„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (III) – Vortrag zu Richard Schmid

Oberlandesgerichtspräsident Richard Schmid (1899 – 1986) – ein Radikaler in öffentlichen Dienst

Einladung vom Vortrag am 24. November in Stuttgart um 18.00 Uhr: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Nachdenken über den Rechtsstaat“ zur Ausstellung „NS-Justiz in Stuttgart“ referiert Hans-Ernst Böttcher, Präsident des Landgerichts Lübeck i. R. über Richard Schmid (1899 – 1986): Oberlandesgerichtspräsident Richard Schmid (1899 – 1986) – ein Radikaler in öffentlichen Dienst“.

Siehe: https://30tageimnovember.de/

Die Justiz in Westdeutschland bestand nach 1945 fast ausschließlich aus Richtern und Staatsanwälten, die schon vor 1945 im Dienst waren. Eine Ausnahme war Richard Schmid (1899 – 1986). Als Rechtsanwalt in Stuttgart war er während der Nazidiktatur als Verteidiger in Kontakt mit verfolgten Sozialisten und Kommunisten und schließlich selbst Mitglied einer Widerstandsgruppe der illegalen Sozialistische Arbeiterpartei. Er erlitt Konzentrationslager und drei Jahre Zuchthaus. 1945 wird Richard Schmid Generalstaatsanwalt, 1953 kurz Justizminister und schließlich bis 1964 Oberlandesgerichtspräsident in Stuttgart.

Richard Schmid war ein Meister des Wortes, juristisch wie literarisch. Er war bis kurz vor seinem Tod schriftstellerisch und journalistisch aktiv, in der juristischen Presse ebenso wie in allgemeinen Zeitungen und Zeitschriften und im Funk. Wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten gehen auf Richard Schmid zurück.

Hans-Ernst Böttcher kannte Richard Schmid seit 1976 noch persönlich gut; er berichtet von Leben und Werk und würdigt dessen bleibende Verdienste. Er zeigt, dass die verfassungsrechtlichen Anregungen Richard Schmids heute mehr denn je Grundlagen für eine demokratiegeleitete Anwendung und Auslegung der Gesetze und für ein klares ‚Nein!‘ gegen jede Form des Auflebens von Alt- und Neonazismus sein können.

Die Ausstellung „NS-Justiz in Stuttgart“ im Landgericht Stuttgart dokumentiert die nationalsozialistische Strafjustiz und die Radikalisierung der Urteilspraxis von 1933 bis 1945.

Die Dokumentation beleuchtet u.a. auch die Biografien der Richter und Staatsanwälte des Sondergerichts und der Strafsenate des Oberlandesgerichts, die an Todesstrafen mitwirkten. Die meisten machten ab 1950 wieder Karriere im Justizdienst.

Weitere Informationen zur Ausstellung: www.hdgbw.de/ausstellungen/projekte/

Die Veranstaltungsreihe will Fragestellungen der Ausstellung durch weiterführende Vorträge u. ä. aufgreifen und vertiefen. Dabei sollen nicht nur historische Teilaspekte und der Umgang mit der NS-Vergangenheit der Justiz Thema sein, sondern der Blick soll auch auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen des Rechtsstaats gerichtet werden.

Eingang zur Veranstaltung über Archivstraße 15 A/B.

 

„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (II) – Eines der Motive

Dieser Ausruf des französischen Résistance-Kämpfers René Char bildet das Leitmotiv der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „30 Tage im November“, womit der Wert der Menschenrechte gegen Intoleranz und Rassismus, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verteidigt wird.

Über 200 Organisationen laden zu mehr als 100 Veranstaltungen ein. Widerstand gründet in Hoffnung. Widerstand begründet Hoffnung. Widerstand gegen Unrecht muss auf Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit beruhen. Unser Widerstand basiert auf Demokratie und will die weitere Demokratisierung der Demokratie. Bloßer Widerstand gegen Unrecht als Kritik reicht nicht aus. Es bedarf des Widerstands für eine die soziale Gleichberechtigung einlösende Zivilgesellschaft, für die Umsetzung der Tagträume einer besseren Welt.

Das von Heinrich Bleicher mitedierte Buch „Widerstand ist nichts als Hoffnung“ fordert zur Widerständigkeit für Menschenrechte, Humanität und Frieden auf. „30 Tage im November“ versteht sich zugleich auch als ein Lernort der Geschichte: Erinnerungskultur stärkt Demokratie. Zeigen wir unseren Mut zu neuer Hoffnung, hier unter uns und für uns sowie als Solidarität mit Geflüchteten und Verfolgten. Es geht um „die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (Karola Bloch).

Siehe: https://30tageimnovember.de/

 

„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (I) – Ein Konzept

30 Tage im November – Vom Wert der MenschenRechte – Öffentliche Veranstaltungsreihe vom 27. Oktober bis 04. Dezember 2022

Siehe: https://30tageimnovember.de/

Der Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, wohin Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit führen können. Heute gilt es mehr denn je, Wissen und Werte zu vermitteln, die uns befähigen, Frieden, Demokratie und Freiheit immer wieder neu zu fordern, zu bewahren und die Allgemeinen Menschenrechte zu verteidigen!

