Verleihung der Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdansk an Manfred Mack am 31. August 2022

Vor 42 Jahren am 31. August 1980 wurde in Gdansk auf der Werft der streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter die unabhängige Gewerkschaft Solidarność gegründet. Heute am 31. August 2022 erhielt ein Vertreter der damaligen bundesdeutschen Bewegung „Solidarität für Solidarność“ eine besondere Würdigung und Ehrung. Manfred Mack, langjährigem Freund der polnischen Kultur und der unabhängigen polnischen Gesellschaft, wurde in Gdansk die „Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarnosc-Zentrums“ verliehen.

Der Osteuropa-Wissenschaftler Manfred Mack gehörte während seines Studiums an der Universität Tübingen zum Komitee „Solidarität mit Solidarność“. Die Arbeit dieses Komitees wurde auch von der in Polen geborenen Karola Bloch sehr aktiv unterstützt. Karola Bloch trat bei Solidaritätskundgebungen auf und drückte ihre Verbundenheit der polnischen Gewerkschaft aus. Sie lud aus Polen geflohene Gewerkschaftsvertreter zu sich ein. Untergrundschriften des polnischen KOR gelangten über Paris nach Tübingen, wurden ins Deutsche übersetzt und mit einem Vorwort von Karola Bloch verbreitet. In dem Tübinger Komitee, das viele Jahre tätig war, wirkten rund eineinhalb Dutzend junger Frauen und Männer, die aktiv mit den Demokratiebewegungen in Polen, in der CSSR, in Ungarn, in der DDR und in der Sowjetunion sympathisierten. Auch der Herausgeber des „bloch-akademie-newsletters“ gehörte dazu.

Eine Jury unter dem Vorsitz von Lech Walesa verleiht Manfred Mack die Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums (ECS) im Rahmen der Feierlichkeiten des „Festes der Freiheit“. Diese Auszeichnung wurde bisher an über 700 Personen weltweit verliehen. Die Medaille der Dankbarkeit ist eine ehrenvolle Auszeichnung für Freunde Polens, die sich im Geiste der Solidarność-Ideale für die universellen Menschenrechte eingesetzt haben und einsetzen, sich für die Idee der Solidarität als Grundlage der europäischen Ordnung engagieren, sich für die Verständigung zwischen den Völkern einsetzen und die soziale und moralische Ordnung auf dem Dialog aufbauen. Manfred Mack hat sich seit den 1970er Jahre in vielfältiger Weise für die Opposition in Polen eingesetzt, durch Übersetzungen, Veranstaltungen, aber auch im Rahmen Tübinger Komitees „Solidarität mit Solidarność“ durch konkrete Hilfsmaßnahmen während des Kriegsrechts in Polen.

 

Dankesrede von Manfred Mack bei der Entgegennahme der Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdansk

Bei der Entgegennahme der Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarność-Zentrums in Gdansk hielt Manfred Mack als Geehrter am 31. August 2022 nachfolgende Rede:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde, ich bedanke mich sehr herzlich für diese große Ehre. Dieser Dank kommt aus tiefem Herzen, denn eigentlich müsste ich der Solidarność, müsste ich meinen polnischen Freunden dankbar dafür sein, dass ihr mein Leben so unendlich bereichert habt, dass ich so viel mit Euch erleben durfte. Ich kann hier den Slogan der friedlichen Revolution wiederholen: Es begann in Danzig. Auch mein Abenteuer mit Polen begann in Danzig, zu Ostern 1972, als ich im Rahmen eines Schüleraustauschs zum ersten Mal in Polen, zum ersten Mal in Danzig war.

Diese Begegnungen und die daraus entstandenen Freundschaften, hatten großen Einfluss auf meinen weiteren Lebensweg. Deshalb freue ich mich, dass Kasia Rozmarynowska heute hier ist. Durch sie und ihren Mann Marek habe ich bei meinen Besuchen all die wunderbaren Menschen kennenlernen dürfen, Antek Pawlak, Bozena und Maczej Grzywaczewki, Leszek Szaruga und viele andere. Durch sie bekam ich Einblick in das Alltagsleben im Kommunismus, aber auch in die vielfältigen oppositionellen Aktivitäten, sie zeigten mir die Untergrundzeitschriften des zweiten Umlaufs. Sie haben mich mit ihrem Freiheitswillen angesteckt und mir gezeigt, wie viel uns verbindet, mich den Deutschen aus einem kapitalistischen Land und sie die Altersgenossen in einem Land des realen Sozialismus.

Deshalb habe ich mich mit deutschen Freunden seitdem für die Opposition in Polen engagiert, durch das Übersetzen von Texten, durch Veranstaltungen und während des Kriegsrechts auch durch konkrete Unterstützung. Mit unserem Tübinger Komitee „Solidarität mit Solidarność“ haben wir am 13. Dezember 1981 um 11 Uhr die vermutlich erste Protestveranstaltung in Deutschland gegen das Kriegsrecht organisiert mit Karola Bloch als Rednerin.

Wir haben Vertreter des NZS wie Anka Krajewska oder Andrzej Mietkowski, Künstler wie Jacek Kaczmarski, oder Vertreter der Solidarnosc wie Sewek Blumstajn nach Deutschland eingeladen. Wissenschaftlich habe ich mich damals mit der Erforschung der polnischen Untergrundpresse in den 1970 Jahren beschäftigt.

