: © Welf Schröter)

Im Alter von 87 Jahren hat sich der Schriftsteller und langjährige Vorstand und Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) Erich Loest das Leben genommen. Von schwerer Krankheit belastet stürzte er sich in Leipzig aus dem Fenster der Universitätsklinik. Einige Jahre zuvor verkündete er das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit, obwohl er täglich weiterhin seine Gedanken aufschrieb.

Loest war durch den Zweiten Weltkrieg Kommunist geworden und trat als junger Mensch in die SED ein. Er setzte Hoffnungen auf die DDR. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni und der Einmarsch der Panzer 1956 gegen die ungarische Revolution entzweiten ihn vom Staatsozialismus, der doch nur vorgab, einer zu sein. In einer Zeit, als die SED gegen Ernst Bloch, Karola Bloch und Wolfgang Harich wie auch gegen Gerhard Zwerenz massiv vorging, wurde auch Erich Loest zu den „Staatsfeinden“ um dem vermeintlichen „Bloch-Kreis“ gerechnet. Er bezahlte dies mit sieben Jahren Zuchthaus in Bautzen. Erich Loest verliess 1981 verbittert die DDR.

Aber er blieb ein aufrechter Rebell, Kritiker, Mahner und Ankläger unmenschlicher und undemokratischer Zustände. Seine Sympathien galten den Montagsdemonstrationen und dem „Neuen Forum“. Erich Loest sah eine seiner wichtigen Aufgaben in einem ehrlichen Dialog mit der polnischen Gesellschaft. Im Gespräch zwischen polnischen und deutschen Schriftstellern suchte er Annäherung ohne Vergessen.

Die Leipziger Schriftstellerin Regine Moebius fasste die Arbeit Loests in eigene Worte: »Wir alle verlieren mit Erich Loest einen Schriftsteller und Kulturpolitiker, der die persönlichen gesamtdeutschen Erfahrungen vor dem Mauerbau, während der Zeit der problematischen Kontakte durch eine ideologische und reale Mauer hindurch zum Anlass genommen hat, konstruktiv mit einer neuen Chance umzugehen und anstehenden Dialogen nicht auszuweichen«.

In den achtziger Jahren reiste er auch nach Tübingen. Er schätzte das Werk Ernst Blochs und die Lebensleistung Karola Blochs, mit der er freundschaftlich verbunden war und die er in Tübingen wiedertraf, wie er es in einem Interview mit Welf Schröter damals ausgiebig erläuterte. Mehrfach war er auf Buchmessen zu sehen, wo er alte und neue Freunde fand. Sein Leipzig, seine Achtung vor den Blochs und sein minutiöses Gedächtnis waren stets präsent. Erich Loest war ein Schriftsteller, der in seinen Werken dem Blochschen Denken verwandt blieb.