Erinnerungskultur stärkt die Demokratie: Unsere Initiative versteht sich als ein Lernort der Geschichte. Das Neue darf das Alte nicht verdecken, wenn es gilt, die Geschichte zu verstehen und unsere Gegenwart zu gestalten: An Morgen erinnern.

Die AnStifter laden Kulturinitiativen, KünstlerInnen, Kinos und Theater, Büchereien, Schulen und Unis, Kirchen und Gewerkschaften, Verbände sowie die Stadtgesellschaft zum Mitmachen ein: als VeranstalterIn, AkteurIn, als Publikum, VorleserIn, AnStifterIn, als Verantwortliche für Frieden, Demokratie und Menschenrechte. Die Reihe will mit Ihnen und Euch, den Kulturschaffenden aus Stadt und Region, auf die Suche gehen, mit Bild, Text und Ton, Theater, Musik und Film, mit Freude an Experimenten, Dialog, öffentlichem Denken und Machen.

Unser Konzept basiert auf Eigenwilligkeit und Eigeninitiative, Vielfalt und Solidarität der Mitwirkenden. Sie unterstützen uns, auch wenn Sie die „30 Tage im November“ nur nominell mittragen wollen. Sie können eigene Veranstaltungen für die Reihe entwickeln, passende Vorschläge aus Ihrem November-Programm einreichen, Kooperationen anbieten oder in ganz anderer Form eingreifen. Wir bitten, im Rahmen der „30 Tage“ auf Ihren Bühnen, vor oder nach Ihren Veranstaltungen in geeigneter Form Ihnen wichtig erscheinende Artikel der Menschenrechte zu präsentieren oder Ihre Veranstaltung der Menschenrechtspräambel zu widmen.

Die Reihe „Vom Wert der Menschenrechte“ mit mehr als 100 Veranstaltungen wird von mehr als 200 Initiativen, Theatern und anderen Einrichtungen mitgetragen. Zu der Reihe erscheint im Herbst eine 20-seitige Programmzeitung, es gibt Plakate und Flyer, Hinweise über die sozialen Medien, eine Website und Ihre eigenen Hausprogramme.

(Aus der Ankündigung von Peter Grohmann und dem Team „Die AnStifter“)

 

Kristalle der Hoffnungen

Einladung zu fünf Online-Lesungen

Veranstaltet von der Buchzeitschrift „Latenz“ (Mössingen) und der Redaktion des „bloch-akademie-newsletters“ (Mössingen) – unterstützt von der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V. (Köln), von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (Leipzig), vom Projekt „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts online“ (Leipzig), von zeitraumort.de (Leipzig) und vom Talheimer Verlag (Mössingen)

Die Fähigkeit zu hoffen, stellt eine wesentliche Lebensbedingung des Menschen dar. Das Hoffen spiegelt nicht nur die persönliche und private Sehnsucht. Hoffnungen müssen auch enttäuscht werden, um lernen zu können. Die solcherart „belehrte Hoffnung“ eröffnet den Weg zur Humanisierung des Menschen. Hoffnungen des einzelnen Menschen können Realität werden, wenn sie sich zu gemeinsamen gesellschaftlichen Hoffnungen auf Wandel entwickeln. „Kristalle der Hoffnungen“ sind die Vorboten gesellschaftlicher Hoffnungserfüllungen. Lassen Sie uns solche „Kristalle der Hoffnungen“ in Lesungen auffinden. Dabei folgen wir den Spuren von Menschen, die ihren Hoffnungen verbunden geblieben sind. – Es sind Lesungen im Online-Format, die die Beteiligten in der Pandemie schützen und sie zugleich näher zusammen rücken lassen. Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Erste Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 22. Januar 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden
Texte aus dem Leben einer wunderbar frechen, aufmüpfigen und aufrechten Frau
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Am 22. Januar 1905 wurde die Widerstandskämpferin, Friedensaktivistin, Architektin, Anhängerin des Bauhauses, SED-Kritikerin, Unterstützerin von Solidarnosc und Jüdin Karola Bloch in der polnischen Stadt Lodz geboren. In ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ (ISBN 978-3-89376-037-4) beschreibt sie die Geschichte ihres Lebens, ihrer Hoffnungen, ihres Traumas und ihrer Tagträume. Ihre Tübinger Zeit nach 1961 wird in dem Doppelband „Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (ISBN 978-3-89376-003-9) erlebbar. Das Buch „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“ (ISBN 978-3-89376-073-2) zeichnet ihren beruflichen Weg nach. Karola Bloch starb am 31. Juli 1994 in Tübingen. – Irene Scherer und Welf Schröter, die beide Karola Bloch gut gekannt haben, lesen aus Texten, Schriften und Briefen. Siehe dazu auch das Porträt Karola Blochs im Leipziger Online-Portal „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts“.