Auch hier durfte ich wunderbare Menschen kennenlernen, Mirek Chojecki, Irena Wojcicka, Henryk Wujec und viele andere, aber auch Prof. Stefan Nowak und Bronislaw Geremek. Ein klein wenig konnte ich auch ganz praktisch helfen, in dem ich Honorare westlicher Verlage für polnische Autoren nach Polen geschmuggelt habe, u.a für Andrzej Drawicz, Antek Pawlak und Marek Nowakowski.

Das führte übrigens dazu, dass der polnische Geheimdienst SB seine Versuche, mich als Mitarbeiter zu gewinnen, eingestellt hat. Ich war nie allein in Polen, jeden Schritt, jeden Besuch hat der Geheimdienst akribisch verfolgt. Nach einer Geldübergabe in Danzig haben sie aufgegeben, den jungen Polenfreund für sich zu gewinnen. Auf meiner IPN-Akte gibt es einen schönen Stempelaufdruck: „Der Vorgang eignet sich nicht für die interne Schulung“.

Aber zurück zu den Aktivitäten meiner Tübinger Freunde, die alle wie ich diese Dankbarkeitsmedaille verdient hätten. Wir haben damals auch die sehr konkrete Polenhilfe organisiert. 30 Millionen Pakete wurden damals aus Deutschland nach Polen geschickt. Nie wieder habe ich in meinem politischen Leben mit Menschen aus so unterschiedlichen Lagern zusammengearbeitet, vom rechten Spektrum der CDU und der Vertriebenenverbände, den Kirchen über Sozialdemokraten, Freidemokraten, Gewerkschaften bis hin zu linken Studentenverbänden. Auch mit vielen unpolitischen Menschen, die eines verband, Polen in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen.

Und als Historiker kann ich beurteilen, dass dies zu einem epochalen Umschwung im Verhältnis zwischen der deutschen und der polnischen Gesellschaft geführt hat. Viele Polen ließen sich nicht mehr durch das Schreckgespenst der deutschen Revanchisten auf die Linie der Partei bringen und viele Deutsche entdeckten Polen als sympathisches, freiheitsliebendes Land.

Sie werden verstehen, dass es mich deshalb schmerzt, wenn ich miterleben muss, wie die aktuelle polnische Regierung – in der Tradition der Gomulka-Kommunisten durch antideutsche Parolen versucht, Wählerstimmen zu bekommen. Mein Engagement für Polen war immer tief verwurzelt in dem Bewusstsein der unendlichen Schuld, die meine Vorfahren gegenüber Polen auf sich geladen haben.

Deshalb habe ich auch die Initiative meines Deutschen Polen-Instituts unterstützt, in Berlin ein Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Okkupation zu errichten und gleichzeitig einen Ort der deutsch-polnischen Begegnung zu schaffen und ich unterstütze auch den Vorschlag des Beauftragten für deutsch-polnische Beziehungen Dietmar Nietan, einen deutsch-polnischen Zukunftsfond zu schaffen, der im umfassender Weise dazu beiträgt, dass sich Deutschland seiner historischen Verantwortung stellt und zugleich Initiativen unterstützt, die dazu beitragen, dass das Sprichwort „Solange die Welt besteht, wird der Pole nicht der Bruder des Deutschen sein‘“ in sein Gegenteil verkehrt wird.

Mein früherer Chef und Meister Karl Dedecius hat mir empfohlen, jede Rede mit einem Gedicht zu beenden. Dieses Gedicht von Antek Pawlak entstand 1982 nach vielen nächtlichen Gesprächen eines jungen Deutschen mit einem jungen Polen über die deutsch-polnischen Beziehungen.

Mein Monolog und
ein verwunderter
Altersgenosse
(für Manfred)

Man hat mir befohlen dich zu hassen
aus deinen Händen kann man
die rote Karte des Blutes lesen
wir wurden als Feinde geboren
das ist natürlich wie der Atem
der aus unseren Mündern kam
bei dem Gespräch an diesem
Winterabend

Man hat mir befohlen dich zu hassen
man gab dafür den einfachsten
und ausreichenden Grund – du bist Deutscher
ich dagegen bin Pole
in meiner Sprache heißt Pole
ein Unschuldiger

(Antoni Pawlak; übersetzt von Manfred Mack)

„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (IV) – Einladung zu Lesungen im November 2022

Einladung zur Online-Veranstaltungsreihe „Kristalle der Hoffnungen“ im Rahmen des Projektes „30 Tage im November“ 2022 – Veranstaltungsübersicht

Die Fähigkeit zu hoffen, stellt eine wesentliche Lebensbedingung des Menschen dar. Das Hoffen spiegelt nicht nur die persönliche und private Sehnsucht. Hoffnungen müssen auch enttäuscht werden, um lernen zu können. Die solcherart „belehrte Hoffnung“ eröffnet den Weg zur Humanisierung des Menschen. Hoffnungen des einzelnen Menschen können Realität werden, wenn sie sich zu gemeinsamen gesellschaftlichen Hoffnungen auf Wandel entwickeln. „Kristalle der Hoffnungen“ sind die Vorboten gesellschaftlicher Hoffnungserfüllungen. Lassen Sie uns solche „Kristalle der Hoffnungen“ in Lesungen und Vorträgen auffinden. Dabei folgen wir den Spuren von Menschen, die ihren Hoffnungen verbunden geblieben sind.