Zweite Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Freitag 11. Februar 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

In Erinnerung an Inge Jens
„Es gibt wenige Menschen, denen ich so viel verdanke“ – Inge Jens über Hans Mayer
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter. Mit einer Einführung von Heinrich Bleicher, Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft

Inge Jens, Ehrenmitglied der Hans-Mayer-Gesellschaft, hatte in den letzten zwei Jahren an dem Entstehen einer biografisch-politischen sowie literarisch-fachlichen Annäherung an Hans Mayer mitgewirkt. In einem ausführlichen Interview schildert sie ihre Sicht auf diesen brillanten Literaten: „Die Rolle, die Literatur für ein Leben spielen kann, spiegelte sich bei Hans Mayer in seiner Existenz schon sehr deutlich und er vermittelte dies weiter. Er zeigte, dass das nicht ein Privileg nur für ihn war, sondern dass man sich um dieses Privileg bemühen kann.“ Inge Jens hatte noch den von Heinrich Bleicher für die „Hans-Mayer-Gesellschaft“ herausgegebenen Band „Der unbequeme Aufklärer – Gespräche über Hans Mayer“ (ISBN 978-3-89376-195-1) erhalten. In dem Buch äußern sich Freunde und Schüler von Hans Mayer über den in Tübingen im Jahr 2001 gestorbenen Literaturwissenschaftler und Autor. Heinrich Bleicher hat den Band Inge Jens gewidmet. Am 11. Februar 2022 wäre Inge Jens 95 Jahre alt geworden.

Dritte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 19. März 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

„Sonst ist es fein still auf dem schneebedeckten Brachland Pachulkistans“ (Jürgen Teller)
Aus dem deutsch-deutschen Briefwechsel von Johanna & Jürgen Teller (Leipzig) mit Ernst & Karola Bloch (Tübingen) – Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen
Am Geburtstag von Hans Mayer lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Autorinnen und Autoren aus dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) sowie Schreibende aus der Bildungsarbeit haben sich in Sprache und Schrift dem Thema „Widerstand“ genähert. Wie wurde Widerstand in der Literatur dargestellt? Wann ist Widerstand notwendig und legitim? Wie zeigte sich Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Was bedeutet Widerstand heute? – Der Band „,Widerstand ist nichts als Hoffnung‘ – Widerständigkeit für Freiheit, Menschenrechte, Humanität und Frieden“ (ISBN 978-3-89376-190-6) gibt in Beispielen Antworten auf diese Fragen. Einer der Beiträge beschreibt Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen und mit Jürgen Teller (dem ehemaligen Assistenten Ernst Blochs in Leipzig Mitte der fünfziger Jahre). In seinem Aufsatz analysiert Welf Schröter Karola Blochs scharfe Kritik am SED-Regime und ihre Loyalität gegenüber Jürgen Teller, der von der DDR-Staatssicherheit drangsaliert wurde.

In dem von Jan Robert Bloch, Anne Frommann und Welf Schröter herausgegebenen Band „Briefe durch die Mauer“ (ISBN 978-3-89376-113-5) wird In über 200 heimlichen Briefen die Freundschaft zwischen Blochs und Tellers zum Leben erweckt. Ein Nachtrag dazu zeigt der Band „,Etwas, das in die Phantasie greift‘ – Briefe von Karola Bloch an Siegfried Unseld und an Jürgen Teller“ (ISBN 978-3-89376-156-2).

Vierte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Mittwoch 27. April 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

„Ernst und ich identifizierten uns mit der rebellischen Jugend“ (Karola Bloch)
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus „,Lieber Genosse Bloch …‘ – Briefe von Rudi Dutschke, Gretchen Dutschke-Klotz und Karola Bloch 1968–1979“

Dieser Briefwechsel eröffnet den Blick auf eine ganz ungewöhnliche Freundschaft zwischen Personen unterschiedlicher Generationen. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch (geboren 1885) und die Polin, Architektin und Sozialistin Karola Bloch (geboren 1905) finden unter anderem über Briefe Kontakt zu dem fast um ein halbes Jahrhundert jüngeren Rebellen Rudi Dutschke, einem der bekanntesten Köpfe der Studentenbewegung von 1968. Die Briefe geben Zugang zu Denken und Handeln, zur Haltung und Moral jener Menschen, die sowohl den Krieg der USA in Vietnam wie auch den Einmarsch der Sowjetunion in Prag scharf kritisierten, die ihre Hoffnungen in die demokratischen Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“ setzten und sich vom militärischen Abenteurertum einer „Roten Armee Fraktion“ abgrenzten.

In diesem Band (ISBN 978-3-89376-001-5) wurden der Briefwechsel zwischen Gretchen Dutschke, Rudi Dutschke und Karola Bloch umfassend zusammengefügt.

Fünfte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Dienstag 24. Mai 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

Menschlichkeit als Methode – In Erinnerung an Anne Frommann
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus Anne Frommanns Werken

Die aus Zittau stammende Pädagogin hatte „ihr Buch“ selbst zusammengestellt: „Menschlichkeit als Methode“ versammelt sozialpädagogische und biografische Texte aus vierzig Jahren beruflicher Praxis und fachlicher Arbeit. Der Durchgang durch den Band beginnt biografisch und endet teilnehmend. Ausgehend von der Reform der Heimerziehung und einem neuen Verständnis des Faches Sozialpädagogik stellt Anne Frommann das „Ich“ des zu unterstützenden jungen Menschen ins Zentrum ihres Denkens und Handelns. „Menschlichkeit als Methode“ – ein Buch, das die Humanisierung des Menschen anstrebt (ISBN 978-3-89376-127-2).