Die Online-Veranstaltungsreihe „Kristalle der Hoffnungen“ als Teil der Reihe „30 Tage im November“ wird getragen von: Redaktion „Latenz“, Redaktion „bloch-akademie-newsletter“, Löwenstein-Forschungsverein e.V., Hans-Mayer-Gesellschaft e.V. und Talheimer Verlag.

Anmeldung bei schroeter@talheimer.de mit Angabe des jeweiligen Datums der gewünschten Veranstaltung. Wer sich anmeldet, erhält einen Zoom-Link zugesandt. Eintritt frei.

Erster Online-Termin am Freitag, den 4. November 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: „Widerstand ist nichts als Hoffnung“

Online-Lesung aus dem Buch „Widerstand ist nichts als Hoffnung“. Es lesen Heinrich Bleicher (Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.), Irene Scherer (Vorsitzende des Löwenstein-Forschungsvereins e.V.) und Welf Schröter (Redaktion bloch-akademie-newsletter). Länge ca. 50 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Zweiter Online-Termin am Freitag, den 11. November 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: „Erinnerungskultur stärkt Demokratie“

Online-Lesung aus dem Buch „Erinnerungskultur stärkt Demokratie. Zur Verteidigung der Menschenwürde“. Irene Scherer (Vorsitzende des Löwenstein-Forschungsvereins e.V.) und Welf Schröter (Redaktion bloch-akademie-newsletter). Länge ca. 45 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Dritter Online-Termin am Freitag, den 18. November 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: Zur Bedeutung und Aktualität von Richard Schmid

Online-Vortrag von Hans-Ernst Böttcher, ehem. Landgerichtspräsident in Lübeck, Mitglied im Löwenstein-Forschungsverein. Richard Schmid war ein Freund Fritz Bauers seit den 1920er Jahren und in der bundesdeutschen Nachkriegszeit 1953 bis 1964 ein etwas anderer Oberlandesgerichtspräsident. Der Autor und Vortragende hat 2013 in Mössingen die Bedeutung Richard Schmids für die Rehabilitierung des Mössinger Generalstreiks dargelegt. Länge ca. 50 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Vierter Online-Termin am Freitag, den 25. November 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: „Die Geschichte der Löwenstein’schen Pausa. Zwischen Bauhaus, Mössinger Generalstreik und nationalsozialistischer Zwangsenteignung“

Bebilderter Online-Vortrag des Löwenstein-Forschungsvereins e.V. Mössingen zur Geschichte des Löwenstein’schen Textilunternehmens Pausa, der Bedeutung der rebellischen Bauhausfrauen in der Pausa, der Verbindung zur Stuttgarter Netzwerkerin Lilly Hildebrandt und des Widerstands der Pausa-Belegschaft gegen Hitler am 31. Januar 1933. Mit zahlreichen Bildern. Vortragende sind Irene Scherer (Vorsitzende des Löwenstein-Forschungsvereins e.V.) und Welf Schröter (Redaktion bloch-akademie-newsletter). Länge ca. 60 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Fünfter Online-Termin am Freitag, den 2. Dezember 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: Karola Bloch – Aus meinem Leben

Online-Lesung aus der Autobiografie Karola Blochs über Widerstandsarbeit, Flucht, Exil. Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter vom Talheimer Verlag. Länge ca. 50 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Sechster Online-Termin am Freitag, den 9. Dezember 2022 von 17.30 Uhr bis 18.45 Uhr: Hans Mayer – Der unbequeme Aufklärer

Online-Lesung aus dem Buch „Der unbequeme Aufklärer – Gespräche über Hans Mayer“. Eine Lesestunde über den großartigen Literaturwissenschaftler, Gegner des Nationalsozialismus und Kritiker der SED, Freund von Ernst und Karola Bloch sowie Inge Jens. Es lesen Heinrich Bleicher (Herausgeber und Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.), Irene Scherer und Welf Schröter vom Talheimer Verlag. Länge ca. 60 Minuten plus anschließendes Gespräch.

Anmeldung bei schroeter@talheimer.de mit Angabe des Datums der gewünschten Veranstaltung. Wer sich anmeldet, erhält einen Zoom-Link zugesandt. Eintritt frei.

 

„Widerstand ist nichts als Hoffnung“ (II) – Eines der Motive

Dieser Ausruf des französischen Résistance-Kämpfers René Char bildet das Leitmotiv der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „30 Tage im November“, womit der Wert der Menschenrechte gegen Intoleranz und Rassismus, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verteidigt wird.

Über 200 Organisationen laden zu mehr als 100 Veranstaltungen ein. Widerstand gründet in Hoffnung. Widerstand begründet Hoffnung. Widerstand gegen Unrecht muss auf Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit beruhen. Unser Widerstand basiert auf Demokratie und will die weitere Demokratisierung der Demokratie. Bloßer Widerstand gegen Unrecht als Kritik reicht nicht aus. Es bedarf des Widerstands für eine die soziale Gleichberechtigung einlösende Zivilgesellschaft, für die Umsetzung der Tagträume einer besseren Welt.