Teilnahme und Anmeldung

Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Veranstaltungsübersicht siehe: www.bloch-blog.de
Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Veranstaltende sowie Partnerinnen und Partner

Redaktion „Latenz“
http://www.talheimer.de/gesamtverzeichnis.html?page=shop.browse&category_id=28

Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.
http://www.hans-mayer-gesellschaft.de/

Talheimer Verlag
www.talheimer.de/talheimer-neuerscheinungen

Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/leipziger-frauenportraets

Porträt Karola Bloch im Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/bloch-karola-geborene-piotrkowska

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.
https://www.louiseottopeters-gesellschaft.de/

Zeitraumort (Leipzig)
www.zeitraumort.de

 

Blochs „mehrschichtige Dialektik“ als Gestaltungsansatz in der „digitalen Transformation“

In der Geschichte der Gesellschaften in Europa und insbesondere in der deutschen gebrochenen Historie führten tiefgreifende Transformationen immer wieder zu Polarisierungen zwischen jenen, die das Bisherige bewahren, und jenen, die das Vorhandene überschreiten wollten. Bei Übergängen und Umbrüchen innerhalb einer sozialökonomischen Formation markierten die Beschleunigungen des Wandels nicht selten eine größere Rolle als die Richtung des Wandels selbst. Geschwindigkeit dominierte die subjektive Wahrnehmung und die psychologischen Reaktionsmuster.

Der durch die Globalisierung eingeleitete Bedeutungsverlust des Nationalen und des Nationalstaates wird durch den Prozess der beschleunigten Digitalisierung bzw. der „digitalen Transformation“ abermals akzentuiert. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten voranschreitende Entortung und Entzeitlichung menschlicher Begegnungsmöglichkeiten erscheint angesichts weltumspannender Internetinfrastrukturen als Bestätigung des Nicht-Nationalen und als sich verstärkende Ausrichtung weg vom nationalen Denken.

Foto: © Welf Schröter

Die „digitale Transformation“ wird dabei zunächst subjektiv in ihrer Veränderungskraft als durchsetzungsfähiger empfunden, als sie zu Beginn in ihrem faktischen Gehalt ist. Die sich beschleunigende Transformation des virtuellen Raumes mit dem gleichzeitig sich qualitativ konvergierenden Mensch-Netz-Interaktionsraum löst Emotionen aus, die ungleichzeitig zum Realen und ungleichzeitig zum Historischen wirken. Menschen sehen sich nicht mehr als souverän Handelnde sondern als immer häufiger bloße Assistenten oder Entmündigte von Technik.

In ihrem sozialpsychologisch-soziologischen Deutungsverhalten hinken Sozialwissenschaften und Philosophie größtenteils hinter dem derzeit vorherrschenden Primat des Technisch-Digitalen hinterher. Eine wesentliche Stärkung des Primats des Gesellschaftlich-Sozialen und der Subjektidentität ließe sich erreichen, wenn ein interdisziplinärer Diskurs sich auf der Basis von Ernst Blochs „mehrschichtiger Dialektik“ vorantreiben ließe. Blochs Begriff der „Ungleichzeitigkeit“ entfaltet im Hinblick auf gesellschaftlich-kulturelle wie sozialpsychologische Herangehensweisen und Methoden seine ganzheitliche Wirkung.

Angesichts des Wandlungsprozesses der Arbeit und deren latenzhafter Identität-Nicht-Identität der weiteren Entfremdung des tätigen Menschen und seiner Emanzipationspotenziale mit Hilfe des Abstrakt-Virtuellen kann die „mehrschichtige Dialektik“ zur Aufhebung unabgegoltener „belehrter Hoffnungen“ (Bloch) beitragen. Die „digitale Transformation“ des Hier und Jetzt in ein humanes Morgen gelingt eher auf der Basis „mehrschichtiger Dialektik“.

Eine Aussage des Tübinger Philosophen Helmut Fahrenbach, die dieser unter Rückgriff auf Blochs Kritik an ökonomistischem Denken traf, ließe sich methodisch heute neu lesen: „Wenn die marxistische Aufklärung gegen diese Irrationalismen nur objektive ökonomische Wahrheiten setzt, anstatt in der dialektischen Kritik des Irrationalen auch die utopisch-subversiven Elemente (Potentiale) freizulegen und zu reflektieren, wird sie am Lebensgefühl und Bewusstsein der Menschen wirkungslos vorbeireden.“ (Helmut Fahrenbach: Philosophie – Politik – Sozialismus. 2016. ISBN 978-3-89376-1586)

 

Reich der Notwendigkeit – Reich der Freiheit

Unter dem Titel „Reich der Notwendigkeit – Reich der Freiheit: Arbeitswelten in Literatur und Kunst“ lädt der Verband deutscher Schriftsteller zu seiner Tagung vom 26.–28. Mai 2017 nach Berlin ein. Der Wandel der Arbeit und das Thema Arbeitswelten in der Literatur stellen die Leitmotive des Treffens dar.