Das von Heinrich Bleicher mitedierte Buch „Widerstand ist nichts als Hoffnung“ fordert zur Widerständigkeit für Menschenrechte, Humanität und Frieden auf. „30 Tage im November“ versteht sich zugleich auch als ein Lernort der Geschichte: Erinnerungskultur stärkt Demokratie. Zeigen wir unseren Mut zu neuer Hoffnung, hier unter uns und für uns sowie als Solidarität mit Geflüchteten und Verfolgten. Es geht um „die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (Karola Bloch).

Siehe: https://30tageimnovember.de/

 

Kristalle der Hoffnungen

Einladung zu fünf Online-Lesungen

Veranstaltet von der Buchzeitschrift „Latenz“ (Mössingen) und der Redaktion des „bloch-akademie-newsletters“ (Mössingen) – unterstützt von der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V. (Köln), von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (Leipzig), vom Projekt „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts online“ (Leipzig), von zeitraumort.de (Leipzig) und vom Talheimer Verlag (Mössingen)

Die Fähigkeit zu hoffen, stellt eine wesentliche Lebensbedingung des Menschen dar. Das Hoffen spiegelt nicht nur die persönliche und private Sehnsucht. Hoffnungen müssen auch enttäuscht werden, um lernen zu können. Die solcherart „belehrte Hoffnung“ eröffnet den Weg zur Humanisierung des Menschen. Hoffnungen des einzelnen Menschen können Realität werden, wenn sie sich zu gemeinsamen gesellschaftlichen Hoffnungen auf Wandel entwickeln. „Kristalle der Hoffnungen“ sind die Vorboten gesellschaftlicher Hoffnungserfüllungen. Lassen Sie uns solche „Kristalle der Hoffnungen“ in Lesungen auffinden. Dabei folgen wir den Spuren von Menschen, die ihren Hoffnungen verbunden geblieben sind. – Es sind Lesungen im Online-Format, die die Beteiligten in der Pandemie schützen und sie zugleich näher zusammen rücken lassen. Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Erste Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 22. Januar 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden
Texte aus dem Leben einer wunderbar frechen, aufmüpfigen und aufrechten Frau
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Am 22. Januar 1905 wurde die Widerstandskämpferin, Friedensaktivistin, Architektin, Anhängerin des Bauhauses, SED-Kritikerin, Unterstützerin von Solidarnosc und Jüdin Karola Bloch in der polnischen Stadt Lodz geboren. In ihrer Autobiografie „Aus meinem Leben“ (ISBN 978-3-89376-037-4) beschreibt sie die Geschichte ihres Lebens, ihrer Hoffnungen, ihres Traumas und ihrer Tagträume. Ihre Tübinger Zeit nach 1961 wird in dem Doppelband „Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“ (ISBN 978-3-89376-003-9) erlebbar. Das Buch „Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin“ (ISBN 978-3-89376-073-2) zeichnet ihren beruflichen Weg nach. Karola Bloch starb am 31. Juli 1994 in Tübingen. – Irene Scherer und Welf Schröter, die beide Karola Bloch gut gekannt haben, lesen aus Texten, Schriften und Briefen. Siehe dazu auch das Porträt Karola Blochs im Leipziger Online-Portal „Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts“.

Zweite Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Freitag 11. Februar 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

In Erinnerung an Inge Jens
„Es gibt wenige Menschen, denen ich so viel verdanke“ – Inge Jens über Hans Mayer
Es lesen Irene Scherer und Welf Schröter. Mit einer Einführung von Heinrich Bleicher, Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft

Inge Jens, Ehrenmitglied der Hans-Mayer-Gesellschaft, hatte in den letzten zwei Jahren an dem Entstehen einer biografisch-politischen sowie literarisch-fachlichen Annäherung an Hans Mayer mitgewirkt. In einem ausführlichen Interview schildert sie ihre Sicht auf diesen brillanten Literaten: „Die Rolle, die Literatur für ein Leben spielen kann, spiegelte sich bei Hans Mayer in seiner Existenz schon sehr deutlich und er vermittelte dies weiter. Er zeigte, dass das nicht ein Privileg nur für ihn war, sondern dass man sich um dieses Privileg bemühen kann.“ Inge Jens hatte noch den von Heinrich Bleicher für die „Hans-Mayer-Gesellschaft“ herausgegebenen Band „Der unbequeme Aufklärer – Gespräche über Hans Mayer“ (ISBN 978-3-89376-195-1) erhalten. In dem Buch äußern sich Freunde und Schüler von Hans Mayer über den in Tübingen im Jahr 2001 gestorbenen Literaturwissenschaftler und Autor. Heinrich Bleicher hat den Band Inge Jens gewidmet. Am 11. Februar 2022 wäre Inge Jens 95 Jahre alt geworden.