„Arbeit wurde in einem Wörterbuch um 1800 beschrieben als Mühe, Last und Verausgabung, auch Abnutzung und bisweilen Qual. Immer stand aber dem „Reich der Notwendigkeit“ auch die Sehnsucht nach dem „Reich der Freiheit“ gegenüber, das nur auf der Basis der materiellen Produktion aufblühen könne, d.h. es galt den Traum zu verwirklichen, so würdig und wirksam wie möglich zu arbeiten und jenseits dessen viel Zeit für autonome, selbstbestimmte Erfüllung individueller Bedürfnisse zu finden. In Kunst und Literatur, im Theater und in der Musik wurde Arbeit vielfältig thematisiert. Wie diese selbst sich im Laufe der Geschichte veränderte, fand auch die Verarbeitung spezifische Ausdrucksformen.“

Eine Veranstaltung der Gewerkschaft ver.di, des Bildungs- und Begegnungszentrums Clara Sahlberg, der GewerkschaftsPolitische Bildung gemeinnützige GmbH,
des Ver.di Bundesfachbereichs Medien-Kunst-Industrie, des Ver.di Landesbezirks Nord, des Bundesvorstands des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), des Talheimer Verlags und von CLARA e.V. In Kooperation mit dem Germanistischen Institut an der Schlesischen Universität Katowice.

Zu den Vortragenden gehören Prof. Dr. Jost Hermand, Günter Wallraff, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Lothar Schröder, Welf Schröter und andere. Siehe auch das vollständige Programm: pdf-Datei

Widerspruch gegen vermeidbare Dummheiten

Zugegeben, den demokratischen Bewegungen in Europa weht an vielen Orten der Wind rückwärtsgewandter Nationalismen entgegen. Zugegeben, die Kräfteverhältnisse zur weiteren Humanisierung der sozialen Lebensbedingungen in den europäischen Staaten sind nicht ermutigend. Aber reicht dieses aus, um vorsätzlich vermeidbare Dummheiten zu begehen?

Spätesten seit dem Ersten Weltkrieg wissen wir, dass die Ideologisierung des nationalstaatlich bornierten Denkens eine der wesentlichen Gegnerinnen der Demokratie war. Wenn in Frankreich, Holland und Österreich heute mit der Wiederzurschaustellung schon mehrfach gescheiterter völkischer Parolen versucht wird, Enttäuschte hinter falscher Flagge zu versammeln, muss dann aus den Mündern von jenen, die sich links nennen, eine zwar andere – in der Wirkung aber vergleichbare – Parole kommen? Glauben die Lafontaines, Wagenknechts, Mélenchons und die Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung tatsächlich, dass für ihren Neo-Links-Nationalismus die Lehren des Ersten Weltkrieges nicht gelten?

Foto: © Welf Schröter

Wenn unter den gegebenen Rahmenbedingungen für jene, die sich als demokratische Linke verstehen, heute etwas gilt, dann ist es folgende unabgegoltene und ungleichzeitige Last europäischer Geschichte: Wer heute sich für den zivilgesellschaftlichen Fortschritt einsetzen will, der kann nicht anders, als zuförderst die Werte der Trikolore Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ergänzt um soziale Gerechtigkeit – als zentrale Gemeinsamkeiten einer dezentralen, emanzipatorischen und antitotalitären Demokratiebewegung in Europa zu verteidigen. Es gilt, die Erbschaften einer Hannah Arendt und eines Ernst Bloch mit dem Denken eines Jürgen Habermas und einer Ágnes Heller in ihrem Identisch-Nicht-Identischen zu verknüpfen.

Nicht die Erbschaft leninistischer Sackgassen eröffnet neue Perspektiven, sondern die herausfordernde Negation der Negation der Droits de l’homme zeigt den Weg.
Der Linksnationalismus ist keine Perspektive. Er ist eine Dummheit. Dies gilt es, auch einem Slavoj Žižek deutlich zu sagen, der – in einer schlechten Kopie der schon damals verheerend falschen „Sozialfaschismusthese“ eines Dimitrow – in Hillary Clinton den Hauptfeind der amerikanischen Demokratie witterte.

Arno Münster hat völlig Recht, wenn er in seinem Aufsatz in der Buchzeitschrift „Latenz“ über die französische Linke kritisch schreibt, nicht Spaltung und Ausgrenzung sondern Zusammenstehen für die gemeinsamen solidarischen Werte ist angesagt.

 

Verschwiegen – Vergessen – Wiederentdeckt. Und nun ignoriert?

Foto: © Welf Schröter

Foto: © Welf Schröter

„Ein Dorf gegen Hitler. Der 31. Januar 1933 markierte einen Einschnitt in die deutsche Geschichte. Die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler gelangten an die Macht, die Weimarer Republik wurde abgeschafft, eine Diktatur entstand. Nicht überall im Land waren die Menschen mit der Machtübernahme einverstanden, hier und da leisteten Bürger Widerstand. Besonders Bemerkenswertes spielte sich im kleinen schwäbischen Dorf Mössingen ab.“ Mit diesem Worten beginnt eine sogenannte „Pageflow-Reportage“, die Campus TV Tübingen im Jahr 2016 online zugänglich machte.

Die mediale Aufbereitung der Ereignisse um den „Mössinger Generalstreik“ gegen Hitler am 31. Januar 1933 ist ein verdienstvoller Schritt. Damit wird Erinnerungs- und Gedenkarbeit erleichtert. Eine der Grundlagen des digitalen Werkes ist die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg im Jahr 2015 herausgegebene Broschüre „,Heraus zum Massenstreik‘. Der Mössinger Generalstreik vom 31. Januar 1933 – linker Widerstand in der schwäbischen Provinz“, in der die geschichtlichen Abläufe didaktisiert ausgearbeitet wurden. Die für die „Pageflow Reportage“ verantwortliche Redaktion von Campus TV ist am Institut für Medienwissenschaften der Universität Tübingen angesiedelt.

Wer vom „Mössinger Generalstreik“ wenig weiß, wird über diese Darstellung glücklich sein. Mit Bild, Video, Schrift und Ton wird ein Überblick über Anlass, Ziele und Verlauf sowie über die Folgen der Aktion gegeben. Wer jedoch mit ausreichenden Vorkenntnissen auf diese WebSite trifft, wird unter einem besonderen Gesichtspunkt enttäuscht sein. Es stellt sich die Frage, warum die Redaktion entschieden hat, die jüdischen Spuren im „Mössinger Generalstreik“ vollständig auszublenden. In der Broschüre der Landeszentrale sind sie enthalten. Weitere Veröffentlichungen liegen seit langem vor.

Zum „Mössinger Generalstreik“ gehört, dass der Streik im damaligen Textilunternehmen Pausa startete. Die Pausa wurde von den jüdischen Brüdern Artur und Felix Löwenstein 1919 gegründet. Sie arbeiteten sehr früh mit dem von den Nationalsozialisten bedrängten Bauhaus zusammen. Von dort holten die Löwensteins mehrere linkssozialistisch politisierte junge Designerinnen zur Pausa. Diese ebenfalls jüdischen Bauhaus-Frauen wirkten in den Jahren vor 1933 in der Pausa. Schon vor 1933 wehrten sich die jüdischen Besitzer gegen den Nationalsozialismus. Sie beendeten die Zusammenarbeit mit Firmen, die sich der NSDAP verbunden sahen. Schon vor 1933 wurden die Löwensteins bedroht. Als die Belegschaft der Pausa den Streik beschloss, schützten und unterstützen die Löwensteins die Streikenden, indem sie ihnen freigaben. Nach 1933 nahm der massive Druck auf die Löwensteins zu. 1936 wurden die Pausa-Gründer zwangsenteignet und aus Mössingen vertrieben. Mit dem Jahr 1936 wurde der jüdische Name Löwenstein aus dem öffentlichen Gedächtnis Mössingens gelöscht.

Von 1936 bis 2006 wurde die Geschichte der Löwensteins weitgehend verschwiegen. Nur selten gab es kleine Erwähnungen am Rande. Durch Publikationen in 2006 und 2013 sowie durch die Gründung des Löwenstein-Forschungsvereins im Jahr 2007 begann die aktive Wiederentdeckung. Die Nachkommen der Pausa-Gründer sind 73 Jahre nach ihrer Vertreibung zum ersten Mal wieder 2009 nach Mössingen gekommen. Inzwischen sind sie vier Mal angereist. Zuletzt besuchten sie die Stadt im Sommer 2016 aus Anlass des 80. Jahrestages der Zwangsenteignung der Pausa und der Vertreibung der jüdischen Gründer. In der Theaterfassung des „Mössinger Generalstreiks“ durch das Theater Lindenhof „Ein Dorf im Widerstand“ (2013) sind die Löwensteins mehrfach präsent.

In seiner Begrüßung sagte Oberbürgermeister Michael Bulander 2016: „Wir erinnern an die Zwangsenteignung der Textildruckfirma Pausa und die Vertreibung der Unternehmer Artur und Felix Löwenstein aus unserer Stadt und letztendlich der gesamten Familie aus Deutschland vor 80 Jahren. Damit schreibt Mössingen in der NS-Zeit nicht nur die Geschichte des Mössinger Generalstreiks, als am 31. Januar 1933 über 800 Personen gegen die Machtübergabe an Hitler demonstrierten – darunter auch ein großer Teil von Pausa-Arbeitern. Die Unternehmer Löwenstein hatten ihnen nach einer positiven Streikabstimmung für den Nachmittag freigegeben.“

Warum also fehlt in der medialen Aufbereitung des „Mössinger Generalstreiks“ durch Campus TV Tübingen die Gewichtung der Rolle der jüdischen Brüder Löwenstein? Sollten wir nicht der Gefahr entgegenarbeiten, dass verschwiegene, vergessene und endlich wiederentdeckte Geschichte erneut ignoriert wird? Historische Ehrlichkeit und fachwissenschaftliche Solidität verlangen eine Nachbearbeitung der „Pageflow Reportage“.