Dritte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Samstag 19. März 2022 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr

„Sonst ist es fein still auf dem schneebedeckten Brachland Pachulkistans“ (Jürgen Teller)
Aus dem deutsch-deutschen Briefwechsel von Johanna & Jürgen Teller (Leipzig) mit Ernst & Karola Bloch (Tübingen) – Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen
Am Geburtstag von Hans Mayer lesen Irene Scherer und Welf Schröter

Autorinnen und Autoren aus dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) sowie Schreibende aus der Bildungsarbeit haben sich in Sprache und Schrift dem Thema „Widerstand“ genähert. Wie wurde Widerstand in der Literatur dargestellt? Wann ist Widerstand notwendig und legitim? Wie zeigte sich Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Was bedeutet Widerstand heute? – Der Band „,Widerstand ist nichts als Hoffnung‘ – Widerständigkeit für Freiheit, Menschenrechte, Humanität und Frieden“ (ISBN 978-3-89376-190-6) gibt in Beispielen Antworten auf diese Fragen. Einer der Beiträge beschreibt Karola Blochs Solidarität mit den Leipziger Montagsdemonstrationen und mit Jürgen Teller (dem ehemaligen Assistenten Ernst Blochs in Leipzig Mitte der fünfziger Jahre). In seinem Aufsatz analysiert Welf Schröter Karola Blochs scharfe Kritik am SED-Regime und ihre Loyalität gegenüber Jürgen Teller, der von der DDR-Staatssicherheit drangsaliert wurde.

In dem von Jan Robert Bloch, Anne Frommann und Welf Schröter herausgegebenen Band „Briefe durch die Mauer“ (ISBN 978-3-89376-113-5) wird In über 200 heimlichen Briefen die Freundschaft zwischen Blochs und Tellers zum Leben erweckt. Ein Nachtrag dazu zeigt der Band „,Etwas, das in die Phantasie greift‘ – Briefe von Karola Bloch an Siegfried Unseld und an Jürgen Teller“ (ISBN 978-3-89376-156-2).

Vierte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Mittwoch 27. April 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

„Ernst und ich identifizierten uns mit der rebellischen Jugend“ (Karola Bloch)
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus „,Lieber Genosse Bloch …‘ – Briefe von Rudi Dutschke, Gretchen Dutschke-Klotz und Karola Bloch 1968–1979“

Dieser Briefwechsel eröffnet den Blick auf eine ganz ungewöhnliche Freundschaft zwischen Personen unterschiedlicher Generationen. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch (geboren 1885) und die Polin, Architektin und Sozialistin Karola Bloch (geboren 1905) finden unter anderem über Briefe Kontakt zu dem fast um ein halbes Jahrhundert jüngeren Rebellen Rudi Dutschke, einem der bekanntesten Köpfe der Studentenbewegung von 1968. Die Briefe geben Zugang zu Denken und Handeln, zur Haltung und Moral jener Menschen, die sowohl den Krieg der USA in Vietnam wie auch den Einmarsch der Sowjetunion in Prag scharf kritisierten, die ihre Hoffnungen in die demokratischen Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“ setzten und sich vom militärischen Abenteurertum einer „Roten Armee Fraktion“ abgrenzten.

In diesem Band (ISBN 978-3-89376-001-5) wurden der Briefwechsel zwischen Gretchen Dutschke, Rudi Dutschke und Karola Bloch umfassend zusammengefügt.

Fünfte Online-Lesung in der Reihe „Kristalle der Hoffnungen“
Dienstag 24. Mai 2022 von 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr

Menschlichkeit als Methode – In Erinnerung an Anne Frommann
Irene Scherer und Welf Schröter lesen aus Anne Frommanns Werken

Die aus Zittau stammende Pädagogin hatte „ihr Buch“ selbst zusammengestellt: „Menschlichkeit als Methode“ versammelt sozialpädagogische und biografische Texte aus vierzig Jahren beruflicher Praxis und fachlicher Arbeit. Der Durchgang durch den Band beginnt biografisch und endet teilnehmend. Ausgehend von der Reform der Heimerziehung und einem neuen Verständnis des Faches Sozialpädagogik stellt Anne Frommann das „Ich“ des zu unterstützenden jungen Menschen ins Zentrum ihres Denkens und Handelns. „Menschlichkeit als Methode“ – ein Buch, das die Humanisierung des Menschen anstrebt (ISBN 978-3-89376-127-2).

Teilnahme und Anmeldung

Seien Sie willkommen! Bitte melden Sie sich vorab an! Eintritt frei. Nach der Anmeldung wird der Zugangslink zugesandt. Eine zusehend-zuhörende Teilnahme per Internet ist auch ohne eigene Webkamera und ohne eigenes Mikrofon möglich. Veranstaltungsübersicht siehe: www.bloch-blog.de
Um Anmeldung mit Angabe des Termins wird gebeten bei: schroeter@talheimer.de

Veranstaltende sowie Partnerinnen und Partner

Redaktion „Latenz“
http://www.talheimer.de/gesamtverzeichnis.html?page=shop.browse&category_id=28

Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.
http://www.hans-mayer-gesellschaft.de/

Talheimer Verlag
www.talheimer.de/talheimer-neuerscheinungen

Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/leipziger-frauenportraets

Porträt Karola Bloch im Onlineportal „Leipziger Frauenporträts“
https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite-frauenportraets/projekt/bloch-karola-geborene-piotrkowska

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.
https://www.louiseottopeters-gesellschaft.de/

Zeitraumort (Leipzig)
www.zeitraumort.de

 

Befreiung und Hoffnung

Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Verband deutscher Schriftsteller VS) am 8. Juli 2015 in Mössingen. - Foto: © Welf Schröter

Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Verband deutscher Schriftsteller VS) am 8. Juli 2015 in Mössingen. – Foto: © Welf Schröter

Die Zahl derer, die in Europa Grundprinzipien der Demokratie und deren Praxis in Frage stellen, nimmt in vielen Ländern zu. Europa als demokratisches Friedensversprechen gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus gewinnt unter jungen Menschen jedoch an Anziehung. Im Gegensatz dazu wachsen eher innerhalb der mittleren und älteren Generation Zweifel und Distanz. Diese Menschen suchen auf ihre Enttäuschungen zumeist Antworten in der Vergangenheit, – nicht als aufzuhebende Erbschaft ungleichzeitiger Erfahrungen sondern als eindimensionaler Fluchtpunkt rückwärts.