Wie äußerten sich doch Harold Livingston und Doris Angel, die Kinder der Pausa-Gründer, bei einem ihrer Besuche in Mössingen: „Wir sind heute zusammengekommen, um das Andenken an Artur und Felix Löwenstein zu ehren, zwei schöpferische und fleißige Unternehmer. Unsere Väter waren maßgeblich an der Begründung der modernen Wirtschaft von Mössingen beteiligt. Harold und ich freuen uns, dass die Stadt heute blüht und gedeiht, und besonders darüber, dass die Stadtverwaltung und viele Mössinger Bürger die Leistungen der Brüder Löwenstein anerkennen und würdigen.“

 

Siehe zu Thema: Irene Scherer, Edith Policke, Klaus Ferstl, Welf Schröter: Die Löwensteins und der Mössinger Generalstreik. Wie die Pausa-Gründer sich gegen die Nationalsozialisten stellten. In: Irene Scherer, Klaus Ferstl, Welf Schröter (Hg.): Für Artur und Felix Löwenstein. Ein Leseheft anlässlich des 80. Jahrestages der Zwangsenteignung der Pausa und der Vertreibung der Brüder Löwenstein aus Mössingen 1936. S. 17-21 (2016, 42 Seiten, ISBN 978-3-89376-167-8). Siehe dazu auch: Irene Scherer, Welf Schröter, Klaus Ferstl (Hg.): Artur und Felix Löwenstein. Würdigung der Gründer der Textilfirma Pausa und geschichtliche Zusammenhänge (2013, 396 Seiten, ISBN 978-3-89376-150-0).

Zur Pageflow Reportage: https://multimedia.hd-campus.tv/entries/mossinger-generalstreik#244

Ein prekäres Verhältnis in Deutschland

Helmut Fahrenbach (Foto: © Welf Schröter)

Helmut Fahrenbach (Foto: © Welf Schröter)

Für eine „kommunikative Vernunft als weltpolitisch und interkulturell notwendige Denkform“ setzt sich der Tübinger Philosoph Helmut Fahrenbach mit seinem Werk „Philosophie ‒ Politik ‒ Sozialismus. Ein prekäres Verhältnis in Deutschland“ ein.

Seinem Plädoyer für „Frieden, Ernährung, Ökologie, ökonomisch-soziale Entwicklung zu menschenwürdigen Lebensverhältnissen unter Anerkennung und Sicherung der Menschenrechte im Sinne möglicher Freiheit, Gleichheit und Solidarität“ legt er seine kritische Lesart der „Erbschaft der Philosophie des 20. Jahrhunderts“ zugrunde.

Dieses Werk stellt nicht nur eine hilfreiche Orientierung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit im Umgang mit Themen der Philosophie dar. Es ist zugleich ein unterstützendes Lehrbuch für junge Menschen, die Philosophie studieren wollen. Der Autor gehört zu den markantesten Philosophen in der Nachkriegsgeschichte der Universität Tübingen.

Wenige Tage vor seinem 88. Geburtstag würdigt Helmut Fahrenbach in seinem 488 Seiten umfassenden Buch damit die Chance der Philosophie, Erbschaft und Baustein für eine mündige Gesellschaft zu sein. In scharfer Abgrenzung vom Sowjetkommunismus und in deutlicher Kritik rechtskonservativer Philosophien beschreibt der Autor den Diskurs um den Emanzipationsgehalt der Philosophie
im 20. Jahrhundert.

Der spannungs- und konfliktreich ‚vernetzten‘ Weltlage kann nur ein Denken und Handeln gerecht werden, das die Disparitäten und Spannungen zwischen Einheit und Differenz, Allgemeinem und Besonderem, Macht und Abhängigkeit durch eine die Verbindung und Verschiedenheit in der gegenwärtigen Welt zugleich wahrende und vermittelnde Sicht theoretisch zu erfassen und praktisch zum Abbau bzw. Ausgleich zu bringen versucht. Zur Klärung der damit gestellten Aufgaben ist auch Philosophie vonnöten, freilich nicht irgendeine, sondern eine Philosophie kommunikativer Vernunft, für die das dialektische Verhältnis von Einheit und Vielfalt, Allgemeinem und Besonderem eine zentrale Reflexionsaufgabe darstellt, und dies insbesondere im Hinblick auf die Ermöglichung der Verständigungs- und Kooperationsprozesse, die für die Entwicklung und den Bestand einer humanen, ausgleichenden Welteinheit in einer sozio-kulturell pluralistisch und politisch-ökonomisch disparat verflochtenen Weltgesellschaft notwendig sind. (Helmut Fahrenbach)

Helmut Fahrenbach greift in der Betonung des emanzipatorisch ausgerichteten Bewusstseins auf wesentliche Gedanken des Philosophen Ernst Bloch zurück.