Am 8. Juli 2015 kamen in Mössingen zahlreiche Nachdenkliche zusammen, um sowohl an den 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten wie auch an den 130. Geburtstag Ernst Blochs zu erinnern. Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch des verstorbenen Harold Livingston (Helmut Löwenstein) gedacht. Er war der Sohn des jüdischen Mitbegründers des Textilunternehmens Pausa, Artur Löwenstein. Die Pausa arbeitete vor 1933 eng mit dem Bauhaus in Dessau zusammen. Die Belegschaft der Pausa löste den „Mössinger Generalstreik“ gegen Hitler am 31. Januar 1933 aus. Das Unternehmen wurde 1936 zwangs„arisiert“. Helmut Löwenstein wurde mit seiner Familie und seinen Verwandten 1936 von Nationalsozialisten aus Mössingen und Stuttgart vertrieben. Er kehrte 1945 als 22-jähriger Soldat der britischen Armee nach Deutschland zurück und gehörte zu den Befreiern des KZ Bergen Belsen. Unter dem Namen Harold Livingston lebte und starb Helmut Löwenstein in London.

In seiner Rede zum Thema „Befreiung und Hoffnung – 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus“ ermutigte Heinrich Bleicher-Nagelsmann vom Vorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) seine Zuhörerinnen und Zuhörer, sich für ein demokratisches und soziales Europa in der Tradition von Ernst und Karola Bloch einzusetzen. Achtzig Jahre nach der Vertreibung der in Mössingen arbeitenden jüdischen Bürgerinnen und Bürger lohnt es sich, diese Rede noch einmal zu lesen (Rede_Heinrich_Bleicher-Nagelsmann_2015).

LATENZ – Journal für Wissenschaft und Gesellschaft, Arbeit und Technik, Kunst und Kultur

logo2Es wird anders. Die Welt befindet sich im Umbruch. Neue Technologien, neue Lebensweisen, neue Erfahrungswelten, aber auch neue Konfliktformationen. Die Zukunft ist offen. Aber sie ist nicht zufällig. Sie wird bedingt durch die ungleichzeitigen Dynamiken der Vergangenheit und die Ansprüche und Forderungen einer vielschichtigen Gegenwart. Der Philosoph Ernst Bloch sprach einst von der Front des historischen Prozesses, an der sich eine „objektiv-reale Möglichkeit“ ablesen lassen müsse:

„Dann eben, wenn Front den vordersten Abschnitt jener Zeit darstellt, in der es so wie bisher nicht weitergehen kann, und worin der nachfolgende Zustand, im Sprung stehend, auf der Kippe stehend, entschieden wird oder nicht. An unserem Jetztsein aber, es klärend, sein Gesicht aufschlagend, hat die Front sich letzthin zu bewähren“ (Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie).

Das Journal „LATENZ“ versteht sich sowohl in der Tradition der Philosophie Ernst Blochs, fühlt sich aber nicht an dessen Stil und Methode des Philosophierens gebunden, wie auch in der Tradition der politischen Praxis Karola Blochs. Das Erkenntnisinteresse der Herausgeber/innen und der Redaktion besteht in einer konkret-utopischen Diagnose der Gegenwart. Dafür sind alle mit diesem Anliegen kompatiblen theoretischen und politischen Ansätze gefragt und willkommen. Das Verbindende bleibt der „aufrechte Gang“, die „moralische Orthopädie“, wie Ernst Bloch sie als Leitgedanken formuliert, d. h. das emanzipatorische Element aus der Tradition der Aufklärung, welches sich mit dem „guten und nützlichen“ Erbe des Christentums trifft.

Das Journal ist eine in unregelmäßigen Abständen erscheinende Buch-Zeitschrift, in der ver-sucht wird, offensichtliche wie verborgene, dominante oder auch nur auf Nebengleisen verlaufende gesellschaftliche Trends und Tendenzen zu analysieren und kritisch zu diskutieren. Wohin geht die Reise in Politik, Ökonomie, Technik, Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft? Welche „objektiv-realen Möglichkeiten“ birgt unsere Gegenwart? Worin besteht die Latenz des Jetzt?

Das Journal „LATENZ“ will ein Debatten-Forum sein. Autorinnen und Autoren unterschiedli-cher Fachdisziplinen und gesellschaftlicher Gruppierungen sollen eine Plattform erhalten, auf der innerhalb eines breiten Themenspektrums zwischen Gesellschaftstheorie und historisch-politischer Analyse, ökonomischer Prognose und ästhetischer Kritik versucht werden soll, die Gegenwart zu vermessen, deren innere Dynamik aufzuspüren und auf ihr eventuell emanzipatorisches Potenzial hin zu befragen.

Näheres siehe die Anlage (LATENZ).

Für die Humanisierung der Welt

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

Thilo Götze Regenbogen (Foto: © Welf Schröter)

„Er hat ein Leben voller Forscherdrang, Kreativität, Liebe und Hingabe geführt. Sein Werk und sein Einfluss wirken weiter.“ Mit diesen klaren wie eindringlichen Worten übermitteln die Familie und die Angehörigen von Thilo Albrecht Götze Regenbogen die traurige Nachricht seines allzu frühen Todes.Im Alter von 66 Jahren starb ein Freund, Autor, Künstler, Rechercheur und interessierter Kenner des jeweiligen Lebenswerkes von Karola Bloch und Ernst Bloch. Während Thilo noch bis zuletzt gedanklich an neuen Schaffensprozessen und Editionsarbeiten hing, gab sein Körper den Kampf auf. Thilo Götze Regenbogens Leben endete am 30. April 2015.

Neben verschiedenen künstlerischen Schwerpunkten beschäftigte sich „TGR“ mit den Lebenswegen der Hitlergegnerin Karola Bloch, mit dem Maler Ludwig Meidner und mit dem der Blochschen Philosophie nahestehenden Künstler und DDR-Kritiker Carlfriedrich Claus, mit der unermüdlichen Schaffenskraft von Joseph Beuys sowie mit dem literarisch-politischen Schaffen des DDR-Oppositionellen und Bloch-Schülers Jürgen Teller.

In seinem einschlägigen Beitrag über Karola Bloch und Ludwig Meidner schrieb er – sich selbst verortend: „Die von Jugend an künstlerisch und politisch engagierte polnische Jüdin und Widerstandskämpferin Karola Piotrkowska-Bloch (1905-1994) ist seit der Remigration in die Bundesrepublik im Jahre 1961 zusammen mit ihrem Mann, dem Philosophen und Autor einer historischen Enzyklopädie der Hoffnung Ernst Bloch (1885-1977), nicht nur zu einer Symbolfigur der Friedens- und Emanzipationsbewegung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts geworden. Beide Blochs standen für eine unabhängige undogmatische Linke und arbeiteten für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, Karola als ,die große alte Dame der Linken‘ – um mit Jürgen Teller zu sprechen.“

Thilos Herangehen an neue Fragen war offen und unkonventionell. Er liebte es, neugierig zu sein. Nach innen wie nach außen. Er wollte das Unmögliche denken, es sehnsuchtsvoll vorahnen, es erkennen. Die Blochsche Genesis am Ende des Werdens des Menschen verband er mit seiner ganz eigenen Sicht. Unvergessen bleibt seine künstlerische Präsentation im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen.

Thilo war ein Freund der humanen Emanzipation. Sein Wirken galt und gilt der Humanisierung der Welt. Jene, denen er Freund war, sind ihm dabei Freunde geblieben.

 

„Wohlan, ich will aufrührerisch sein“

(Foto: © Welf Schröter)

(Foto: © Welf Schröter)

Es gibt Momente, in denen scheinen die Worte „Unabgegoltenheit“ und „Sehnsucht“ geradezu mit den Fingern greifbar zu sein. Wenn ältere Gesichter, in deren Augen noch immer das Feuer der begründeten und „belehrten Hoffnung“, der „docta spes“ (Ernst Bloch) lodert, aus ihren Lebensfalten Rückbesinnungen entpacken auf gemeinsames öffentliches Leben, auf Protest und Widerspruch, auf Leidenschaft für die „gemeinsame Sache“ (Karola Bloch), dann blitzt ein vorzeitiger Vorschein der Identität aus Vernunft und Wirklichkeit (Hegel) auf, der Ermutigung bringt und Hoffnung sät. Solche Momente sind nicht eben häufig. Doch im Erdgeschoß eines mittelalterlichen Fachwerkhauses in der Tübinger Innenstadt trat dieser Moment der ungleichzeitigen Gleichzeitigkeit ein.

Im Rahmen des Tübinger Bücherfestes 2015 fand am 17. Mai eine Lesung im Rahmen der derzeit noch laufenden Ausstellung zur Tübinger Protestbewegung der siebziger Jahre statt. Die Lesung im „Protestmuseum“ (Kornhaus) trug den Titel „Wohlan, ich will aufrührerisch sein“ (Ernst Bloch) – Rebellische Reden, freche Worte und aufmüpfige Beiträge von Karola und Ernst Bloch sowie Gretchen und Rudi Dutschke.

Zwei Stimmen aus den siebziger Jahren lasen zur aktuellen Ausstellung „Protest“ aus Briefen und Schriften, aus „Lieber Genosse Bloch“ und „Dutschke und Bloch“ sowie „Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden“. Rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern quittierten die knapp einstündige Wanderung durch Texte der Blochs und der Dutschkes mit einem außergewöhnlich langanhaltenden Beifall.

Viele Junge und Junggebliebene aus dem Auditorium ließen sich durch den ersten Dialog Ernst Blochs mit Rudi Dutschke im Februar 1968 in Bad Boll an rebellische Zeiten erinnern. Da wurden emanzipatorisches Christentum und antitotalitäre Marxrezeption lebendig. Da waren Christus neben dem „Prager Frühling“, Gretchen Dutschke neben Elisabeth Käsemann präsent.