Ernst Bloch hat ja – als einer der wenigen unter den marxistischen Philosophen, neben Agnes Heller, aber auch Herbert Marcuse – die normativen (naturrechtlichen und ethischen) Postulate und Leitideen auch des marxistischen Sozialismus nicht verdrängt, sondern herausgestellt. Und er hat die damit verbundenen wirkungsgeschichtlichen Bezüge zu den bürgerlichen Revolutions- und Emanzipationsidealen Freiheit, Gleichheit, Solidarität nicht als ‚bürgerliche Ideologie‘ abgetan oder in einer „Dialektik der Aufklärung“ aufgelöst, sondern sie als „sozialistisches Erbe“ in Anspruch genommen, das freilich nicht nur die idealen Forderungen (noch dazu in einer liberalistischen Formalisierung und Engführung) wiederholt, sondern – im Sinne sozialistischer Theorie und Praxis – auf die realen gesellschaftlich-ökonomischen Voraussetzungen ihrer konkreten Ermöglichung und Realisierung dringt. (Helmut Fahrenbach)

Helmut Fahrenbach gelingt mit diesem Band nicht nur eine Ermutigung für die Verteidigung einer freiheitlichen und demokratischen Republik. „Der Autor nutzt die Kraft des Wortes für die Stärkung des Humanum, für die Humanisierung des Menschen“, unterstreicht der Verlag. „Gerade in einer Zeit der Verunsicherung und vorsätzlicher Demagogie gibt Helmut Fahrenbach den Leserinnen und Lesern ein verlässliches Instrumentarium an die Hand, das zum eigenständigen Denken anregt.“

Buchangaben: Helmut Fahrenbach: Philosophie – Politik – Sozialismus. Ein prekäres Verhältnis in Deutschland. 2016, 488 Seiten, br., 39,00 €, ISBN 978-3-89376-158-6.

Das Kontrafaktische des „Postfaktischen“

Foto: © Welf Schröter

Foto: © Welf Schröter

Ein bekannter Fernsehkabarettist brachte es jüngst auf den Punkt: Was einst unzweideutig als Unwahrheit oder gar Lüge bezeichnet wurde, wird heute verniedlichend als „postfaktisch“ tituliert.

Medienmarketingprofessionelle wollen uns einreden, ein „postfaktisches Zeitalter“ sei angebrochen. Ein Kommentator des Deutschlandfunks verstieg sich sogar zu der Äußerung, es gelten jetzt „Gesetze des postfaktischen Zeitalters“.

Davon abgesehen, dass das Wort „postfaktisch“ eine schlechte und ideologisierte Übersetzung der amerikanischen angeblichen Neuheit der „post truth politics“ darstellt, sollten wir bei dem neuen Medienhype um das „Postfaktische“ doch einmal nüchtern in die Vergangenheit blicken. Was wir erkennen können, ist nicht überraschend.

Seitdem es öffentlich nutzbare Medien gibt, versuchen Einflusskräfte ihre Interessen durch gezielte Manipulation der Leserinnen und Leser durchzusetzen. Egal, ob wir an die kaiserlich-wilhelminische Propaganda für die Provozierung des Ersten Weltkrieges oder an die Medienkampagne nach 1918 zur Verbreitung der „Dolchstoßlegende“ denken. Ob wir an die Hassreden der Nationalsozialisten per neuentwickeltem „Volksempfänger“ erinnern oder an die Kampagne der Bildzeitung 1968 gegen Rudi Dutschke, die zum Attentat führte. Ob wir die Manipulation der tschechoslowakischen Öffentlichkeit durch die moskautreuen Panzerkommunisten in Erinnerung rufen, die 1977 die Unterzeichnenden der „Charta 77“ verunglimpften und zum Teil antisemitisch verfolgten. Ob wir den bewussten Falschmeldungen amerikanischer Behörden über den vermeintlichen Besitz an Massenvernichtungsmitteln in den Händen des blutigen Diktators Sadam Hussein nachgehen oder ob wir Falschmeldungen russischer Medien über Vergewaltigungen in Berlin betrachten. Ob wir religiös verbrämte Heilsbotschaften lesen oder gezieltes Mobbing in Social Media-Kontexten erkennen. Stets geht es um die vorsätzliche Verbreitung von Unwahrheit, um Emotionalisierungen, um Polarisierung und ein Freund-Feind-Vereinfachungsparadigma im Sinne Carl Schmitts. Ob per Zeitung, per Radio, per Leinwandfilm, per Fernsehen, per E-Mail oder per Kurznachrichtendienst – neu ist daran höchstens die Geschwindigkeit der Verbreitung in Echtzeit und per Bots, nicht aber ihre Potenziale.

Die Ideologisierung zum „Postfaktischen“ will uns heute vermitteln, dass flankierend zur „Industrie 4.0“ nicht nur eine neue ökonomische Formation im Entstehen ist sondern auch eine neue Medienwelt. Dieses Neue wird alle fünf bis zehn Jahre hervorgezaubert, insbesondere dann, wenn eine neue Anwender- oder Sicherheitstechnologie verbreitet werden soll. In fünf Jahren werden uns die Social Media-Konzerne sicherlich das Zeitalter des „Post-Gesellschaftlichen“ und danach die Ära des „Post-Humanum“ nahelegen.

Es bleibt dabei, die vorsätzliche Verbreitung von Falschmeldungen war, ist und bleibt nicht „postfaktisch“ sondern schlicht ein Beitrag zur Streuung von Unwahrheit. Eben kontrafaktisch. Es bedarf keiner Verniedlichung. Oder wie es ein humorvoller Kritiker ausdrückte, das einzig „Postfaktische“ sei der Begriff des „Postfaktischen“.