Die Zuhörenden folgten mit Schmunzeln Karola Blochs humorvoll spitzer Bemerkung über fliegende Tomaten auf Professoren. Sie spürten der Frage nach, was an dem Denken der Dutschkes und Blochs noch immer unabgegolten ist und welche Impulse uns heute bei der Verteidigung der Menschenrechte wieder aktuell erscheinen.

Den Schlusspunkt setzte ein Zitat aus dem Munde Rudi Dutschkes, der schon im Februar 1968 den heute hochaktuellen Begriff und die allseits akzeptierte Notwendigkeit einer „lernenden Gesellschaft“ als Basis einer stetigen Emanzipation „von unten“ formulierte.

In den Gesichtern der innerlich Junggebliebenen glätteten sich die Falten. Im Herzen wurden sie wieder Twens und es schien, als ob sie in sich „Ton, Steine, Scherben“ und Wolf Biermanns Ermutigungen für Ermutiger summten. Vielleicht waren auch ein paar Töne von Jimi Hendrix und Janis Joplin dabei.

 

Kritik ist Aufheben

Als sich im April 2015 im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum Freunde der Philosophie Eberhard Brauns zusammenfanden, um das fachliche Werk dieses viel zu früh verstorbenen Denkers zu würdigen, zeigten sich Brauns Ausarbeitungen zur Rezeption Hegels so aktuell wie nie. Der These vom vermeintlichen Ende der Geschichte, die allenthalben in inszenierten Talkshows wiederbelebt wird, hatte Philosoph Braun früh und stets widersprochen. So scheint es nicht überraschend, dass die offizielle scientific community ihm zu seinen Lebzeiten die Aufnahme in die Reihen der Alma Mater hatte verwehren wollen.

Irene

(Foto: © Welf Schröter)

In ihrer Rede (Vorrede Irene Scherer_Talheimer Verlag) zum Erscheinen des Buches „Eberhard Braun: Die Rose am Kreuz der Gegenwart. Ein Gang durch Hegels ,Phänomenologie des Geistes‘“ (ISBN 978-3-89376-161-6) ging die Verlegerin Irene Scherer (Talheimer Verlag) auf jene Widerstände ein, mit denen der Philosoph Eberhard Braun an der Universität Tübingen zu ringen hatte:

„Der Talheimer Verlag würdigt mit dieser Ausgabe den Philosophen Prof. Dr. Eberhard Braun, der von 1971 bis 1974 Ernst Blochs Assistent in Tübingen war und sich in dessen denkerischer Tradition bewegte und diese zugleich auch bewusst überschritt. Seine Nähe zur Philosophie Ernst Blochs musste Eberhard Braun mit Hemmnissen und Hindernissen in seiner beruflichen Laufbahn bezahlen. Philosophische Traditionen, die jenseits des Blochschen oder Hegelschen Denkens verortet waren, warfen ihm vor, er vertrete keine ,europäische Philosophie‘. Deswegen verweigerte man ihm eine Berufung auf einen Tübinger Philosophielehrstuhl.“

Irene Scherer zitierte Karola Bloch, die sich mit Eberhard Braun öffentlich solidarisierte:

„Mit großer Erbitterung erfüllen mich die Manipulationen an der Philosophischen Fakultät, wo ein ausgezeichneter Pädagoge wie der Philosoph Eberhard Braun vom zweiten auf den dritten Platz [der Berufungsliste] geschoben wird, und so der Möglichkeit beraubt wird eine Professur zu bekommen. Es wäre gut, wenn in dieser konservativen Philosophischen Fakultät ein Marxist sein Wissen den Studenten vermitteln könnte. Die Studenten haben das auch gewollt und waren mit Braun solidarisch. War es nicht Neid bei manchen Philosophen in Tübingen, weil sie wußten, daß zu Braun in die Vorlesung 100 und noch mehr Hörer kamen, während sie vielleicht nur ein Dutzend hatten? Es ist bestimmt ein Verlust für die Studierenden, wenn sie nicht von einem konsequenten politische bewußten Menschen den aufrechten Gang lernen können statt konformistischen Sing-Sang.“ (Karola Bloch – Die Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden. Reden und Schriften aus ihrer Tübinger Zeit. Bd. 1, ISBN 978-3-89376-003-9)

Unter Verweis auf allzu leichtgewichtige und durchsichtige Verabschiedungen kritischer Philosophien aus dem öffentlichen Diskurs unterstrich die Verlegerin die Bedeutung der philosophischen Erbschaften und deren Präsenz. Sie ließ Braun diesbezüglich zu Wort kommen:

„Philosophien, gerade die aus der Vergangenheit vorliegenden, sind nicht einfach wahr oder falsch in dem Sinn, dass wir sie entweder insgesamt akzeptieren oder ver­wer­fen. Es kommt vielmehr darauf an, das in der Hülle einer vergangenen Gesamtkonzeption Angelegte aufzunehmen, zu verändern, fortzubilden. Dieses Verfahren hat Marx Kritik genannt. Kritik ist Auf­heben, ein Tun, das zugleich negiert und bewahrt und hierin die Erkenntnis auf eine neue Stufe hebt.“